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US-Wahlen: Trump`s Wirtschaftspolitik
Für die Finanzwelt und die Großunternehmen ist es In gewisser Weise unerheblich, wer letztlich die US-amerikanische Präsidentschaftswahlen gewinnen hat.
Beide Kandidaten sind und waren dem kapitalistischen System verpflichtet und woll(t)en es für die Kapitaleigner verbessern.
Larry Fink von BlackRock, dem weltweit größten Vermögensverwalter, sagte, er sei es „leid zu hören, dass dies die wichtigste Wahl in Ihrem Leben ist“.
Die Realität, so Fink, „ist, dass es mit der Zeit keine Rolle spielt“.
Und es stimmt, dass die zugrunde liegenden endogenen Kräfte der kapitalistischen Produktion, Investitionen und Gewinne viel mächtiger sind als jede einzelne von einer Regierung verabschiedete und umgesetzte Politik.
Dennoch können sich prokapitalistische Politiker darüber uneinig sein, was zu einem bestimmten Zeitpunkt das Beste für den Kapitalismus ist. Und es gibt einige Unterschiede zwischen Trump und Harris darüber, was in den nächsten vier Jahren zu tun ist.
Zu den wichtigsten Punkten von Trumps Wirtschaftspolitik „ Maganomics“ gehören aggressivere Zölle auf Importe aus aller Welt, insbesondere aus China, und ein drakonisches Vorgehen gegen Einwanderung. In seiner Wahlkampfrhetorik drängte er auch auf einen größeren politischen Einfluss auf die Geldpolitik und die Fed bei Zinsentscheidungen und bei der Manipulation des Dollars.
Trump kündigte an, er werde „niedrige Steuern, niedrige Regulierungen, niedrige Energiekosten, niedrige Zinssätze und eine niedrige Inflation durchsetzen, damit sich jeder Lebensmittel, ein Auto und ein schönes Zuhause leisten kann.“
Seine neuen Steuersenkungen reichen von Einkommen aus Überstunden, Trinkgeldern und Rentenleistungen bis hin zu massiven pauschalen Senkungen für Einzelpersonen und Unternehmen.
Dies wird zweifellos die Steuern für die Superreichen (wieder einmal) senken, aber für fast alle anderen erhöhen.
Trump behauptet, dass diese Steuersenkungen für die Superreichen und Großkonzerne Investitionen und Wachstum ankurbeln werden, basierend auf der diskreditierten
„Trickle-down“-Theorie,
d. h., wenn Einkommen und Vermögen der Reichen steigen, werden sie mehr ausgeben und so werden die Vorteile auf den Rest von uns „herunterrieseln“.
Die Beweislage ist jedoch gegenteilig. In den letzten 50 Jahren sind die Steuern für Reiche in den fortgeschrittenen Demokratien drastisch gesunken. Und mehrere Studien zeigen, dass dies nur geringe oder gar keine Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum hat – und viel mehr Auswirkungen auf die zunehmende Ungleichheit. Zwei Ökonomen des Kings College London haben mithilfe eines neu entwickelten Indikators für Steuern auf Reiche alle Fälle von größeren Steuersenkungen für Reiche in 18 Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zwischen 1965 und 2015 ermittelt und festgestellt, dass Steuersenkungen für Reiche kurz- und mittelfristig zu einer höheren Einkommensungleichheit führen, aber keine signifikanten Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum oder die Arbeitslosigkeit haben.
Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und die Arbeitslosenquote waren nach fünf Jahren in Ländern, die die Steuern für Reiche gesenkt haben, und in Ländern, die dies nicht getan haben, nahezu identisch, so die Studie.
Die Analyse ergab jedoch eine wesentliche Veränderung: Die Einkommen der Reichen stiegen in Ländern, in denen die Steuersätze gesenkt wurden, viel schneller. Überraschung! Dies mag aus unserer eigenen Erfahrung der letzten Jahrzehnte offensichtlich sein, aber die empirische Analyse bestätigt unsere eigenen Wahrnehmungen.
Was Trumps letzte Amtszeit betrifft, in der er drastische Senkungen der Körperschafts- und Einkommensteuer einführte, so stellten Emmanuel Saez und Gabriel Zucman von der University of California in Berkeley fest, dass die 400 reichsten amerikanischen Familien zum ersten Mal seit einem Jahrhundert niedrigere effektive Steuersätze haben als die unteren 50 % der Einkommensbezieher.
Anleger und die Wall Street befürchten, dass die zu erwartenden Steuersenkungen, so willkommen sie auch sein mögen, das enorme Haushaltsdefizit und die Verschuldung des öffentlichen Sektors nur noch weiter erhöhen könnten – etwas, das dem Finanzsektor ein Gräuel ist.
Trump`s Antort darauf lautet, dass er die Steursenkungen durch eine drastische Erhöhung der Einfuhrzölle "bezahlen" wird.[1]
Trump plant, eine Abgabe von 10 Prozent auf alle US-Importe und eine Steuer von 60 Prozent auf Waren aus China zu erheben. Tatsächlich spricht Trump davon, Zölle in einer Höhe zu erheben, die es ihm ermöglichen würden, die Einkommenssteuer ganz abzuschaffen!
Das Penn Wharton Budget Model, eine Forschungsgruppe, schätzt jedoch, dass Trumps Pläne das US-Haushaltsdefizit in den nächsten zehn Jahren um 5,8 Billionen US-Dollar erhöhen würden. Selbst die konservative Denkfabrik Tax Foundation schätzt, dass sein neuer Plan, Überstunden von den Bundesabgaben zu befreien, die USA in den nächsten zehn Jahren weitere 227 Milliarden US-Dollar an Einnahmeverlusten kosten würde.
Auch hier deuten empirische Analysen dieser Politik auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Wirtschaftsleistung der USA hin. Eine aktuelle Studie legt nahe,[2] dass Trumps Politik „stark regressive Änderungen der Steuerpolitik sind, die die Steuerlast von den Wohlhabenden auf die Mitglieder der Gesellschaft mit niedrigerem Einkommen verlagern“.
In dem Papier von Kim Clausing und Mary Lovely werden die Kosten der bestehenden Abgaben zuzüglich der Zollpläne von Trump für seine zweite Amtszeit auf 1,8 Prozent des BIP geschätzt. Es wird davor gewarnt, dass diese Schätzung „keinen weiteren Schaden durch Vergeltungsmaßnahmen der Handelspartner Amerikas und andere Nebenwirkungen wie den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit berücksichtigt“. Diese Berechnung „impliziert, dass die Kosten der von Trump vorgeschlagenen neuen Zölle fast fünfmal so hoch sein werden wie die Kosten, die durch die Zollschocks von Trump bis Ende 2019 verursacht wurden, und allein auf diesem Weg zusätzliche Kosten für die Verbraucher in Höhe von etwa 500 Milliarden Dollar pro Jahr verursachen werden“, heißt es in dem Papier. Der durchschnittliche Schaden für einen Haushalt mit mittlerem Einkommen würde 1.700 US-Dollar pro Jahr betragen. Das verfügbare Einkommen der ärmsten 50 Prozent der Haushalte, die in der Regel einen größeren Teil ihres Einkommens ausgeben, würde um durchschnittlich 3,5 Prozent sinken.
Trumps Zollmaßnahmen werden vorassichtlich die Abgaben auf Importe auf ein Niveau anheben, das zuletzt in den 1930er Jahren nach der Verabschiedung des wegweisenden protektionistischen Smoot-Hawley-Tariff Act erreicht wurde. Trump behauptet, dass die Handelsbarrieren nicht nur die Einnahmen erhöhen, sondern auch zur Wiederherstellung der US-Fertigung führen werden.
Wenn Importzölle zum Schutz eines aufstrebenden und jungen Fertigungssektors eingesetzt werden, wie es in den USA im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert der Fall war, mögen sie geholfen haben.
Aber jetzt, im 21. Jahrhundert, ist die US-Fertigung relativ rückläufig, ein Trend, der sich durch protektionistische Maßnahmen nicht umkehren lässt – dieses Pferd ist nach Asien durchgegangen.
Stattdessen geht der Thinktank Peterson Institute for International Economics in Washington davon aus, dass pauschale Zölle in Höhe von 20 Prozent in Kombination mit einem Zoll von 60 Prozent auf China zu einem Anstieg der jährlichen Ausgaben eines Durchschnittshaushalts für Waren um bis zu 2.600 US-Dollar führen würden, da die Inflation entsprechend steigen würde. Die leitenden PIIE-Stipendiaten Obstfeld und Kimberly Clausing sind der Meinung, dass die Regierung durch die Erhebung eines 50-prozentigen Zolls auf alle Waren maximal 780 Milliarden US-Dollar an zusätzlichen Einnahmen erzielen kann.
"Wenn wir die [durch die Einkommensteuer erzielten] Einnahmen vollständig durch einen Zoll ersetzen wollten, bräuchten wir einen Zollsatz von mindestens zwei Dritteln. Und dann muss man bedenken, dass die Menschen anfangen werden, Importe zu ersetzen, und dann wird es Vergeltungsmaßnahmen geben und so weiter“, sagt Tedeschi vom Yale Budget Lab.
“Es ist unmöglich, die Rechnung aufgehen zu lassen. Man kann [die Zölle] wahrscheinlich nicht hoch genug ansetzen.“
Der andere Hauptpunkt von Maganomics ist die drastische Reduzierung der Einwanderung. Trump hat Einwanderern vorgeworfen, “das Blut unseres Landes zu vergiften“. Trotz dieses grotesken Rassismus sind viele Amerikaner davon überzeugt, dass ihr Lebensstandard und ihr Leben durch „zu viele Einwanderer“ beeinträchtigt werden. Laut Gallup ist 2024 das erste Jahr seit fast zwei Jahrzehnten, in dem eine Mehrheit der Bevölkerung weniger Einwanderung in die USA wünscht. Allein im vergangenen Jahr ist der Wunsch, die Zahl der Einwanderer zu reduzieren, bei den Demokraten um 10 Punkte und bei den Republikanern um 15 Punkte gestiegen.
Trump fordert sogar die massenhafte Abschiebung von Millionen von Einwanderern. Einem aktuellen Bericht des American Immigration Council zufolge würden die Kosten für die Abschiebung von etwa 13 Millionen Menschen, die ab 2022 keinen dauerhaften Rechtsstatus mehr haben und abgeschoben werden könnten, mit etwa 305 Milliarden US-Dollar enorm hoch ausfallen.
Dabei sind die langfristigen Kosten einer anhaltenden Massendeportation oder die unkalkulierbaren zusätzlichen Kosten, die für den Erwerb der institutionellen Kapazität zur Abschiebung von über 13 Millionen Menschen in kurzer Zeit anfallen würden, noch nicht berücksichtigt. „Um das Ausmaß der Inhaftierung von über 13 Millionen Einwanderern ohne Papiere in einen Kontext zu setzen: Die gesamte Gefängnis- und Haftinsassenbevölkerung der USA im Jahr 2022, die alle Personen umfasst, die in örtlichen, regionalen, bundesstaatlichen und bundesweiten Gefängnissen und Haftanstalten festgehalten werden, betrug 1,9 Millionen Menschen.“ [3]
Wenn man die Kosten über mehrere Jahre verteilt, würden sie sich auf durchschnittlich 88 Milliarden US-Dollar pro Jahr belaufen, was Gesamtkosten von 968 Milliarden US-Dollar über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrzehnt entspricht, wenn man die langfristigen Kosten für die Einrichtung und Instandhaltung von Hafteinrichtungen, provisorischen Lagern und Einwanderungsgerichten berücksichtigt. Außerdem leben etwa 5,1 Millionen Kinder von US-Bürgern mit einem Familienmitglied ohne Papiere zusammen. Die Trennung von Familienmitgliedern würde zu enormem emotionalem Stress führen und könnte auch wirtschaftliche Schwierigkeiten für viele dieser Familien mit gemischtem Status verursachen, die ihre Ernährer verlieren könnten.
Aber auch der wirtschaftliche Gesamtschaden wäre erheblich. Wie an anderer Stelle bereits dargelegt , [4] hat die Nettozuwanderung dazu beigetragen, dass die US-Wirtschaft schneller wächst als andere G7-Volkswirtschaften. Der Verlust dieser Arbeitskräfte durch Massenabschiebung würde das BIP der USA um 4,2 bis 6,8 Prozent senken. Dies würde auch zu einer erheblichen Verringerung der Steuereinnahmen führen. Der Wegfall von Arbeitsmigranten würde alle Sektoren beeinträchtigen, von Privathaushalten über Unternehmen bis hin zur Basisinfrastruktur. Wenn die Industrie leidet, könnten Hunderttausende in den USA geborene Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren.
Trumps Maganomics drückt aus, dass sie darauf abzielt, dem durchschnittlichen in den USA geborenen Amerikaner zu helfen, aber in Wirklichkeit wird seine Politik wohl nur die sehr Reichen wie ihn selbst auf Kosten der übrigen Bevölkerung bereichern und auch das Wirtschaftswachstum gefährden und die Inflation in die Höhe treiben. Er wird stark von einzelnen Multimilliardären wie Elon Musk unterstützt.
Sie besitzen etwa 4 % des US-Privatvermögens, haben aber ein Drittel der Wahlkampfgelder beigesteuert, die Trump, selbst Milliardär, gesammelt hat. Die Ironie dabei ist, dass 74% der befragten Amerikaner eine jährliche Vermögenssteuer [5] von 2 % auf Privatvermögen über 50 Millionen US-Dollar befürworten würden; 65 % befürworten eine Erhöhung des Körperschaftsteuersatzes und 61 % befürworten eine Erhöhung der Spitzensteuersätze – das genaue Gegenteil von Trumps Politik.
Aber Großunternehmen und Megabanken brauchten sich ohnehin keine Sorgen zu machen, denn die demokratische Kandidatin Kamala Harris hatte nicht die Absicht, eine Vermögenssteuer einzuführen oder die Unternehmenssteuern oder die Steuern für Spitzenverdiener zu erhöhen. Im Gegenteil, Biden hatte die Steuersenkungen beibehalten, die Trump in seiner Amtszeit von 2016 bis 2020 eingeführt hat und die bis 2025 gelten werden, und Harris hätte daran nichts geändert.
Klimapolitik
Was das Klima betrifft, so hat Trump deutlich gemacht, dass er die Vorschriften lockern und die weitere Erkundung und Förderung fossiler Brennstoffe zulassen wird – schließlich sind er und Tesla-Chef Elon Musk sich einig, dass die globale Erwärmung wahrscheinlich nicht vom Menschen verursacht wurde und ohnehin keine ernsthafte Gefahr für Lebensgrundlagen und Leben darstellt – fraglich, ob die Hurrikan-Opfer in Florida dem zustimmen..
Was die öffentlichen Dienstleistungen betrifft, so sagten beide Kandidaten angesichts des steigenden Haushaltsdefizits und der Staatsverschuldung von weit über 100 % des BIP nichts.
Das kann jetzt nach den Wahlen aber nur bedeuten, dass eine massive Sparmaßnahme auf dem Weg ist.
Die Steuereinnahmen werden nicht erhöht – im Gegenteil.
Die Ausgaben für „Verteidigung“ und Rüstung zur Finanzierung der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten haben Rekordhöhen erreicht und werden weiter steigen.
Was gekürzt werden muss, sind die öffentlichen Ausgaben für Bildung, Verkehr und Sozialfürsorge usw. Dies wäre, unabhängig vom Wahlausgang, so oder so zu erwarten gewesen.
In diesem Sinne hat Larry Fink von BlackRock also recht:
Es spielt keine Rolle, wer gewinnt. Der Gewinner aller „Wahlen“ in den USA ist die Wall Street.
[1] https://thenextrecession.wordpress.com/2024/05/20/tariffs-technology-and-industrial-policy/
[2] https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4834397
[3] https://www.americanimmigrationcouncil.org/research/mass-deportation
[4] https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5317-der-zustand-der-us-wirtschaft-und-die-parlamentswahlen
[5] https://thehill.com/hilltv/what-americas-thinking/428747-new-poll-americans-overwhelmingly-support-taxing-the-wealth-of
Northvolt: Irritationen um Batteriefabrik-Pläne
Heide könnte ein ähnliches Schicksal drohen wie jüngst Magdeburg.
In Magdeburg hatte der US-Chiphersteller Intel unlängst den geplanten Bau einer Fabrik vorerst auf Eis gelegt. Mitte September hatte der Konzern mitgeteilt, dass sich das Projekt, mit dessen Bau in diesem Jahr hätte begonnen werden sollen, voraussichtlich um zwei Jahre verzögern werde. An dem geplanten Standort sollten zwei Chipfabriken mit rund 3000 Arbeitsplätzen entstehen.
Die Bundesregierung hatte dafür knapp zehn Milliarden Euro in Aussicht gestellt.
Ein ähnliches Szenario ist auch für die Giga-Batteriefabrik Northvolt denkbar.
Wie im September vom Konzernchef Carlsson angekündigt, will Northvolt im Herbst weitreichende Entscheidungen über die Zukunft des Konzerns verkünden. An den Plänen für das schleswig-holsteinische Werk bei Heide halte man zwar grundsätzlich fest, über „mögliche Anpassungen der Zeitpläne“ werde man aber im Herbst entscheiden. (FAZ 9.9.2024). "Wir brauchen diese Fabrik in Heide." Das hat auch der Deutschlandchef von Northvolt, Christofer Haux, Anfang Oktober vor dem Wirtschaftsausschuss des Landtages erneut bekräftigt. Er war per Video aus Schweden zugeschaltet. Er betonte: Auch wenn Northvolt in Schweden Stellen abbauen müsse, sei die Fabrik in Heide weiterhin ein Grundpfeiler ihrer Expansionsstrategie. Er schloss allerdings ebenfalls nicht aus, dass sich der Zeitplan für die Ansiedlung verändern könnte. (KN 2.10.2024).
Probleme bei Northvolt
Die Irritationen und Unsicherheiten über Umfang und Zeitplan der projektierten Giga-Fabrik in Dithmarschen halten also weiterhin an. Anfang Juli wurde erstmals öffentlich über massive Probleme bei Northvolt berichtet.
Ende Juni hatte BMW einen Großauftrag storniert; eine Bestellung von Batteriezellen im Wert von zwei Milliarden Euro wurde zurückgezogen.
Weiterhin gab es Berichte, dass sich der Konzern-Verlust im vergangenen Jahr auf eine Milliarde Dollar verdreifacht habe.
Northvolt kämpfe demnach - offenbar mit mäßigem Erfolg - unter anderem gegen die nach wie vor übermächtige Konkurrenz der Batterien aus China; außerdem seien die Aussichten für Elektroautos nicht mehr so rosig wie bisher. „Dabei zeigen Zahlen, wie weit das Unternehmen – gemessen an den eigenen Ansprüchen - zurückliegt. Northvolt wollte ursprünglich schon im Jahr 2023 eine Produktionskapazität von insgesamt 16 Gigawattstunden erreichen. Ende Juli lag der Output noch unter einer Gigawattstunde.“
Zudem hatten auch ungeklärte Todesfälle am schwedischen Northvolt-Standort für Aufsehen gesorgt und Fragen nach der Betriebssicherheit aufgeworfen.[1]
Anfang September wurde mitgeteilt, dass Personal „abgebaut“ werde (Entlassung von etwa 1.600 Mitarbeitenden in Schweden. Das entspricht knapp einem Viertel der Northvolt-Belegschaft in dem skandinavischen Land) und man sich von Standorten trennen wolle. Im schwedischen Borlänge will das Unternehmen eine Fläche verkaufen, auf der eine weitere Fabrik geplant war. Die Arbeit eines Entwicklungszentrums in den USA wird nach Schweden verlagert. Für einen Standort in Polen werden Investoren gesucht, die die Produktion unterstützen sollen.
Gleichzeitig teilte Northvolt mit: Der Aufbau einer Batterieproduktion in Europa hat weiterhin unverändert Priorität. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte der schwedischen Wirtschaftszeitung "Dagens Industri" am 23.9. am Rande des sogenannten „Autogipfels“ gesagt, man stünde "in dauerndem Kontakt mit Northvolt" und gehe davon aus, dass das Vorhaben in Heide wie geplant realisiert werden würde. Anders Hägerstrand, der als Journalist von der "Dagens Industri" regelmäßig über Northvolt berichtet, sagte dagegen im Gespräch mit NDR Schleswig-Holstein (ndr-online 24.09.2024), dass er einen Produktionsbeginn in Heide in zwei Jahren für fast unmöglich halte.
Northvolt konzentriere sich nun darauf, seine Produktion im Werk im schwedischen Skellefteå zu steigern.
„Europas Batteriepläne kommen unter die Räder“
Die weltweit größten Lithium-Ionen-Batteriehersteller sind die chinesischen Firmen CATL und BYD, die beide mit einem Marktanteil von insgesamt über 50 Prozent die Batteriewelt dominieren.
Unter den weiteren Top 10 sind weitere vier chinesische, drei südkoreanische und ein japanisches Unternehmen zu finden. Fakt ist: Aktuell haben sich mittlerweile weltweit Überkapazitäten entwickelt, weil der Absatz von E-Autos - insbesondere in Europa - nicht wie erhofft nach oben schnellt. Selbst das Werk des Weltmarktführers CATL in Thüringen ist zur Zeit nicht ausgelastet.
Zusätzlich verbreiteten zwei Ankündigungen den europäischen Batterieherstellern Sorgen. Zum Einen wurde Anfang des Jahres in China eine Industrieallianz für die Entwicklung und Produktion von Feststoffbatterien gebildet. Zum Zweiten: Kurze Zeit darauf folgte die Meldung des größten chinesischen Autoherstellers (SAIC), schon in zwei Jahren mit der Massenproduktion von Feststoffbatterien beginnen zu wollen.
Feststoffbatterien haben im Gegensatz zu Lithium-Ionen-Batterien eine viel größere Energiedichte, sodass man länger mit einer Ladung fahren kann – der Wunsch eines jeden E-Auto-Besitzers.
Angesichts dieser Situation „macht sich in Europa immer stärker Ernüchterung breit. Eine Batteriehoffnung nach der anderen stutzt ihre Pläne, ob Start-ups oder Großkonzerne. Die Fabriken hierzulande drohen Rohrkrepierer zu werden“ [2]
Dazu passt auch die jüngste Meldung vom weltweit größten Chemiekonzern, der Ludwigshafener BASF. Der dort mit großen Hoffnungen gestarteter Aufbau einer Produktionslinie um Batteriechemikalien für Elektroantriebe wird zunächst einmal auf Eis gelegt.
„Angesichts der hohen Markt-und Technologierisiken, gerade in Europa, sei der Aufbau einer Wertschöpfungskette für Batteriechemikalien schwierig,“ wird der Konzernchef Markus Kamieth zitiert (FAZ 27.9.2024).
Zu den zarten Pflänzchen der europäischen Batterieindustrie zählt auch Northvolt und muss sich nun in einem zunehmend schwierig werdenden Marktumfeld behaupten. Und die jüngsten Beschlüsse der EU-Kommission über Strafzölle für E-Autos aus chinesischer Produktion sind gewiss für Northvolt u.a. kein Stimmungsaufheller. Deutsche Auto-Konzerne lassen in Joint Venture Kooperationen (deutsche und chinesische Unternehmen), in China für den Export produzieren und müssten durch die „Schutzzoll“-Maßnahmen mit einem Absatzrückgang der chinesischen Import-Fahrzeuge in Deutschland rechnen.
Sollte China seinerseits Einfuhrzölle auf Autos einführen, würde dies die deutschen Autohersteller hart treffen. Im Jahr 2023 ist etwa ein Drittel der in Deutschland produzierten Fahrzeuge nach China exportiert worden.[3]
Carlsson und seine „klare Mission“
Ziel von Northvolt, des 2016 von Peter Carlsson gegründeten Batterieunternehmens ist, die chinesische Dominanz auf dem Batteriemarkt zu brechen. Damit das gelingt, muss man schnell, innovativ und vor allem groß sein – so Carlssons Philosophie. Klingt irgendwie bekannt. Und das kommt nicht von ungefähr; arbeitete der Wirtschaftsingenieur zunächst für den schwedischen IT-Konzern Ericsson und wechselte dann zum us-amerikanischen Start-up namens Tesla, wo er in Nevada eine Batteriefabrik aufbaute. Die Zeit unter Elon Musk habe ihn sehr geprägt, betont er immer wieder: „Ich hätte Northvolt nie gegründet, wenn ich nicht durch seine Schule gegangen wäre“. Doch anders als der bisweilen exzentrisch auftretende Musk verströmt Carlsson eher nordische Gelassenheit – doch auch er steht für eine „Mission“: „Wir haben eine klare Mission: Leute, die zu uns kommen, arbeiten nicht nur in einer neuen Industrie. Sie haben die einmalige Chance, einen Beitrag zu leisten im Kampf gegen die größte Bedrohung unserer Zeit. Den Klimawandel. Zudem bieten wir allen Beschäftigten an, Shareholder zu werden an unserem Unternehmen.“ [4]
War die Ansiedlung des Tesla-Werkes in Grünheide (bei Berlin) von Anfang an und bis heute von Protesten der Bevölkerung begleitet, findet das Großprojekt in Dithmarschen durchweg wohlwollenden Zuspruch. Das hängt auch damit zusammen, dass Carlsson der Region ein „Gesamtkonzept“ anbietet, das nicht nur die Schaffung tausender Arbeitsplätze inmitten eines „grünen“ Wirtschaftsareals beinhaltet, sondern viele weitere Annehmlichkeiten bereit hält wie z.B. die Nutzung der Abwärme für die örtlichen Fernwärmenetze.
Vor allem wirbt Northvolt damit, dass in Heide eine neue Batterietechnologie auf der Basis von Natrium-Ionen zum Einsatz kommt. Diese kommen ohne Kobalt, Nickel und Lithium aus und gelten deshalb als wichtig für Energiewende und Nachhaltigkeit.
Die Natrium-Ionen-Batterie wird mit Mineralien wie Eisen und Natrium hergestellt, die auf den Weltmärkten reichlich vorhanden sind. Die Energiedichte dieser neuen Zelle soll nahe an die von Lithiumbatterien, die üblicherweise in Elektroautos verwendet würden, heranreichen, so die Aussagen von Northvolt. Lithiumbatterien haben eine Energiedichte von etwa 250 bis 300 Wattstunden pro Kilogramm. Wegen ihrer geringeren Energiedichte war die Verwendung der Natrium-Ionen-Batterie als Autobatterie bislang nur bedingt geeignet - sie ist größer und schwerer, was für den Einsatz in Automobilen nachteilig ist. Diesen Nachteil wollte Carlsson mit seinem Batteriewerk bei Heide wettmachen – so seine Ankündigung im Jahre 2022. Doch diese Perspektive steht inzwischen auf wackligen Beinen. Einerseits entwickelt sich auch die Lithium-Batterie-Technologie weiter (und nicht umsonst hat sich Deutschland gerade in Serbien einen umfangreichen Litihiumabbau gesichert); zum anderen drängt aus China eine neue Feststoffzellen-Technologie auf den Markt.
Umweltverbände und die Batteriefabrik
Das Verhältnis der Umweltgruppen zur Ansiedlung der Mega-Fabrik auf der grünen Wiese war von Anfang an im Großen und Ganzen von Wohlwollen geprägt - mit kritischen Einwänden im Detail. Die Kritik richtete sich dabei weniger an das Unternehmen selber sondern vor allem an Politik und Verwaltung.
Northvolt betont, dass der BUND und andere Umweltverbände von Anfang an eingebunden waren, um Planung und Bau der Fabrik kritisch zu begleiten und Vorschläge für eine ökologische Gestaltung des Ansiedlungsgebiets zu machen. So erklärte Northvolt gegenüber dem BUND, dass etwa die Hälfte der Dachfläche aller Gebäude für eine Begrünung zur Verfügung stehen sollen. Auf der anderen Hälfte sollen Solarkollektoren zusätzlichen Strom produzieren.
„Nach Auffassung des BUND ist der Bau einer hocheffizienten und umweltfreundlichen Fabrik für Batterien für E-Autos grundsätzlich ein sehr gutes Projekt. Zurzeit mangelt es aber an einer stringenten, raumübergreifenden Planung, die sicherstellt, dass die Vorteile aus der räumlichen Nähe zu Erzeugern nachhaltiger Energie nicht z.B. durch eine ungünstige Verkehrsanbindung von der Fabrik und ggf. auch Zulieferern und Defiziten bei Umweltschutz und Umweltsicherheit gleich wieder zunichte gemacht wird,“ heißt es in der Erklärung des BUND Schleswig-Holstein vom 11.7.2022.
Und eineinhalb Jahre später heißt es in einer umfangreichen Stellungnahme an den Kreis Dithmarschen:
„Diese zwingend notwendige Gesamtbetrachtung und nachhaltige Beurteilung des Projektes wurde bislang unterlassen. Für die Entscheidungsträger*innen und die Menschen der Region werden die Gesamtauswirkungen des Projektes weder im Einzelnen noch nachhaltig in der Gesamtheit deutlich und erkennbar. Stattdessen werden in Form einer scheibchenweisen Betrachtung einzelner Teilelemente die Gesamtauswirkungen vernebelt und intransparent gemacht. (…) Der BUND SH bedauert es außerordentlich, dass aufgrund der wiederholt kritisierten mangelhaften und wenig nachhaltigen Planungsweise ein grundsätzlich positives Ansiedlungsprojekt, welches bei einer sachgerechten Planung ein ökologisch, sozial und wirtschaftlich vorteilhaftes Leuchtturmprojekt im Lande hätte werden können in ein derartig intransparentes ‚Planungschaos‘ getrieben wird.
Es besteht ein überragendes öffentliches Interesse daran, dass die Gesamtauswirkungen einer Planung auf die Region, die Umwelt und die Menschen nachhaltig betrachtet, bewertet und in transparente Entscheidungen umgesetzt werden können. Stattdessen fällt ein möglicher guter Ansatz hier der Intransparenz und Salamitaktik in auch rechtlich fragwürdiger Form anheim.
Diese Praxis wird weder den Menschen der Region gerecht noch genügt sie den Grundanforderungen nachhaltiger umwelt- und klimagerechter Planung.“ [5]
Auf Grundlage dieser Einschätzung hatte der BUND im April 2024 Klage vor dem Verwaltungsgericht in Schleswigs eingereicht. Dabei ging es um zwei wasserrechtliche Genehmigungen, die der Kreis Dithmarschen erteilt hatte - und die laut BUND ohne vorherige Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgt seien. Die erteilten Genehmigungen erlauben laut BUND das Zuschütten, Verlegen und Kanalisieren von Gewässern, um das Baugrundstück zu erschließen. In der Folge könne sich die Wasserqualität verschlechtern, so die Kritik. Ende Juni zog der BUND diese Klagen zurück. Viele Fragen hätten ausgeräumt werden können, so ein BUND-Sprecher.
Northvolt betont, dass das Wasserkonzept für die Fabrik besonders nachhaltig sei - die neuen Gewässer würden sogar naturnäher als die ursprünglichen. Auch die Wasserqualität werde, im Gegensatz zu den Befürchtungen des BUND, nicht beeinträchtigt.
Wie sieht es aktuell vor Ort aus? Probleme und Herausforderungen
Im März 2022 wurde im Foyer der Fachhochschule Westküste (FHW) in Heide der Bau einer Batteriezellenfabrik des schwedischen Unternehmens offiziell verkündet. Ende Februar 2024 fand im Berufsbildungszentrum in Heide ein Treffen unter dem Motto "Northvolt trifft Wirtschaft" statt. Northvolt hatte zusammen mit der Industrie-und Handelskammer, der Kreishandwerkerschaft Dithmarschen, dem Unternehmensverband Unterelbe-Westküste und der Entwicklungsgesellschaft Region Heide (EARH) zu dem Treffen eingeladen. Ziel der Veranstaltung: Die Betriebe aus Handwerk, Handel und Industrie aus der Region sollen beim Bau der Batteriefabrik tatkräftig mithelfen. Über 500 Handwerksmeister und Vertreter von kleinen und mittelständischen Unternehmen aus ganz Schleswig-Holstein waren gekommen. Viele von ihnen stehen jetzt in den Startlöchern und hoffen, dass es mit dem Bau zügig voran geht.
Am 25. März 2024 erfolgte dann der medienwirksam inszenierte „Spatenstich“ in Form eines gemeinsamen Boßel-Werfens. Angereist waren Bundeskanzler, Wirtschaftsminister, Ministerpräsident, Botschafterin und Firmenchef. Die Anwesenden hoben hervor, dass es sich hier um eines der größten Industrieprojekte Deutschlands handelt. Die erste Zellmontage ist für das Jahr 2026 geplant. Im Endausbau von 2029 an sollen mit 3000 Beschäftigten jährlich Batteriezellen für eine Million E-Autos hergestellt werden. Das Versprechen „grüner Batterien“ knüpft das Unternehmen vor allem an die Verwendung erneuerbarer Energien. Dass es in Dithmarschen Windstrom im Übermaß gibt, war angeblich entscheidend für die Standortentscheidung, Northvolt-Chef Carlsson rechne dabei mit Strom zu Preisen von 5 bis 6 Cent je Kilowattstunde (c/kw) um wettbewerbsfähig zu sein (zum Vergleich: der durchschnittliche Industriestrompreis in Schleswig-Holstein beträgt 2024 etwa 17 c/kw).
Seit Ende März wird auf dem Gelände der zukünftigen Batteriefabrik gebaut. Das 170 Hektar große Areal gehört zu den drei Gemeinden Norderwöhrden, Wesseln und Neuenkirchen; alle drei Dörfer gehören zum Amt Heider Umland. Die Mitarbeitenden des Amtes beraten die ehrenamtlichen Gemeindevertreter und bereiten die notwendige Bauleitplanung vor. Derzeit laufen die Arbeiten für die Pfahlgründung. Bagger und schwere Lkw bereiten auf dem Gelände die Fläche für die weiteren Bauarbeiten vor. Vor allem werden noch weitere Flächen benötigt, damit Zulieferer sich so schnell wie möglich nahe der Batteriefabrik ansiedeln können. Aus der Sicht des Beratungsunternehmen CIMA aus Lübeck ist auch für Northvolt entscheidend, dass bestimmte Komponenten und Services in einem nahen Umfeld angesiedelt werden können. Eine entscheidende Rolle komme nun der neuen Grundstücksgesellschaft des Kreises zu. „Es fehlten aber noch einige wichtige Punkte, damit die Gesellschaft ins Arbeiten kommt,“ so Dithmarschens Landrat Schütt. „Die Gesellschaft soll ja über einen Fonds des Landes finanziert werden, und dazu brauchen wir noch die rechtlichen Rahmenbedingungen." Diese Punkte müsse man sorgfältig abarbeiten, denn Kreis und Land seien schließlich den Steuerzahlern verpflichte. Er hofft, dass alles bis Ende des Jahres geklärt ist, damit die Grundstücksgesellschaft dann ihre Arbeit aufnehmen und Gespräche mit Landbesitzern in den Gemeinden führen kann.[6]
Neben den Gewerbeflächen für Zuliefererbetriebe stehen die Mammutaufgaben Ausbau des Schienennetzes für die Güterzüge in Richtung Hamburg, Schaffung neuer Wohnungen und zusätzlicher Kita- und Schulplätze auf der Tagesordnung. Federführend hierfür zeichnet die Entwicklungsgesellschaft Region Heide (EARH), deren Fachleute den gesamten Ansiedlungsprozess von Northvolt von Anfang an begleitet haben.
Zum Beispiel Wohnungsbau: 7.100 Wohneinheiten müssen nach deren Berechnungen in der Stadt Heide und den elf umliegenden Gemeinden gebaut werden. Die Bürgermeister gehen davon aus, dass ein bestimmter Prozentsatz des neu zu schaffenden Wohnraums den „Einheimischen“ vorbehalten ist. Es soll nämlich nicht das Gefühl entstehen, alle Maßnahmen würden sich nur um Northvolt drehen.
Verkehrsanbindung: „Die Realität gleicht eher einem Albtraum“
Weder der Zustand der Schienennetze im Güter- noch im Personenverkehr ist für ein Projekt wie das Batterie-Werk ausgelegt. Northvolt wirbt damit, die „grünste Batterie der Welt" zu produzieren. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, müssen die Produkte möglichst per Bahn zu den Kunden gebracht werden. Auch die bis 3.000 Mitarbeitenden sollen möglichst mit der Bahn zur Arbeit kommen können - auch wenn sie eher am Hamburger Rand wohnen werden als in Heide und Umgebung.
„Doch so schön der Traum des schwedischen Start-Ups von einer solchen Infrastruktur in Schleswig-Holstein ist, die Realität gleicht eher einem Albtraum.
Um nach Hamburg zu kommen, müssten die Züge über den Nord-Ostsee-Kanal. Die Hochbrücke Hochdonn auf der Hauptroute, der sogenannten Marschbahnstrecke, ist für solche Lasten gar nicht ausgelegt. Das Land lässt im Moment nach eigenen Angaben prüfen, ob die Brücke so verstärkt werden könnte, dass die Northvolt-Züge sie nutzen können. Eine Alternativroute wäre die Strecke über die Grünentaler Hochbrücke zwischen Heide und Neumünster. Doch die Regionalbahn-Strecke über die Dörfer hat nur ein Gleis und ist nur für maximal 80 Stundenkilometer zugelassen - zu wenig für die 24 Northvolt-Züge. Beide Strecken sind nicht elektrifiziert. So oder so können also - wie bisher auch - nur Loks mit alter Diesel-Technik zum Hightech-Unternehmen fahren.
Nicht nur Güter müssen das Northvolt-Werk erreichen und verlassen können, sondern auch die 3.000 Mitarbeitenden. Nicht alle werden direkt in der Region wohnen. Es wird zum Beispiel auch Pendlerinnen und Pendler geben, die aus Hamburg, dem Kreis Pinneberg und dem Kreis Steinburg zur Fabrik fahren. Wer heutzutage in Hamburg-Altona in die Bahn steigt und nach Heide fährt, braucht eine Stunde und 30 Minuten. Das sei zu lang, sagt Northvolt. Eine Voraussetzung für die Schweden, sich hier anzusiedeln, war damals auch, dass Menschen aus Hamburg in weniger als einer Stunde mit der Bahn in Heide sind. Damit das funktioniert, müsste ein neues Gleis zwischen Horst im Kreis Steinburg und Itzehoe gebaut werden. Ein neuer Abschnitt entlang der Marschbahnstrecke, eine verstärkte oder neue Hochbrücke in Hochdonn oder eine ausgebaute Strecke zwischen Neumünster und Heide - all diese Vorhaben würden in normalen Verfahren Jahrzehnte dauern.“ [7]
Satte Fördermittel für Northvolt von EU, Bund und Land
Der Investitionsbedarf für die Northvolt-Batteriefabrik wird auf etwa 4,5 Milliarden Euro beziffert. Aufgrund eines EU-Programms werden dem Unternehmen knapp eine Milliarde Euro an Fördermitteln von EU, Bund und Land zugesprochen. Das Bundeswirtschaftsministerium stellt Northvolt 564 Euro Millionen zur Verfügung, der schleswig-holsteinische Landtag hat einen Förderungsbetrag von 136 Millionen Euro bewilligt. „Viel Geld für Northvolt trotz Haushaltssperre“ befand selbst die eben nicht besonders wirtschaftskritische FAZ. (4.12.2023). Im Januar 2024 genehmigte die EU-Kommission abschließend die vorgesehenen Fördermittel. Ohne die Subvention hätte sich Northvolt nach Angaben der Kommission für einen Standort in den USA entschieden. „Diese Maßnahme im Umfang von 902 Millionen Euro ist die erste Einzelbeihilfe, die genehmigt wurde, um zu verhindern, dass eine Investition in ein Land außerhalb Europas verlagert wird", sagte die seinerzeit für Wettbewerb zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager. Die EU will strategisch wichtige Technologien wie Batterien und Halbleiter verstärkt selbst produzieren, um unabhängiger von Drittstaaten wie China und den USA zu werden.
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) sieht diese Subventionen kritisch und fürchtet, dass Konzerne letztendlich Regierungen gegeneinander ausspielen.
„Es ist ein Irrweg, sich in diesen Subventionswettlauf hineinziehen zu lassen. Vermutlich wäre Northvolts Investment auch mit weit weniger Subventionen lohnend gewesen, was nur die Anteilseigner freut. Das Geld muss nun vom Steuerzahler aufgebracht werden und fehlt an anderer Stelle, etwa bei Investitionen in Bildung oder Infrastruktur.“[8]
Wenn im Zusammenhang mit Northvolt mitunter immer noch etwas verniedlichend von einem „Start-Up“ gesprochen wird, verkennt das die reale Konzernstruktur. Größter Anteilseigner von Northvolt ist Volkswagen (21,1 Prozent). Weiterhin sind an dem Unternehmen BMW, Scania und Volvo beteiligt. Die US-Bank Goldman Sachs und die Investmentgesellschaft Blackrock gehören ebenfalls zu den Investoren. Staatliche Subventionen in Millionenhöhe für Konzerne, Banken und Investment-Heuschrecken, die Milliarden Gewinne machen und ihren Aktionär:innen satte Dividenden ausschütten?
Vom Elend staatlicher Subventionspolitik für Konzerne
In Politikerporträts über Olaf Scholz wird gern (und etwas hämisch) daran erinnert, dass er als Juso-Aktivist strammer Stamokap-Anhänger war. Was besagt die Stamokap-Theorie? Lenin prägte um 1917 herum den Begriff „staatsmonopolistischer Kapitalismus“, den er als allerletzte Weiterentwicklung des faulenden, parasitären Imperialismus betrachtete. Wenige große Konzerne und Banken verwachsen mit den staatlichen Organen, daraus resultiere eine alles durchdringende politisch-ökonomische Herrschaftsstruktur. Vor allem in den 70er Jahren fand diese Theorie insbesondere in der DKP, ihnen nahestehenden Ökonomen, einzelnen Sozialdemokraten (Klose: „Der Staat als Reparaturbetrieb des Kapitalismus“) und Jungsozialisten Zustimmung.
In den 80er Jahren geriet dieser theoretische Ansatz ein wenig aus dem Blickfeld angesichts der Fokussierung auf die neoliberale vom Shareholder- und Finanzkapital dominierte Ökonomie. Doch spätestens mit der Finanzkrise (2007ff) meldete sich „der Staat“ auch wieder sichtbar als ökonomischer Akteur zurück. Der Ökonom Jörg Huffschmid wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Stamokap-Theorie (SMK) also nicht obsolet sei. „Die Interessen der Automobilindustrie müssen sich zwar nicht zwangsläufig und aufgrund der Logik des SMK durchsetzen“, schrieb er: „Nur: Faktisch tun sie es.“[9]
Subventionierung von Großkonzernen, die ihre Profitziele verfehlen und dann dem Staat mit Abwanderung und Vernichtung von Arbeitsplätzen drohen, wenn staatliche Subventionen ausbleiben sollten, sind seither auf der Tagesordnung (besonders ausgeprägt seit der Corona-Zeit).
Der Soziologe Klaus Dörre schreibt dazu zutreffend:
„Der Kapitalismus muss zur Stabilisierung seiner Herrschaft immer aufwendigere Investitionen tätigen. Man muss nur anschauen, was die Gesellschaft leisten muss, um Tesla die Produktion von E-Autos zu ermöglichen (oder Northvolt den Bau der Batteriefabrik, G.St.). Angefangen vom Bahnhof, der da hingebaut wird, über die Lade-Infrastruktur und so weiter. Würde man das alles den Konzernen in Rechnung stellen, würde es schwierig werden mit der Profitproduktion. Die Befürworter des Kapitalismus betonen ja immer, ihr System sei sehr effizient bei der Produktion gesellschaftlichen Reichtums. Aber das kann man mittlerweile wirklich nicht mehr behaupten. Der Kapitalismus ist ein System, das, um fortzubestehen, viele Bereiche regelrecht ausplündern muss.
Wir können uns den Kapitalismus nicht mehr leisten – das wäre meine These.“ [10]
[1]manager-magazin 9.9.2024
[2]Europas Batteriepläne kommen unter die Räder, FAZ 18.7.24
[3] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/238001
[4]„Wir nehmen es mit den Asiaten auf“, FAZ 1.7.2023
[5] Stellungnahme zum wasserrechtlichen Plangenehmigungsverfahren im Zuge der Errichtung einer Batteriefabrik in den Gemeinden Lohe-Rickelshof und Norderwöhrden, gerichtet an den Kreis Dithmarschen, Fachdienst Wasser, Boden Abfall. BUND SH 18.1.2024
[6] ndr-online 10.8.2024
[7] ndr-online 23.2.24
[8] FAZ 26.3.2024
[9] Huffschmid, Jörg: Die Rückkehr des Staates. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, November 2008
[10] Interview mit dem Soziologen Klaus Dörre, ND 14.6.24
Der Zustand der US-Wirtschaft und die Parlamentswahlen
Tatsächlich scheint es überhaupt keine Landung zu geben.
Manche nennen es due Benjamin-Button-Wirtschaft: Die US-Wirtschaft wird immer jüger und besser. [1]
Warum liegt die Kandidatin der amtierenden demokratischen Regierung, Kamala Harris, in den Umfragen nur Kopf an Kopf mit dem republikanischen ehemaligen Präsidenten Donald Trump? Tatsächlich rechnet die Wettwelt damit, dass Trump gewinnen wird.
Wie kann das sein, wenn es der US-Wirtschaft so gut geht?
Es scheint, dass ein ausreichender Teil der Wählerschaft nicht so sehr von einer prosperierenden und besseren Zeit für sie überzeugt ist. In der jüngsten Umfrage des WSJ bewerteten 62 % der Befragten die Wirtschaft als „nicht so gut“ oder „schlecht“, was den Mangel an politischer Dividende für Präsident Biden oder Harris erklärt.
Ich denke, dass es dafür zwei Gründe gibt. Erstens mag das reale BIP der USA zwar wachsen und die Preise für Finanzanlagen boomen, aber für den durchschnittlichen amerikanischen Haushalt, von dem kaum jemand Finanzanlagen besitzt, mit denen er spekulieren könnte, sieht die Sache anders aus.
Während reiche Investoren ihr Vermögen vermehren, haben die Amerikaner unter den Regierungen Trump und Biden eine schreckliche Pandemie erlebt, gefolgt vom größten Einbruch des Lebensstandards seit den 1930er Jahren, der durch einen sehr starken Anstieg der Preise für Konsumgüter und Dienstleistungen verursacht wurde.
Die durchschnittlichen Lohnerhöhungen konnten bis vor etwa sechs Monaten nicht Schritt halten. Und offiziell sind die Preise immer noch um etwa 20 % höher als vor der Pandemie, aber viele andere Posten, die nicht im offiziellen Inflationsindex erfasst sind (Versicherungen, Hypothekenzinsen usw.), sind in die Höhe geschossen. Nach Steuern und Inflation sind die Durchschnittseinkommen also so gut wie gleich hoch wie zu Beginn der Amtszeit von Biden.
US real disposable personal income
Kein Wunder, dass in einer kürzlich durchgeführten Umfrage 56 % der Amerikaner der Meinung waren, dass sich die USA in einer Rezession befinden, und 72 % dachten, dass die Inflation steigt. Die Welt mag für Börseninvestoren, die „Magnificent Seven“-Hightech-Social-Media-Unternehmen und die Milliardäre großartig sein, aber für viele Amerikaner ist sie es nicht.
Diese Diskrepanz zwischen den optimistischen Ansichten der Babyboomer-Generation der Mainstream-Ökonomen und den „subjektiven“ Gefühlen der meisten Amerikaner wird als „Vibecession“ bezeichnet. Die Stimmung der amerikanischen Verbraucher ist seit Bidens Amtsantritt deutlich schlechter.
Die Amerikaner sind sich der Kosten bewusst, die in den offiziellen Indizes und von den Mainstream-Ökonomen ignoriert werden. Die Hypothekenzinsen haben den höchsten Stand seit 20 Jahren erreicht und die Immobilienpreise sind auf Rekordniveau gestiegen. Die Prämien für Kfz- und Krankenversicherungen sind in die Höhe geschossen.
Tatsächlich wird die Einkommens- und Vermögensungleichheit in den USA, die zu den höchsten der Welt gehört, immer schlimmer. Die obersten 1 % der Amerikaner verfügen über 21 % aller persönlichen Einkommen, mehr als doppelt so viel wie die untersten 50 %! Und die obersten 1 % der Amerikaner besitzen 35 % des gesamten Privatvermögens, während 10 % der Amerikaner 71 % besitzen; die untersten 50 % besitzen jedoch nur 10 %!
Shares of US personal income
Shares of US personal wealth
Wenn man sich die viel gepriesenen realen BIP-Zahlen genauer ansieht, wird deutlich, warum die meisten Amerikaner kaum davon profitieren. Die BIP-Rate wird von den Gesundheitsdiensten bestimmt, die in Wirklichkeit die steigenden Kosten der Krankenversicherung messen, nicht eine bessere Gesundheitsversorgung, und diese Kosten sind in den letzten drei Jahren in die Höhe geschossen. Und dann gibt es steigende Lagerbestände, d. h. unverkaufte Warenbestände, mit anderen Worten: Produktion ohne Absatz. Und dann gibt es erhöhte Staatsausgaben, hauptsächlich für die Rüstungsindustrie, was kaum ein produktiver Beitrag ist.
Wenn wir uns die Wirtschaftstätigkeit im verarbeitenden Gewerbe der USA ansehen, basierend auf der sogenannten Umfrage unter Einkaufsmanagern, zeigt der Index, dass das verarbeitende Gewerbe in den USA in den vier Monaten vor der Wahl im November geschrumpft ist (jeder Wert unter 50 bedeutet Schrumpfung).
US Manufacturing PMI
Die Regierung und die Mainstream-Medien verkünden die niedrige Arbeitslosenquote in den USA. Ein Großteil des Nettoanstiegs der Arbeitsplätze entfällt jedoch auf Teilzeitbeschäftigung oder auf staatliche Stellen auf Bundes- und Landesebene. Die Vollzeitbeschäftigung in wichtigen produktiven Sektoren, die besser bezahlt werden und eine Karriere ermöglichen, hinkt hinterher. Wenn ein Arbeitnehmer einen Zweitjob annehmen muss, um seinen Lebensstandard aufrechtzuerhalten, ist er möglicherweise nicht mehr so optimistisch, was die Wirtschaft angeht. Tatsächlich haben Zweitjobs erheblich zugenommen.
Und der Arbeitsmarkt beginnt sich zum Schlechten zu wenden. Der monatliche Nettozuwachs an Arbeitsplätzen ist rückläufig, mit zuletzt nur +12.000 im Oktober (teilweise beeinflusst durch Hurrikane und den Boeing-Streik).
Month-over-month change in total nonfarm employment
Sowohl die Zahl der Stellenangebote als auch die der Kündigungen ist auf ein Niveau gesunken, das normalerweise in Rezessionszeiten zu beobachten ist. Unternehmen zögern, Vollzeitkräfte einzustellen, und Arbeitnehmer zögern, zu kündigen, da sie sich Sorgen um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes machen und es immer weniger offene Stellen gibt.
US Job Offers
Job Quits
Die etablierten Ökonomen loben die zweifellos bessere Leistung der US-Wirtschaft im Vergleich zu Europa und Japan und im Vergleich zum Rest der kapitalistischen G7-Volkswirtschaften insgesamt. Aber eine durchschnittliche reale BIP-Wachstumsrate von 2,5 % ist im Vergleich zu den 1960er Jahren oder sogar den 1990er Jahren oder vor der Großen Rezession von 2008 oder vor dem pandemiebedingten Einbruch von 2020 kaum ein Erfolg.
Die großen Volkswirtschaften befinden sich nach wie vor in einer Situation, die ich als „lange Depression“ bezeichnet habe, d. h. nach jedem Einbruch oder jeder Kontraktion (2008-9 und 2020) folgt ein niedrigerer Verlauf des realen BIP-Wachstums – d. h. der vorherige Trend wird nicht wiederhergestellt. Die Trendwachstumsrate vor dem globalen Finanzcrash (GFC) und der Großen Rezession ist nicht zurückgekehrt; und der Wachstumspfad ist nach dem pandemiebedingten Einbruch von 2020 noch weiter gesunken. Kanada liegt immer noch 9 % unter dem Trend vor der globalen Finanzkrise, die Eurozone 15 %, das Vereinigte Königreich 17 % und selbst die USA liegen immer noch 9 % darunter.
Darüber hinaus ist ein Großteil der überdurchschnittlichen Wirtschaftsleistung der USA auf einen starken Anstieg der Nettozuwanderung zurückzuführen, der doppelt so schnell ist wie in der Eurozone und dreimal so schnell wie in Japan. Laut dem Congressional Budget Office wird die Zahl der Arbeitskräfte (nicht der Beschäftigten) in den USA bis 2033 um 5,2 Millionen Menschen gestiegen sein, was hauptsächlich auf die Nettozuwanderung zurückzuführen ist. Die Wirtschaft wird in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich um 7 Billionen US-Dollar mehr wachsen als ohne den neuen Zustrom von Einwanderern.
Es ist also eine große Ironie, dass der zweite Grund, warum die Harris-Kampagne nicht weit vor Trump liegt, die Frage der Einwanderung ist. Es scheint, dass viele Amerikaner die Eindämmung der Einwanderung als ein zentrales politisches Thema betrachten – d. h. sie machen zu viele Einwanderer für das geringe Realeinkommenswachstum und schlecht bezahlte Arbeitsplätze verantwortlich, obwohl das Gegenteil der Fall ist. In der Tat werden das Wirtschaftswachstum und der Lebensstandard der USA leiden, wenn das Einwanderungswachstum nachlässt oder wenn eine neue Regierung die Einwanderung stark einschränkt oder sogar verbietet.
Die einzige Möglichkeit, wie die US-Wirtschaft in diesem Jahrzehnt ein reales BIP-Wachstum von 2,5 % pro Jahr aufrechterhalten könnte, wäre eine sehr starke Steigerung der Produktivität der amerikanischen Arbeitskräfte. Doch im Laufe der Jahrzehnte hat sich das Produktivitätswachstum in den USA verlangsamt. In den 1990er Jahren lag das durchschnittliche Produktivitätswachstum bei 2 % pro Jahr und in den kreditfinanzierten 2000er Jahren der Dotcom-Ära sogar noch schneller bei 2,6 % pro Jahr. In den Jahren der langen Depression in den 2010er Jahren rutschte die durchschnittliche Rate jedoch auf den niedrigsten Stand von 1,4 % pro Jahr ab. Seit der Großen Rezession von 2008 bis 2023 ist die Produktivität nur um 1,7 % pro Jahr gestiegen. Wenn die Zahl der Erwerbstätigen nicht weiter steigen würde, weil die Einwanderung gebremst wurde, würde das reale BIP-Wachstum wieder unter 2 % pro Jahr fallen.
US-productivity of labour growth
Die allgemeine Hoffnung, dass die enormen Subventionen, die die Regierung in die großen High-Tech-Unternehmen pumpt, die Investitionen in produktivitätssteigernde Projekte ankurbeln werden, insbesondere die massiven Ausgaben für KI, werden letztendlich zu einem anhaltenden, sprunghaften Anstieg des Produktivitätswachstums führen. Aber diese Aussicht bleibt ungewiss und zweifelhaft - zumindest angesichts des Tempos, mit dem diese neuen Technologien in die US-Wirtschaft einfließen.
Bisher ist das Produktivitätswachstum hauptsächlich in der klimaschädlichen und umweltschädlichen fossilen Brennstoffindustrie zu verzeichnen, und es gibt kaum Anzeichen für eine Ausweitung auf andere Sektoren.
Energy Sector leads productivity gains
Seit 2010 hat sich die Öl- und Gasproduktion in den USA fast verdoppelt, und dennoch ist die Beschäftigung im vorgelagerten Sektor zurückgegangen. Die Produktivitätssteigerungen in diesem Sektor wurden also durch sinkende Beschäftigung erzielt.
Es besteht die ernsthafte Gefahr, dass eine riesige Investitionsblase entsteht, die durch erhöhte Verschuldung und staatliche Subventionen finanziert wird und die zusammenbrechen könnte, wenn die Kapitalrenditen für den US-Unternehmenssektor aus KI und Hightech ausbleiben. Die Realität sieht so aus, dass abgesehen vom Gewinnboom der sogenannten Magnificent Seven der Hightech-Giganten aus dem Bereich Social Media die durchschnittliche Rentabilität der produktiven Sektoren des US-Kapitalismus auf einem historischen Tiefstand ist.
US non-financial sector rate of profit
Ja, die Gewinne der Magnificent Seven sind sehr hoch und die Gewinnspannen sind hoch, aber das Gesamtgewinnwachstum des nichtfinanziellen Unternehmenssektors der USA ist fast zum Stillstand gekommen.
US non-financial sector corporate profits
Und denken Sie daran, es ist mittlerweile allgemein bekannt, dass Gewinne in einer kapitalistischen Wirtschaft Investitionen und dann die Beschäftigung anführen. Wo Gewinne hinführen, folgen Investitionen und Beschäftigung mit Verzögerung.
Us non-financial profits and business investment % yoy
Kein Bild
Wenn das Investitionswachstum sinkt, wird das erwartete Produktivitätswachstum nicht eintreten.
Darüber hinaus sind die Gesamtgewinndaten in zweierlei Hinsicht verzerrt. Erstens konzentrieren sich die Gewinne stark auf die großen Megakonzerne, während die kleinen und mittleren Unternehmen mit der Last hoher Zinssätze für ihre Kredite und gedrückten Kosten für Rohstoffe und Arbeitskräfte zu kämpfen haben.
Exhibits 4 Borrow costs
Kein Bild
Rund 42 % der Small-Cap-Unternehmen in den USA sind unrentabel, der höchste Wert seit der Pandemie im Jahr 2020, als 53 % der Small Caps Geld verloren.
Percent of unprofitable companies
Zweitens ist ein Großteil des Gewinnanstiegs fiktiv (um Marx' Begriff für Gewinne zu verwenden, die durch den Kauf und Verkauf von Finanzanlagen erzielt werden, die angeblich reale Vermögenswerte und Gewinne von Unternehmen darstellen, dies aber nicht tun). Nach der Methode von Jos Watterton und Murray Smith, zwei marxistischen Ökonomen aus Kanada, schätze ich, dass fiktive Gewinne inzwischen etwa die Hälfte der Gesamtgewinne im Finanzsektor ausmachen. Wenn diese bei einem Finanzcrash verschwinden würden, würde dies den amerikanischen Unternehmen ernsthaft schaden.
Us-financial sector profits-real and fictious §bn
Und das bringt uns zum Thema steigende Verschuldung, sowohl im US-Unternehmenssektor als auch im öffentlichen Sektor. Wenn die KI-Blase platzen würde, wären viele Unternehmen mit einer Schuldenkrise konfrontiert. Laut S&P Global Ratings sind im Jahr 2024 bereits mehr US-Unternehmen ihren Schulden nicht nachgekommen als jemals zuvor zu Jahresbeginn seit der globalen Finanzkrise, da der Inflationsdruck und die hohen Zinssätze die risikoreichsten Unternehmenskreditnehmer weiterhin belasten.
Us Chapter Bankruptcy fillings
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Und vergessen Sie nicht die „Zombies“, d. h. Unternehmen, die bereits jetzt nicht in der Lage sind, ihre Schuldendienstkosten aus Gewinnen zu decken, und daher nicht investieren oder expandieren können, sondern einfach so weitermachen wie die lebenden Toten. Sie haben sich vermehrt und überleben bisher, indem sie sich noch mehr Geld leihen – und sind daher anfällig für hohe Kreditzinsen.
The zombie apocalypset
Kein Bild
Wenn die Unternehmensinsolvenzen zunehmen, wird dies die Gläubiger, d. h. die Banken, erneut unter Druck setzen. Im vergangenen März gab es bereits eine Bankenkrise, die zum Zusammenbruch mehrerer kleiner Banken führte, während die übrigen Banken durch Notfinanzierungen der staatlichen Regulierungsbehörden in Höhe von über 100 Milliarden US-Dollar gerettet wurden. Ich habe bereits auf die versteckte Gefahr von Krediten hingewiesen, die von sogenannten „Schattenbanken“ gehalten werden, d. h. von Nichtbanken, die große Summen für spekulative Finanzinvestitionen verliehen haben.
Und nicht nur der Unternehmenssektor gerät unter Druck, seinen Schuldendienst zu leisten. Während des Präsidentschaftswahlkampfs in den USA in den letzten Monaten haben beide Kandidaten, Kamala Harris und Donald Trump, ein Thema ignoriert. Es geht um die Höhe der Staatsverschuldung. Aber diese Verschuldung ist von Bedeutung.
Die US-Regierung hat in diesem Jahr bisher 659 Milliarden Dollar für die Zahlung der Zinsen auf ihre Schulden ausgegeben, da die Zinserhöhungen der Federal Reserve die Kreditkosten der Bundesregierung dramatisch in die Höhe getrieben haben. Die Verschuldung des öffentlichen Sektors, die derzeit auf 35 Billionen US-Dollar oder rund 100 % des BIP geschätzt wird, kennt nur eine Richtung: nach oben. Die Schuldenlast wird voraussichtlich weiter steigen und könnte laut einer Prognose des Congressional Budget Office (CBO) der USA innerhalb der nächsten 10 Jahre 50 Billionen US-Dollar erreichen.
Das CBO berichtet, dass die von der Öffentlichkeit gehaltenen Bundesanleihen (d. h. die „Nettoverschuldung“) im letzten halben Jahrhundert durchschnittlich 48,3 % des BIP ausmachten. Das CBO prognostiziert jedoch, dass die Nettoverschuldung bis zum nächsten Jahr, 2025, zum ersten Mal seit dem militärischen Aufrüstungsprogramm der USA im Zweiten Weltkrieg größer sein wird als die jährliche Wirtschaftsleistung und bis 2034 auf 122,4 % steigen wird.
Us government debt is expected to rise signifinactly
Aber ist diese steigende Staatsverschuldung von Bedeutung? Der Vorschlag, dass die US-Regierung irgendwann aufhören muss, Haushaltsdefizite zu machen und die steigende Verschuldung einzudämmen, wurde von Vertretern der Modern Monetary Theory (MMT) entschieden abgelehnt. MMT-Befürworter argumentieren, dass Regierungen permanente Haushaltsdefizite machen können und sollten, bis die Vollbeschäftigung erreicht ist. Und es besteht keine Notwendigkeit, diese jährlichen Defizite durch die Ausgabe von mehr Staatsanleihen zu finanzieren, da die Regierung die Rechnungseinheit, den Dollar, kontrolliert, den jeder verwenden muss. Die Federal Reserve kann also einfach Dollar „drucken“, um die Defizite zu finanzieren, wie es das Finanzministerium verlangt. Vollbeschäftigung und Wachstum werden dann folgen.
Ich habe die Schwachstellen des MMT-Arguments in anderen Beiträgen ausführlich erörtert, aber das Hauptanliegen hier ist, dass die Staatsausgaben, wie auch immer finanziert, möglicherweise nicht die notwendigen Investitionen und Beschäftigungszuwächse erzielen. Das liegt daran, dass die Regierung dem kapitalistischen Sektor die Entscheidungsgewalt über Investitionen und Arbeitsplätze nicht aus der Hand nimmt. Der Großteil der Investitionen und der Beschäftigung bleibt unter der Kontrolle kapitalistischer Unternehmen, nicht des Staates. Und wie ich oben argumentiert habe, bedeutet dies, dass Investitionen von der erwarteten Rentabilität des Kapitals abhängen.
Lassen Sie mich die Worte von Michael Pettis, einem überzeugten keynesianischen Ökonomen, wiederholen: "Das Fazit lautet: Wenn die Regierung zusätzliche Mittel so ausgeben kann, dass das BIP schneller wächst als die Verschuldung, müssen sich Politiker keine Sorgen über eine galoppierende Inflation oder eine Anhäufung von Schulden machen. Wenn dieses Geld jedoch nicht produktiv eingesetzt wird, ist das Gegenteil der Fall.„ Das liegt daran, dass “die Schaffung oder Kreditaufnahme von Geld den Wohlstand eines Landes nicht erhöht, es sei denn, dies führt direkt oder indirekt zu einer Erhöhung der produktiven Investitionen ...Wenn US-Unternehmen nicht deshalb zögern zu investieren, weil die Kapitalkosten hoch sind, sondern weil die erwartete Rentabilität niedrig ist, ist es unwahrscheinlich, dass sie ... mit höheren Investitionen reagieren."
Darüber hinaus nimmt die US-Regierung Kredite hauptsächlich zur Finanzierung des laufenden Verbrauchs auf, nicht für Investitionen. Wenn man also die Federal Reserve dazu bringt, das Geld zu „drucken“, das zur Deckung der geplanten Staatsausgaben benötigt wird, wird dies nur zu einer starken Abwertung des Dollars und einem Anstieg der Inflation führen.
Steigende Schulden erhöhen die Nachfrage der Anleihekäufer nach höheren Zinssätzen, um sich gegen Zahlungsausfälle abzusichern. Für die USA bedeutet dies, dass jeder Anstieg der Schuldenquote um einen Prozentpunkt die längerfristigen Realzinsen um ein bis sechs Basispunkte erhöht. Je mehr die Schulden wachsen, desto mehr muss die Regierung an Zinsen für den Schuldendienst aufbringen – und desto weniger Geld hat die US-Regierung für andere Prioritäten wie die Sozialversicherung und andere wichtige Teile des sozialen Sicherheitsnetzes zur Verfügung. Die Zinskosten haben sich in den letzten drei Jahren fast verdoppelt, von 345 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 auf 659 Milliarden US-Dollar im Jahr 2023. Die Zinsen sind jetzt das viertgrößte Regierungsprogramm, nach der Sozialversicherung, Medicare und der Verteidigung. Im Verhältnis zur Wirtschaft stiegen die Nettozinskosten von 1,6 Prozent des BIP im Jahr 2020 auf 2,5 Prozent im Jahr 2023.
In seiner jüngsten Prognose geht das CBO davon aus, dass die Zinsen in den nächsten zehn Jahren mehr als 10 Billionen US-Dollar kosten und bis 2027 den Verteidigungshaushalt übersteigen werden. Seitdem sind die Zinssätze weitaus stärker gestiegen als vom CBO prognostiziert. Wenn die Zinssätze etwa 1 Prozentpunkt über den vorherigen Prognosen bleiben, würden die Zinsen für die Staatsverschuldung in den nächsten zehn Jahren mehr als 13 Billionen US-Dollar kosten, bereits im nächsten Jahr, 2025, den Verteidigungshaushalt übersteigen und 2026 zum zweitgrößten Regierungsprogramm werden und Medicare übertreffen.
Amerikas wirtschaftliche Stärke gibt dem Land einen beträchtlichen Spielraum. Die Rolle des Dollars als internationale Reservewährung bedeutet, dass die Nachfrage nach US-Schulden allgegenwärtig ist, und KI-gesteuertes Produktivitätswachstum könnte tatsächlich dazu beitragen, die Schuldenprobleme zu verringern. Aber die Höhe der Staatsverschuldung kann nicht ignoriert werden. Die neue Regierung wird bald höhere Steuern und Kürzungen bei den Staatsausgaben einführen. Wenn sie dies nicht tut, werden die „Vigilanten“ der Anleihenmärkte ihre Käufe einschränken und den neuen Präsidenten ohnehin zu einer strengen Haushaltsdisziplin zwingen. Wie der Chefökonom des IWF, Pierre-Olivier Gourinchas, kurz vor dieser Wahl sagte: „Es muss sich etwas ändern.“ Bidenomics wird mit seinem Namensvetter vergehen.
[1] Anstelle des typischen vierstufigen Konjunkturzyklus - Anfang, Mitte, Ende und Rezession -, den wir seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt haben, scheint die Wirtschaft von den Merkmalen des späten Zyklus, der durch eine straffe Geldpolitik und steigenden Kostendruck gekennzeichnet ist, zur Mitte des Zyklus zurückzukehren, wo die Unternehmensgewinne ihren Höhepunkt erreichen, die Kreditnachfrage anzieht und die Geldpolitik im Allgemeinen neutral ist.
4-Tage-Woche erfolgreich getestet – Klare Positionierung der Gewerkschaften wichtig
Bundesweit hatten seit Anfang des Jahres 45 Firmen an einem Pilotprojekt teilgenommen, 41 haben die Testphase inzwischen abgeschlossen oder stehen kurz davor.
Nach den Aussagen der Unternehmensberatung Intraprenör haben sich 73 Prozent der beteiligten Unternehmen entschlossen, die Vier-Tage-Woche beizubehalten.
Der Umfang der praktizierten Arbeitsverkürzung war unterschiedlich: 20 Prozent weniger Wochenarbeitsstunden bei gleichem Lohn oder nur zehn Prozent oder noch weniger.
Bei 85 Prozent der beteiligten Unternehmen habe es jedoch einen vollen freien Tag pro Woche gegeben, sagt Intraprenör.
Nach Angaben der Initiatoren wurde die zusätzliche Freizeit als positiv wahrgenommen. Die Zahl der Stress- und Burnout-Meldungen sei deutlich zurückgegangen. Außerdem schliefen die Beschäftigten mit reduzierter Arbeitszeit durchschnittlich 38 Minuten pro Woche mehr als die Kontrollgruppe ohne Verkürzung.
Die Unternehmensberatung Intraprenör hat bei dem Test mit der Organisation „4 Day Week Global“ zusammenarbeitet, die schon in Großbritannien ein Experiment bei 61 Unternehmen mit insgesamt 2.900 Beschäftigten.dazu durchgeführt hat,
4-Tage-Woche als Modell in den Betrieben
Unabhängig von diesem Test gibt es derzeit unterschiedliche Ansätze, die 4-Tage-Woche umzusetzen:
- Verkürzte Wochenarbeitszeit bei gleichem Lohn (100-80-100-Modell)
Dabei verringern Unternehmen die wöchentliche Arbeitszeit, zahlen aber das volle Gehalt weiter, zum Beispiel im 100-80-100-Prinzip: 100 Prozent Lohn für 80 Prozent der Arbeitszeit bei 100 Prozent erreichten Produktivitätszielen. Bei einer 40-Stunden-Woche (8 x 5 Tage pro Woche) würde sich die Arbeitszeit auf 32 Stunden reduzieren (8 x 4 Tage pro Woche). Beispiele: Test-Modelle in Island oder Großbritannien.
- 4-Tage-Woche bei gleichbleibender Wochenarbeitszeit (Belgisches Modell):
Bei diesem Ansatz bleibt die Wochenarbeitszeit gleich, verteilt sich aber auf vier Tage. Dieses Modell kommt in Belgien zum Einsatz: Wenn aus betrieblichen Gründen nichts dagegenspricht, können Beschäftigte dort beantragen, an vier Tagen die Woche zu arbeiten. Am Gehalt ändert sich in diesem Modell durch die Neuverteilung der Arbeitszeit nichts. Beispiele hierzulande: Hotels in Hamburg, als Gegenmaßnahme zu Fachkräftemangel.
- Verkürzte Wochenarbeitszeit mit niedrigerem Lohn (Teilzeitarbeit):
Eine 4-Tage-Woche ist auch als Teilzeitmodell möglich, auf Antrag des einzelnen Beschäftigten.
Klare Positionierung der Gewerkschaften wichtig
Aus Sicht der Beschäftigten ist das Risiko der Arbeitsintensivierung durch diese Modelle groß.
Die gewerkschaftliche Position zur 4-Tage-Woche kann nur im Zusammenhang mit einer Arbeitszeitverkürzung (plus Lohnausgleich) glaubwürdig sein. Angesichts aktueller Drohungen von Managern, Arbeitsplätze abzubauen, ist dies die passende Antwort, um sinkendes Arbeitsvolumen zumindest betrieblich etwas auffangen zu können.
Aber auch der steigende Leistungsdruck durch die neue Technik ist ein Argument für die Verkürzung der Arbeitszeit. Die Einbindung der Beschäftigten über IT oder mobile Endgeräte führt zu einer enormen Verschärfung des Arbeitsdrucks. Jeder Schritt kann überwacht werden, Arbeiter sind – wie beim Versandkonzern Amazon – stets lokalisierbar und so beobachtbar. Der Technikeinsatz erfordert eher eine Begrenzung der Arbeitszeit, um den Stress nicht weiter auszuweiten.
Personalbemessung – eine wichtige Voraussetzung
Die Personalplanung bleibt der entscheidende Faktor: Wieviele Kollegen werden in der Schicht oder im Team benötigt, um die Aufgaben erledigen zu können? Kernstück der Personalplanung ist die Personalbedarfsplanung. Diese kann nur aus den Unternehmenszielen abgeleitet werden und steht deshalb in engen Zusammenhang mit der Produktions-, der Absatz- und der Investitionsplanung. Diese Informationen sind deshalb auch für den Betriebsrat von Bedeutung. Die Höhe der geplanten Produktion hat großen Einfluss auf die erforderliche Anzahl der Beschäftigten.
Vereinbarung zur Entlastung der Beschäftigten
Wie die Personalbemessung zum Thema wird, zeigt sich an Tarifvereinbarung in Krankenhäusern.
An diesen Erfahrungen müssen gewerkschaftliche Tarifkommissionen aller Branchen anknüpfen.
Für die Belegschaft geht es bei Arbeitszeiten auch um die Planbarkeit.
Dies setzt eine seriöse Planung des Personalbedarfs voraus.
Personalplanung und Personalbedarfsplanung sollten deshalb Bestandteil jedes Tarifvertrages zur Arbeitszeit sein.
Das jüngste Beispiel ist die Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Das Klinikum ist eine Dienststelle des Landes Niedersachsen. Nach monatelangen Verhandlungen und mehreren Streiktagen hat die Gewerkschaft Verdi jetzt eine Vereinbarung zur Entlastung der Beschäftigten erreicht.
In der Einigung ist ein Personalschlüssel festgelegt, der bestimmt, wie viel Pflegekräfte auf den Stationen zur Verfügung stehen müssen. Wird die Vorgabe unterschritten, erhält das betroffene Personal einen Belastungspunkt. Die Folge ist mehr Freizeit: Ab sieben Punkten steht den Beschäftigten ein zusätzlicher freier Tag zu. Die sind jedoch auf zehn Tage ab dem Jahr 2025, zwölf ab 2026 und vierzehn Tage ab 2027 beschränkt (www.nd-aktuell.de/artikel/1186316.gewerkschaften-hannover-entlastung-an-der-mhh.html). Eine erfolgreiche Einigung, bei der Erfahrungen der Beschäftigten in der Berliner Klinik Charite genutzt wurden, die einen Tarifvertrag dazu errungen haben.
Die positiven Stimmen vieler Beschäftigter zur 4-Tage-Woche sollten die Gewerkschaften aufgreifen, um deutlich zu machen: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich dient der Arbeitsplatzsicherung und der Verbesserung der Lebensqualität.
Ausrottung und Vertreibung: Israel hat in Gaza mit der Endlösung begonnen
Sie setzt den "Plan der Generäle", um:
Vertreiben, Aushungern, Töten.
In 12 Monaten sind in Gaza über 42.000 PaläsinenserInnen durch Bomben-und Raketenangriffen, Artillerie und Panzern getötet worden.
Ein Ende ist nicht in Sicht.
Nun hat die israelische Armee eine neue Etappe in ihrem Vernichtungskrieg eingeleitet.
Medien in Israel berichten, dass es Beweise für einen Plan zur ethnischen Säuberung des nördlichen Gaza-Streifens und zur Tötung aller verbliebenen Palästinenser gibt. "Das Ziel ist es, den Bewohnern, die nördlich des Gebiets Netzarim leben, eine Frist zu setzen, um in den Süden des Streifens zu ziehen. Nach diesem Datum wird jeder, der im Norden bleibt, als Feind betrachtet und getötet", zitiert die liberale israelische Zeitung Haaretz im Netzarim-Korridor stationierte israelische Soldaten.
Sie schreiben, dass jetzt der "Plan der Generäle", auch bekannt als Eiland-Plan, umgesetzt wird. Vereinfacht gesagt sieht dieser Vorschlag vor, den nördlichen Gazastreifen ethnisch zu säubern und die Region dann zu belagern, einschließlich der Blockade von humanitären Hilfsgütern, um alle verbliebenen Menschen, palästinensische Kämpfer und verbliebene Zivilisten, auszuhungern und zu töten.
"Das entspricht keinem Standard des Völkerrechts. Die Leute saßen zusammen und schrieben einen systematischen Befehl mit Diagrammen und einem Einsatzkonzept, an dessen Ende jeder erschossen wird, der nicht bereit ist zu gehen. Allein die Existenz dieser Idee ist unfassbar", so die Soldaten gegenüber Haaretz.
Der Plan wurde Ende September 2024 vom Forum der Kommandeure und Soldaten in der Reserve veröffentlicht, einem Berufsverband mit mehr als 1.500 Armeeoffizieren, und dem Parlament vorgelegt.
Der "Plan der Generäle"
Der Kern des Plans besteht darin, die humanitäre Hilfe für den Norden des Gazastreifens zu stoppen und den Hunger als Waffe einzusetzen. Er besteht aus zwei Phasen.
Die erste ist die "Evakuierung der Bevölkerung aus dem nördlichen Gazastreifen", einschließlich Gaza-Stadt. Dies war bereits vor dem Plan Teil der Überlegungen des israelischen Militärs. Im November 2023 gab die Armee bekannt, dass 95 Prozent der Bewohner des nördlichen Gazastreifens in den Süden vertrieben worden seien und nicht zurückkehren würden.
Die meisten von ihnen suchen Schutz in Gebieten im Süden des Gazastreifens, die von der israelischen Armee als "humanitäre Zonen" ausgewiesen wurden – was sie aber nicht daran hindert, auch diese Zonen zu bombardieren. Viele Flüchtlinge sind mehr als zehn Mal umgezogen.
Auf ihrem Weg nach Süden durchqueren die Palästinenser den Netzarim-Korridor, eine von Israel geschaffene Militärzone, die von Osten nach Westen verläuft und den Gazastreifen in zwei Hälften teilt.
Dennoch verbleiben schätzungsweise 400.000 Palästinenser im nördlichen Gazastreifen.
Nach dem Plan sollen jetzt die verbliebenen Palästinenser aus dem nördlichen Gazastreifen vertrieben werden. Dann beginnt die zweite Phase: die Umwandlung des nördlichen Gazastreifens in eine geschlossene Militärzone.
Der Plan sieht vor, dass das Gebiet einer "vollständigen und strengen Blockade" unterliegt, die die Verhinderung von Bewegungen in das Gebiet und aus dem Gebiet sowie die Verhinderung der Einfuhr von Versorgungsgütern, einschließlich Lebensmitteln, Treibstoff und Wasser, umfasst. Jeder, der sich dort aufhält, wird als Kämpfer behandelt.
"Sie werden sich entweder ergeben oder verhungern müssen. Das bedeutet nicht unbedingt, dass wir jeden Menschen töten werden. Das wird nicht nötig sein. Die Menschen werden dort (im Norden) nicht leben können. Das Wasser wird dort versiegen."
Giora Eiland, zitiert nach Associated Press, 14. OktoberEthnische Säuberung
Die Idee hinter dem Plan, nämlich die Vertreibung der Palästinenser von ihrem Land, war bei den Rechten in Israel schon immer beliebt. Für sie, wie z.B. Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir oder Finanzminister Bezalel Smotrich ("Es dürfte zwar gerecht und moralisch vertretbar sein", zwei Millionen Bewohner des Gazastreifens verhungern zu lassen, aber "niemand auf der Welt würde uns das durchgehen lassen."), war die ethnische Säuberung seit Beginn des Krieges eines der erklärten Ziele.
Bereits im Oktober 2023 war ein Dokument des israelischen Geheimdienstministerium an die Öffentlichkeit gelangt, in dem die "Evakuierung der Bevölkerung des Gazastreifens in den Sinai ... und die Verhinderung der Rückkehr der Bevölkerung zu Aktivitäten oder zum Aufenthalt in der Nähe der israelischen Grenze" empfohlen wurde. (siehe wieder-eine-nakba
Wer ist Giora Eiland?
Die zentrale Figur hinter dem Plan ist Giora Eiland, ein pensionierter Generalmajor der Reserve, der Leiter der Einsatz- und Planungsabteilung der Armee war und später den Nationalen Sicherheitsrat leitete.
Eiland, der am arabisch-israelischen Krieg von 1973, der Invasion des Libanon 1982 und der Operation Entebbe 1976 beteiligt war, gilt in Israel als Mitte-Links-Politiker. Während des aktuellen Krieges machte er mehrfach Schlagzeilen, weil er die Armee zu Handlungen aufrief, die ein Kriegsverbrechen darstellen könnten.
In einem Interview am 29. Oktober 2023, nur wenige Wochen nach Kriegsbeginn, sagte Eiland, dass Israel viel stärkeren Druck ausüben müsse. "Die Tatsache, dass wir angesichts der humanitären Hilfe für Gaza nachgeben, ist ein schwerwiegender Fehler ... Gaza muss vollständig zerstört werden: schreckliches Chaos, schwere humanitäre Krise, Schreie zum Himmel ..."
Er legte zwei Optionen dar: entweder eine groß angelegte Bodeninvasion oder den nördlichen Gazastreifen ethnisch zu säubern und die Region dann zu belagern, einschließlich der Blockade von humanitären Hilfsgütern, um alle verbliebenen Menschen, einschließlich palästinensischer Kämpfer, auszuhungern. Eiland war strikt gegen die Idee einer Bodeninvasion: "Als Militärexperte glaube ich, dass es keine vorsichtige Möglichkeit für Israel gibt, 20.000 Hamas-Kämpfer zu vernichten und zu töten, die sich in Hunderten von Kilometern Tunneln verstecken." Zu viele israelische Opfer, sagte er.
Im Dezember schlug er vor, dass die humanitäre Hilfe eingestellt werden sollte. "Der gesamte Gazastreifen wird verhungern", argumentierte Eiland, "und wenn der Gazastreifen verhungert, werden Hunderttausende Palästinenser wütend und verärgert sein. Und hungrige Menschen sind es, die einen Putsch gegen [Yahya] Sinwar herbeiführen werden."
Israel brauche dabei auch keine Rücksicht auf Zivilisten nehmen, denn "schließlich sind die älteren Frauen von Gaza dieselben Mütter und Großmütter der Hamas-Kämpfer, die am 7. Oktober die schrecklichen Verbrechen begangen haben."
Zudem wären Epidemien günstig für die Erreichung des Kriegszieles. "Wenn eine solche Situation eintritt, wird dies den Kampfgeist der Hamas tatsächlich brechen und die Kämpfe verkürzen."
Doch entgegen den Vorschlägen der Gruppe um Giora Eiland entschied sich die Netanjahu-Regierung und die israelische Militärführungen für eine Bodeninvasion.
Jetzt erklärten die Verfasser des Plans: "Heute, zehn Monate oder mehr nach dem 7. Oktober, kann man mit Sicherheit sagen, dass diese Strategie gescheitert ist." Die Hamas habe zwar schwere Verluste erlitten, sie könne sich aber dennoch erholen, sobald die israelische Armee das Gebiet verlässt.
"Wir befehlen Ihnen, das Gebiet zu verlassen."
Israel setzt Plan zur Vertreibung der Palästinenser aus dem Norden des Gazastreifens um.
Giore Eiland: "Wir befehlen Ihnen, das Gebiet zu verlassen. In einer Woche wird das gesamte Gebiet zur Militärzone. Es wird kein Nachschub mehr hineinkommen."
Video: https://x.com/QudsNen/status/1834249695125774678
Das israelische Militär setzt nun eine "abgespeckte" Version vom "Plan der Generäle" im Flüchtlingslager Jabalia nördlich von Gaza um, wie aus einem am Freitag (11.10.) in der israelischen Tageszeitung Yedioth Ahronoth veröffentlichten Bericht hervorgeht. Auch Associated Press berichtete am 14. Oktober, dass dies von einem israelischen Beamten bestätigt wurde, "dass Teile des Plans bereits umgesetzt werden".
"Der gesamte nördliche Teil des Gazastreifens wird gemäß dem Plan der Generäle gesäubert – die gesamte Bevölkerung wird evakuiert ... und der gesamte nördliche Teil des Gazastreifens wird zum militärischen Sperrgebiet erklärt", berichtete der öffentlich-rechtliche israelische Sender KAN am Samstag (5.10.).
Die Vereinten Nationen alarmierten am 11. Oktober, dass "seit dem 1. Oktober keine Nahrungsmittelhilfe mehr in den nördlichen Gazastreifen gelangt ist". Die "lebenswichtigen Versorgungswege in den nördlichen Gazastreifen sind abgeschnitten" und "in vielen Krankenhäusern im Norden geht der Diesel aus". (https://news.un.org/en/story/2024/10/1155646)
Das dicht besiedelte Gebiet ist seit Anfang Oktober umzingelt und belagert, ohne dass Lebensmittel oder Wasser hineingelangen.
"Mindestens 400.000 Menschen sind in dem Gebiet gefangen", schrieb Philippe Lazzarini, Leiter des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge UNRWA, am 10. Oktober. Da es fast keine Grundversorgung gibt, breitet sich der Hunger aus.
Nordgaza: Die Hölle hat kein Ende. Mindestens 400.000 Menschen sind in dem Gebiet gefangen. Die jüngsten Evakuierungsanordnungen der israelischen Behörden zwingen die Menschen immer wieder zur Flucht, insbesondere aus dem Lager Jabalia. Viele weigern sich, weil sie nur zu gut wissen, dass nirgendwo in Gaza ein sicherer Ort ist.
UNRWA Unterkünfte und Dienste müssen geschlossen werden. Manche zum ersten Mal seit Kriegsbeginn. Da die Grundversorgung kaum noch gewährleistet ist, breitet sich der Hunger erneut aus und verschärft sich. Diese jüngste Militäroperation gefährdet auch die Umsetzung der zweiten Phase der Polio -Impfkampagne für Kinder. Wie immer sind die Kinder die Ersten und die am meisten darunter leiden. Sie verdienen so viel Besseres, sie verdienen ein #CeasefireNOW Sie verdienen eine Zukunft.
Philippe Lazzarini, https://x.com/UNLazzarini/status/1843892602757669067
Am Montag (7.10.) hatte die israelische Regierung einen der größten Zwangsumsiedlungsbefehle seit Oktober 2023 erlassen. 400.000 Palästinenser im Norden des Gazastreifens wurden aufgefordert, ihre Unterkünfte zu verlassen und in den Süden zu fliehen. Der Evakuierungsbefehl betraf auch die Krankenhäuser Kamal Adwan, al-Awda und das indonesische Krankenhaus.
Hohe Krankenquoten als Folge der Arbeitsbedingungen
Beschäftigte der Brandenburger Tesla-Fabrik erhalten unangekündigt Kontrollbesuche zu Hause.
Ausgesuchte Mitarbeiter von Tesla erhielten zu Hause einen Besuch von Geschäftsführer André Thierig und Personalchef Erik Demmler.
„......wir mussten zu den Leuten fahren. Und das haben wir gemacht. Das hat nichts mit Generalverdacht zu tun. Wir haben uns einfach mal 30 Mitarbeiter ausgesucht, die entsprechende Auffälligkeiten hatten, die sich ziemlich lange im Krankenstand befinden, aber auch viele Erstbescheide“, so Demmler auf der Betriebsversammlung. (1)
Auch für andere Unternehmenslenker ist die Krankenquote ein Thema.
Ein großes Problem der Bundesrepublik sei „unser chronisch erhöhter Krankenstand“, erklärt Oliver Bäte, Vorstandsvorsitzender der Allianz SE (2). „Die Krankmeldungen in Deutschland liegen damit weit über dem Niveau von Ländern wie den USA, Kanada oder der Schweiz“, bemängelt der Versicherungsboss.
Die Zahlen sind erschreckend. Seit den Corona-Jahren befinden sich die Krankenstände hierzulande im Aufwärtstrend und liegen nun auf einem im historischen Vergleich hohen Niveau.
Bei den Schlagzeilen darf nicht übersehen werden: In vielen Unternehmen werden Methoden eingesetzt, um Druck auf Kranke auszuüben. Oft werden regelmäßig „Krankenrückkehrgespräche“ geführt.
Es wird nicht nach Ursachen gesucht, sondern der Einzelne aufgefordert, sein Verhalten zu ändern. Dies suggeriert Betroffenen, sie tragen Schuld an einer Krankheit.
Bei den Ursachen setzt die gewerkschaftliche Hans-Böckler-Stiftung an:
Belastende Arbeitsbedingungen führen aus Sicht der Forscherin Elke Ahlers zu steigenden Krankenständen. In vielen Betrieben komme es zu Arbeitsverdichtung. Pausen werden eingeschränkt, der Feierabend ist nicht mehr sicher. Viele Arbeitende könnten abends schlechter von der Arbeit abschalten.
„Das alles wirkt sich auf die Arbeitszufriedenheit, auf das Betriebsklima und letztendlich auf die Gesundheit aus“ (3).
Mehrfachbelastungen am Arbeitsplatz machen krank
Der Arbeitsschutz ist nach wie vor ein „Sorgenkind“, etwa im Dienstleistungssektor. Das belegt die 17. Ausgabe der ver.di-Arbeitsberichterstattung mit dem Titel „Arbeitsbelastung hoch, Arbeitsschutz mangelhaft“ (4).
Ausgewertet wurden Angaben von 4.600 Beschäftigten, die im Dienstleistungssektor arbeiten.
Die Arbeitsberichterstattung basiert auf einer Sonderauswertung des DGB-Index Gute Arbeit. Nur knapp über die Hälfte aller Befragten meint, dass sie unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen bis zur Rente durchhalten. Die Befragung zeigt auch warum:
Mehrfachbelastungen sind bei Belegschaften im Dienstleistungssektor an der Tagesordnung.
Ein hohes Tempo und Intensität der zu erledigenden Aufgaben zeigen sich in Gesundheitswesen und digitalisierter Verwaltung. Starke körperliche Belastung nennen Beschäftigte bei Paketdienstleistungen oder in der Logistik.
Fast 90 % der Beschäftigten sind von mindestens zwei der vier in der Studie untersuchten Belastungsarten betroffen.
Ursachen angehen? Fehlanzeige!
Zentrales Instrument zum Gegensteuern ist aus Sicht des Gesetzgebers die Gefährdungsbeurteilung. Sie ist im Arbeitsschutzgesetz festgeschrieben (§ 5 Abs. 1 ArbSchG). Dennoch sagt fast jeder zweite befragte Beschäftigte, dass die Gefährdungsbeurteilung im Betrieb nicht stattfand.
Eine Gefährdungsbeurteilung ist nur vollständig, wenn psychische Belastungen einbezogen werden. Denn sie wirken vielfach auf den Körper. Lang andauernde psychische Fehlbeanspruchungen können nicht nur psychosomatische Erkrankungen auslösen, sondern Beschwerden des Herz-Kreislaufsystems, der Verdauung sowie Schlafstörungen zur Folge haben.
Auch wird zunehmend unternehmerische Verantwortung auf Beschäftigte verlagert. Viele Arbeitsprozesse sind in der heutigen Arbeitswelt nicht mehr mit einer zentral durchdachten Steuerung regelbar.
Die Arbeitsorganisation erfordert eine andere Ausrichtung der Unternehmen, um digitalisierte Arbeitsprozesse besser im Firmensinne steuern zu können: Eine prozessorientierte Projektmanagementmethode ist PRINCE2 (Projects IN Controlled Environments). Sie bietet eine strukturierte Vorgehensweise für das Management von Projekten und konzentriert sich darauf, Projekte in kontrollierten Umgebungen durchzuführen.
Durch definierte Rollen und Verantwortlichkeiten wird Transparenz und Verantwortlichkeit gefördert. So können dezentral Aufgaben von Beschäftigten übernommen werden. Entscheidend ist dabei nicht der „Weg“, sondern nur das Ergebnis. Agile Teams arbeite in „Sprints“, die in der Regel zwei bis vier Wochen dauern. Es gibt regelmäßige Meetings wie tägliche „Stand-up“-Treffen oder „Sprint Reviews“.
Scrum fördert die Teamarbeit und Transparenz, ermöglicht schnelle Anpassungen und regelmäßiges Feedback. Die Methode wurden anfangs nur in der Softwareentwicklung verwendet, ist aber auch in anderen Bereichen einsetzbar.
Heute werden Entwicklungsabteilungen danach organisiert, die im Unternehmensinteresse neue Produktkonzepte erarbeiten, mit denen Profite gesteigert werden sollen. Die Folge für die Beschäftigten sind dabei häufig psychische Belastungen.
Statt sich über eine vermeintlich weniger leistungsbereite arbeitende Bevölkerung zu beklagen, müsse an den relevanten Ursachen der hohen Fehlzeiten angesetzt werden, fordert deshalb Gesundheitsexpertin Ahlers.
Die Bosse der Unternehmen klagen lieber über die Belegschaften.
(1) www.electrive.net/2024/09/25/tesla-kontrollbesuche-bei-krankgeschriebenen-angestellten
(3) www.bund-verlag.de/betriebsrat/aktuellesbr~Ungesunde-Arbeitsbedingungen-treiben-Krankenstan ~.html
(4) https://innovation-gute-arbeit.verdi.de/++co++7749254e-0215-11ef-b306-1b1aa92a88c1
Die industrielle Basis der transatlantischen Militär-Allianz
Die deutsche Rheinmetall gründet ein Joint Venture mit dem italienischen Rüstungskonzern Leonardo und will Italiens Streitkräfte für bis zu 23 Milliarden Euro mit mehr als tausend Kampf- und Schützenpanzern beliefern. Wie die Firma am Dienstag mitteilte, handelt es sich dabei um den Kampfpanzer KF51 Panther und um den Schützenpanzer Lynx. Der Panther soll zu gleichen Teilen von italienischen Unternehmen und von Rheinmetall und seinen Tochterfirmen gefertigt werden.
Der Deal ist der nächste Schritt des deutschen Unternehmens auf dem Weg zu seinem Ziel, zu einem der weltgrößten Rüstungskonzerne aufzusteigen. Um den dazu unverzichtbaren größeren Anteil am US-Rüstungsmarkt zu erhalten – dem mit Abstand größten Rüstungsmarkt der Welt –, hat Rheinmetall erst vor kurzem für 950 Millionen US-Dollar den US-Fahrzeugspezialisten Loc Performance Products übernommen. Der Deal erweitert die Rheinmetall-Kapazitäten in den USA, die der Konzern benötigt, um Aufträge für den Bau von Schützenpanzern und Militär-Lkw für die US-Streitkräfte für 60 Milliarden US-Dollar zu erhalten. Rheinmetall wird zu einem Hauptträger der rüstungsindustriellen Basis der transatlantischen Militärallianz.
Der größte Rüstungsmarkt der Welt
Rheinmetall hat soeben erst auf der US-Rüstungsmesse AUSA, die am gestrigen Mittwoch zu Ende gegangen ist, nachdrücklich für seine Waffensysteme geworben. Hintergrund ist, dass die Vereinigten Staaten der mit erheblichem Abstand größte Rüstungsmarkt weltweit sind und der deutsche Konzern seinen Marktanteil dort massiv steigern muss, will er in der globalen Rüstungsbranche weiter aufsteigen und in der Tat zum „Worldwide Player“ werden, wie er es im Frühjahr angekündigt hat.[1] Als größte Konzernhoffnung gilt die Ausschreibung für den Bau eines neuen US-Schützenpanzers, der dem Bradley nachfolgen soll. Rheinmetall ist in der Endauswahl für die Herstellung von etwa 4.000 Schützenpanzern für rund 45 Milliarden US-Dollar. Zudem bewirbt sich der Konzern um das Common Tactical Truck-Programm, in dessen Rahmen 40.000 Lkw für 16 Milliarden US-Dollar gefertigt werden sollen.[2] Bereits erhalten hat er kürzlich einen kleineren Auftrag: Er soll bis 2025 acht Prototypen für ein sogenanntes besatzungsloses Bodenfahrzeug (Uncrewed Ground Vehicle, UGV) produzieren, das fähig ist, „Nachschubgüter und Ausrüstung zur Unterstützung von Kampfeinsätzen effizient über unwegsames Gelände zu transportieren“.[3] Zudem kooperiert Rheinmetall mit dem US-Konzern Honeywell in der Entwicklung neuer Sichtsysteme und Hilfsaggregate für Rad- und Kettenfahrzeuge.[4]
„Das Pentagon beliefern“
Seine Chancen, die gewünschten Aufträge zu erhalten – darunter die gewaltigen Aufträge für den Bau der Schützenpanzer und der Militär-Lkw –, hat Rheinmetall im August erheblich verbessern können, als es ihm gelang, eine Vereinbarung zur vollständigen Übernahme von Loc Performance Products LLC zu unterzeichnen, eines in der Branche renommierten Fahrzeugspezialisten. Dieser verzeichne „mit seinen rund 1.000 qualifizierten Mitarbeitern ... beträchtliche und wachsende Umsätze“, teilte Rheinmetall mit.[5]
Besonders wertvoll ist die Übernahme für den deutschen Konzern, weil er damit nicht nur neue Fähigkeiten, sondern auch neue Produktionskapazitäten erhält – mit Blick darauf, dass die Schützenpanzer wie die Militär-Lkw komplett in den Vereinigten Staaten hergestellt werden müssen. Die Übernahme erschließe Rheinmetall „wichtige Fähigkeiten in den USA“ und versetze die Konzerntochter American Rheinmetall Vehicles „in die Lage, das US-Verteidigungsministerium effektiver und umfassender zu beliefern“, heißt es bei dem Konzern. American Rheinmetall Vehicles mit Sitz in Sterling Heights, einem Vorort von Detroit (US-Bundesstaat Michigan) ist, wie es in einem Bericht heißt, „praktisch zu 100 Prozent amerikanisch“: „Dort arbeiten keine Deutschen“ – ein Zugeständnis an Vorgaben der US-Regierung.[6]
Der zweitgrößte Rüstungsmarkt der Welt
Fortschritte hat Rheinmetall zuletzt auch in seinem Bestreben erzielt, seine Stellung auf dem Heimatmarkt Deutschland bzw. Europa zu stärken.
Der Düsseldorfer Konzern kann allein aus den 100 Milliarden Euro umfassenden Berliner Sonderschulden („Sondervermögen“) für die Bundeswehr zwischen 30 und 40 Milliarden Euro einstreichen; unter anderem liefert er Artilleriemunition für 8,5 Milliarden Euro, 6.500 Militär-Lkw für 3,5 Milliarden Euro sowie 123 Fahrzeuge mit der Projektbezeichnung „schwere Waffenträger Infanterie“ für rund 2,7 Milliarden Euro.[7]
Hinzu kommen Aufträge aus anderen EU-Staaten, zum Teil direkt infolge des Ukraine-Kriegs. So hat Rheinmetall Ende Juli zugesagt, den Streitkräften Tschechiens, die Waffen an die Ukraine weiterreichen, im Rahmen eines sogenannten Ringtauschs 14 Kampfpanzer Leopard 2A4 sowie einen Bergepanzer 3 Büffel zu liefern. Die Rede ist von einem Auftragswert „im niedrigen dreistelligen MioEUR-Bereich“.[8] Litauen hat erklärt, es werde – passend zur Stationierung der deutschen Litauen-Brigade, die über Leopard 2A8 verfügen soll – seinerseits teure Kampfpanzer dieses Modells erstehen, an deren Herstellung Rheinmetall beteiligt ist.[9] Zuletzt hat Dänemark bei Rheinmetall insgesamt 16 Skyranger 30-Türme für seine Flugabwehr bestellt. Auch in diesem Fall ist von einem Volumen „im niedrigen dreistelligen MioEUR-Bereich“ die Rede.[10]
Panzer für Italien
Am Dienstag hat Rheinmetall nun den nächsten Schritt angekündigt, der ihm ein weiteres Vordringen auf dem internationalen Panzermarkt ermöglichen soll: Das Unternehmen hat ein Joint Venture mit dem italienischen Rüstungskonzern Leonardo zum Bau von Kampfpanzern des neuen, noch in der Entwicklung steckenden Modells KF51 Panther geschlossen.[11] Ziel ist es, das italienische Heer mit neuen Panzern auszustatten – nicht nur mit dem Panther, sondern auch mit dem Rheinmetall-Schützenpanzer Lynx. Insgesamt sollen mehr als tausend Panzer an die italienischen Streitkräfte geliefert werden. [12] Die Rede ist von einem Auftragsvolumen von bis zu 23 Milliarden Euro. An dem Joint Venture halten beide Seiten je 50 Prozent. Der Panther soll zu 60 Prozent in Italien gefertigt werden, zu 40 Prozent in deutschen Rheinmetall-Werken; allerdings entfallen dabei 10 Prozentpunkte von Italiens 60 Prozent auf italienische Rheinmetall-Ableger, sodass auch beim Umsatz Parität hergestellt wird.
Innerdeutsche Konkurrenz
Mit dem Joint Venture von Rheinmetall und Leonardo vollzieht Rom einen Kurswechsel. Italien hatte ursprünglich geplant, Leopard-Kampfpanzer zu erwerben. Diese werden – unter Nutzung wichtiger Teile von Rheinmetall, darunter die Glattrohrkanone – von KNDS gebaut, einem Zusammenschluss der deutschen Waffenschmiede Krauss-Maffei Wegmann (KMW) mit dem französischen Panzerbauer Nexter. KNDS ist 2015 gegründet worden, um einen Kampfpanzer der nächsten Generation zu entwickeln, der eng vernetzt mit anderen Waffen – darunter unbemannte Landfahrzeuge – kämpfen soll (Main Ground Combat System, MGCS, german-foreign-policy.com berichtete [13]). Das Projekt, das wegen deutsch-französischer Streitigkeiten schon jetzt stark verzögert wurde, wird frühestens 2040 einsatzbereit sein – zu spät für möglicherweise schon bald bevorstehende Kriege. Die eigentlich geplante Lieferung von 132 Leopard 2A8 und von Schützenpanzern an das italienische Heer durch KNDS scheiterte kürzlich jedoch – dem Vernehmen nach, weil KNDS nicht bereit war, italienischen Rüstungsfirmen einen größeren Anteil an der Produktion zu gewähren. KNDS sieht sich nun neuer, mächtiger Konkurrenz ausgesetzt – aus Deutschland bzw. der EU.
Transatlantische Anteilseigner
Mit der Stärkung seiner Rolle auf dem europäischen Panzermarkt und dem parallelen Streben nach Dutzende Milliarden US-Dollar schweren Aufträgen in den USA treibt Rheinmetall nicht nur seinen eigenen Aufstieg voran; der Konzern entwickelt sich auch zu einer tragenden Säule der rüstungsindustriellen Basis der transatlantischen Militär-Allianz.
Dem tragen auch US-Rüstungskonzerne Rechnung; so wird Rheinmetall im Rahmen eines in der Branche üblichen Gegengeschäfts zum deutschen Kauf von US-Kampfjets F-35 sich in Zukunft an der Produktion des Jets beteiligen und F-35-Rumpfmittelteile herstellen.
Der transatlantischen Rolle des Konzerns entspricht, dass Aktionäre von beiden Seiten des Atlantiks Anteile an ihm halten. Die französische Bank Société Générale etwa hält 10,97 Prozent, der US-Investor BlackRock 5,54 Prozent, die US-Banken Goldman Sachs sowie Bank of America 4,69 bzw. 4,64 Prozent, die Schweizer UBS 3,83 Prozent. Der US-Finanzdienstleister FMR LLC bringt mit seinen 4,99 Prozent den Gesamt-US-Anteil auf rund ein Fünftel – entsprechend der Bedeutung, die das US-Geschäft für Rheinmetall besitzt.
[1] S. dazu „Worldwide Player“
[2] Rheinmetall auf der AUSA 2024: Innovative Verteidigungslösungen für moderne militärische Herausforderungen. rheinmetall.com 14.10.2024.
[3] American Rheinmetall Vehicles erhält Zuschlag für das S-MET Inc II-Programm der US-Armee. rheinmetall.com 07.10.2024.
[4] Rheinmetall und Honeywell unterzeichnen Memorandum of Understanding zur Entwicklung neuer Technologien. rheinmetall.com 30.09.2024.
[5] Strategischer Zukauf in den USA: Rheinmetall vereinbart Übernahme des Fahrzeugspezialisten Loc Performance. rheinmetall.com 14.08.2024.
[6] Jonas Jansen, Roland Lindner: Rheinmetall wittert Milliardenaufträge in Amerika. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.08.2024.
[7] Martin Murphy, Frank Specht, Roman Tyborski: Das Sondervermögen weckt die deutsche Rüstungsindustrie auf. handelsblatt.com 22.08.2024.
[8] Hilfe für die Ukraine: Zweiter Ringtausch mit Tschechien – Rheinmetall liefert weitere Kampf- und Bergepanzer. rheinmetall.com 12.08.2024.
[9] S. dazu weit gekommen
[10] Großauftrag aus Dänemark: Rheinmetall liefert Skyranger 30 für die mobile Flugabwehr. rheinmetall.com 30.09.2024.
[11] Neuer Player im europäischen Panzerbau: Leonardo und Rheinmetall gründen Joint Venture. rheinmetall.com 15.10.2024.
[12] Christian Schubert: Rheinmetall und Leonardo gegen Leopard. Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.10.2024.
[13] S. dazu Deutsch-französische Konflikte und Schlechte Signale
„Näher denn je seit der Kubakrise“
von US-Nuklearwaffen.
Atomstützpunkte in Europa werden modernisiert.
Gefahr eines Atomkriegs gilt als „größer“ denn je seit der Kubakrise.
Die NATO hat ihr diesjähriges Atomkriegsmanöver Steadfast Noon gestartet und verschärft damit die ohnehin weiter steigenden Spannungen mit Russland. In die Übung, bei der der Einsatz von Atomwaffen trainiert wird und an der sich bis Ende nächster Woche ungefähr 2.000 Soldaten aus 13 Staaten beteiligen, ist auch die Bundeswehr involviert, unter anderem mit Tornados und Eurofightern.
Der Tornado ist für den Einsatz von Atombomben zertifiziert. Hauptübungsschauplätze bei Steadfast Noon sind Belgien sowie die Niederlande, wo US-Atombomben gelagert sind, aber auch der Luftraum über der Nordsee. Das dortige Manövergebiet sei nur 900 Kilometer von Russland entfernt, heißt es. Zwar gibt die NATO kein konkretes Manöverszenario bekannt. Doch hieß es im vergangenen Jahr bei Steadfast Noon 2023, man sei bestrebt, „auf realistische Weise zu üben“, und man habe daher die Fähigkeiten des Feindes, den man in der Übung atomar angreife, den Fähigkeiten der russischen Streitkräfte nachempfunden. In einem im Frühjahr publizierten Fachbuch heißt es, das Potenzial eines Atomkriegs sei zur Zeit „größer“ denn je seit der Kubakrise – auch, weil das „Bewusstsein für eine nukleare Bedrohung“ schwinde.
Steadfast Noon
Die NATO hat am Montag ihr diesjähriges Atomkriegsmanöver Steadfast Noon gestartet. An der zweiwöchigen Übung sind ungefähr 2.000 Soldaten aus 13 Staaten, darunter Deutschland, mit rund 60 Luftfahrzeugen beteiligt. Die deutsche Luftwaffe stellt laut Berichten Kampfjets der Modelle Tornado und Eurofighter sowie Transportflugzeuge A400M bereit.[1] Andere Streitkräfte entsenden zum Beispiel US-Kampfjets der Modelle F-16 und F-35 sowie Langstreckenbomber B-52 (Vereinigte Staaten) oder auch Gripen-Jets (Tschechien). Die NATO weist darauf hin, dass die Niederlande mit F-35-Jets teilnehmen, die in diesem Jahr offiziell für fähig erklärt wurden, Atomwaffen einzusetzen.[2] Die Hauptübungsgebiete sind die Niederlande und Belgien sowie Lufträume über der Nordsee, vor allem dänisches und britisches Hoheitsgebiet. Die Niederlande sowie Belgien wurden ausgewählt, weil dort – wie auch in Deutschland (Büchel), Italien und der Türkei – US-Atombomben eingelagert sind. Eingesetzt werden sollen sie im Ernstfall im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilhabe; niederländische, belgische, deutsche, italienische oder türkische Kampfjets brächten sie dann an den Einsatzort. Beobachter weisen darauf hin, dass erstmals Finnland an Steadfast Noon teilnimmt, also nur rund eineinhalb Jahre nach seinem Beitritt zur NATO gleich für den Atomkrieg übt.
„Auf realistische Weise üben“
Die NATO behauptet wie üblich, die Übung richte sich nicht gegen einen bestimmten Staat. Anders als im vergangenen Jahr hat das Militärbündnis über das konkrete Kriegsszenario, das es erprobt, nicht informiert. Im Jahr 2023 hatte die NATO dies erstmals getan und bei einem Exklusivgespräch mit gut vernetzten Journalisten dreier Zeitungen einige Details zu Steadfast Noon 2023 bekanntgegeben.[3] Da man bemüht sei, „auf realistische Weise zu üben“, habe man – das ergab sich aus dem Gespräch – die Fähigkeiten des Feindes, gegen den im Manöver Atomwaffen eingesetzt werden sollten, den Fähigkeiten der russischen Streitkräfte nachempfunden. Die Übungseinsätze fänden, so hieß es, in einer „hoch umkämpften Umgebung“ statt; deshalb habe man, um sicherzustellen, dass das atomar bestückte Flugzeug „sein Ziel erreicht und wieder sicher zurückkommt“, ein äußerst „umfassendes Paket in der Luft und am Boden“ vorgesehen, etwa Begleitschutz mit Jagdflugzeugen oder mit Jets, die in der Lage seien, feindliche Radaranlagen zu erkennen und zu zerstören. Auch habe man eine Art „Stresstest“ eingebaut; es komme „zu simulierten Ausfällen“. Das erinnert daran, dass auch bei Atomangriffen eine Menge schiefgehen kann – mit womöglich verheerenden Konsequenzen für das eigene Land.
Mehr Geheimhaltung
Steadfast Noon findet, wie eine Analyse der Federation of American Scientists (FAS) festhält, in einer Zeit statt, in der mehrere Atomstützpunkte in Europa umfassend modernisiert werden – darunter Büchel (Deutschland), aber auch die beiden Stützpunkte, die nun im Zentrum der diesjährigen Atomkriegsübung stehen: Kleine Brogel (Belgien) und Volkel (Niederlande). Dort werden laut der FAS jeweils Anlagen errichtet, die eine schnellere Versorgung mit Ersatzteilen oder auch einen rascheren Transport der Bomben ermöglichen und zugleich alle Operationen auf den Basen noch besser gegen Einblicke von außen abschirmen als zuvor. Die FAS berichtet, im Lauf des vergangenen Jahres seien die Atomstützpunkte außerdem auf Google Earth unkenntlich gemacht worden – ein Element zunehmender Geheimhaltung, die mit dem dramatischen Anwachsen der politischen wie auch der militärischen Spannungen einhergeht.[4]
Mehr US-Bomben
Zudem richtet die FAS die Aufmerksamkeit darauf, dass Großbritannien an Steadfast Noon teilnimmt, während zugleich an der ehemaligen US-Atomwaffenbasis Lakenheath nordöstlich von Cambridge umfangreiche Arbeiten getätigt werden. In Lakenheath gab es in der Zeit des Kalten Kriegs einen bedeutenden US-Atomstützpunkt, an dem wohl 100 US-Atombomben lagerten. Die letzten davon waren im Jahr 2008 abgezogen worden. Jetzt sind die Vereinigten Staaten dabei, die dortigen Anlagen zu renovieren; laut Medienberichten wird darauf hingearbeitet, in Lakenheath wieder Kernwaffen zu stationieren.[5] Details sind noch nicht bekannt. Die FAS weist allerdings darauf hin, dass die Kapazitäten der Anlagen, die offenbar in Lakenheath renoviert und modernisiert werden, der Zahl der Bomben entspricht, die im türkischen İncirlik eingelagert sind.[6] Der Verbleib der dortigen Bomben ist aufgrund der politischen Entwicklung in der Türkei ungewiss. Der FAS zufolge käme Lakenheath als Ersatzstandort in Betracht.
Das Atomkriegspotenzial
Das NATO-Atomkriegsmanöver Steadfast Noon findet in einer Zeit rasant eskalierender Spannungen zwischen dem Westen und Russland statt. Dabei sind nicht nur die Notfalldrähte zwischen Washington und Moskau erheblich schlechter als im Kalten Krieg, was die Gefahr eines durch Missverständnisse ausgelösten Atomkriegs beträchtlich erhöht. Es habe auch ganz allgemein „das Bewusstsein für eine nukleare Bedrohung ... an Brisanz verloren“, urteilt die Journalistin Annie Jacobsen, die in einem im Frühjahr erschienen Buch vor der Gefahr eines Atomkriegs warnt.[7] Darüber hinaus sei aufgrund der größeren Anzahl von Atommächten, aber auch aufgrund der weiterentwickelten Technologie die Lage mehr oder weniger „unkontrollierbar“ geworden – „und das Potenzial eines Atomkriegs ist größer, als es je war seit der Kubakrise“, urteilt Jacobsen, damit US-Präsident Joe Biden zitierend.[8] Statt energisch Abrüstungsgespräche einzufordern – Jacobsen konstatiert: „Die Hoffnung ist die Diskussion“ –, verstärkt die NATO den nuklearen Druck und führt nun auch in diesem Herbst ihre Atomkriegsübung Steadfast Noon durch – dies mit aktiver Beteiligung der Bundeswehr.
[1] Dino Carrara: Exclusive: Nuclear Exercise Steadfast Noon participants revealed. key.aero 16.08.2024.
[2] NATO holds annual nuclear exercise: Steadfast Noon. nato.int 14.10.2024.
[3] S. dazu Das Atomkriegsszenario
[4] Hans Kristensen: NATO Tactical Nuclear Weapons Exercise and Base Upgrades. fas.org 14.10.2024.
[5] Marc Bennetts: Poland is ready to host nuclear weapons. thetimes.co.uk 23.04.2024.
[6] Hans Kristensen: NATO Tactical Nuclear Weapons Exercise and Base Upgrades. fas.org 14.10.2024.
[7] Annie Jacobsen: 72 Minuten bis zur Vernichtung. München 2024.
[8] Annika Keilen: „Im 21. Jahrhundert ist die Atombombe kurz davor, die Welt zu zerstören“. handelsblatt.com 12.04.2024.
Shell-Jugend-Studie 2024: Balance zwischen Sorgen und Zuversicht
Im Abstand von etwa vier Jahren erfolgt eine repräsentative Befragung mit über 2.400 jungen Menschen die seit der 14. Welle von Wissenschaftlern der U'niversität Bielefeld in Zusammenarbeit mit der Kantar Public (das ehemalige Forschungsinstitut Infratest) durchgeführt wird. Mit der aktuellen 19. Ausgabe der Shell Jugendstudie wird das Standardwerk der Jugendforschung in Deutschland fortgeschrieben.
Nicht zu übersehen ist die Intention der Studien-Reihe, das Vertrauen der Jugendlichen in staatliche Institutionen und den Medien zu erheben, um daraus gegfls. politische Maßnahmen ableiten zu können.
Zentrale Untersuchungsergebnisse
Aus den jüngsten Ergebnissen der 19. Untersuchungswelle ergibt sich, dass die Mehrheit der befragten Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren die Meinung vertreten, dass den erkannten Krisen und Sorgen entgegengewirkt werden muß. Ein großer Teil der
Jugendlichen sorgt sich um die langfristige Finanzierung des Alltags.
Dennoch bleibt zum Glück der jugendliche Optimismus und ein positives Zukunftsbild, trotz aller Krisen und Sorgen, bestehen.
Der Umgang der meisten jungen Menschen mit den vielfältigen Herausforderungen ist weiterhin bemerkenswert pragmatisch: Zentral für sie bleiben der soziale Nahbereich und die Orientierung an Leistungsnormen. Sie passen sich auf ihrer Suche nach einem gesicherten und eigenständigen Platz in der Gesellschaft den Gegebenheiten an und
wollen ihre Chancen ergreifen. Dabei nehmen sie Zukunftsfragen deutlich bewusster wahr und artikulieren ihre Ansprüche offensiver.[1]
Das Interesse an Politik ist im Vergleich zu früheren Studien deutlich gestiegen. Mehr als die Hälfte der jungen Menschen bezeichnet sich als politisch interessiert. In der zurückliegenden Befragungswelle 2019 lag der vergleichbare Wert bei 39 %. Die Jugendlichen signalisieren heute eine gesteigerte Bereitschaft, sich politisch und gesellschaftlich zu engagieren.
Die politische Ausrichtung junger Menschen ist gemäß den Befragungsergebnissen von inzwischen 41% als tendenziell „leicht links“ einzuordnen. (2019: 38 Prozent) während sich von den jungen Männern inzwischen ein Viertel als rechts beziehungsweise eher rechts bezeichnet. [2]
Von den weiblichen befragten Jugendlichen liegt dieser Wert der rechtslastigen politischen Ausrichtung bei 11 Prozent. In Summe geben weitere 14% der Befragten an, politisch nicht positioniert zu sein.
Kritische Haltung gegenüber politischen Institutionen
Trotz des gestiegenen politischen Interesses bleibt eine ausgeprägte Skepsis gegenüber Parteien und Parlamenten bestehen. Das Vertrauen in Parteien ist weiterhin unterdurchschnittlich, und 69% der Jugendlichen stimmen der Aussage zu, dass Politiker sich nicht um Belange junger Menschen kümmern. Dennoch läßt sich der 19. Befragungs-Welle entnehmen, dass Jugendliche mehrheitlich positiv auf die Möglichkeiten blicken, die ihnen Staat und Gesellschaft bieten, trotz vieler Krisen und Zukunftssorgen.[3]
So zeigt sich treffenderweise auch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend höchst zufrieden mit dem Befragungsergebnis, keine allzu großen Irritationen bei den Jugendlichen gegenüber dem Staat und der praktizierten Gesellschaftspolitik zur Kenntnis nehmen zu müssen.[4]
Das ließe sich auch so interpretieren, dass die aktuelle Shell-Studie als ein renommierter Gradmesser für die Stimmung bei jungen Menschen für das zuständige Ministerium für Jugend keinen Anlaß dazu liefert, das gesellschaftskritische Potential bei den Jugendlichen nicht innerhalb der aktuellen Bildungs- und Arbeitsmarkt-Politik abwickeln zu können.
Ängste und Sorgen
Der folgenden Tabelle sind die Angaben zu Ängsten und Sorgen aus der aktuellen Befragung zu entnehmen, im Vergleich zu den Ergebnissen der Studie von 2019. Dabei sind insbesondere die Ängste bezüglich eines Krieges in Europa und der zunehmenden Armut hervorzuheben.[5]
Quelle: https://www.shell.de/about-us/initiatives/shell-youth-study-2024
Stellungnahme zum Ukrainekrieg und Gaza-Krieg
Angst machen einer großen Mehrheit der Jugendlichen demnach die Kriegsgefahr (81 %) sowie die wirtschaftliche Lage und womöglich steigende Armut (67 %). Die Sorge, selbst arbeitslos zu werden, hat dagegen im Vergleich zu den Ergebnissen von 2019 abgenommen (2024: 35%, 2019: 29 %).
In der Einschätzung des Krieges zwischen der Ukraine und Russland sehen zwei Drittel der Jugendlichen Russland als den Hauptschuldigen. Aber insgesamt belegt das Befragungsergebnis einen Rückgang bei der Zustimmung zur fortdauernden Militärhilfe für die Ukraine. Ein bemerkenswerter Unterschied ergibt sich dabei zwischen den Jugendlichen in Ost und West: 21 % der ostdeutschen Jugendlichen sind nicht dafür, dass Russland für seinen Angriff auf die Ukraine bestraft werden solle, während im Westen ein solches Ansinnen nur von 13 % abgelehnt wird. Einer andauernden militärischen Unterstützung der Ukraine stimmen im Osten 44 % der Jugendlichen zu, im Westen dagegen 52 %.
Ein weniger eindeutiges Bild zeigt sich bei der Bewertung des Krieges in Gaza.
Ein Drittel der Jugendlichen hält die deutsche Unterstützung für Israel nach dem Hamas-Überfall für richtig, ein ebenso großer Anteil lehnt sie hingegen ab. Die verbleibenden 30 % äußerten Keine Meinung zur Frage des Gaza-Krieges.[6]
Berufliche Aussichten und die Bedeutung des materiellen Nutzens
Mehr als vier Fünftel der Jugendlichen (84%) sind zuversichtlich, ihre beruflichen Wünsche verwirklichen zu können. Bei den Erwartungen an die Berufstätigkeit dominiert das
Bedürfnis nach Sicherheit. Für 91% der Jugendlichen ist ein sicherer Arbeitsplatz (sehr) wichtig.[7] Ein hohes Einkommen (83% zu 76% im Vergleich zu 2019) und gute Aufstiegsmöglichkeiten (80% zu 74%) nehmen an Bedeutung zu. Auch der Wunsch, beruflich von zu Hause aus arbeiten zu können, hat gegenüber 2019 zugenommen (69% zu 61%).[8]
Das Geschlecht hat laut der Studien-Ergebnisse bei nahezu allen Dimensionen die größte Erklärungskraft:
Männlichen Jugendlichen ist der materielle Nutzen in ihrem Beruf wichtiger als den weiblichen.
Jungen Frauen sind vor allem sozialer Nutzen und eine hohe Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben wichtig. Mit Blick auf die Erwartung einer persönlichen Erfüllung unterscheiden sich junge Frauen und Männer nicht.
Das heißt: Unabhängig vom Geschlecht streben die meisten Jugendlichen nach einem erfüllenden Berufsleben, das unter anderem in einer hohen Anerkennung durch andere gesehen wird.[9]
Aktualität von Themen
Generell beschreiben die Studien-Ergebnisse die Jugend- Generation, die trotz vielfältiger Herausforderungen und Sorgen aktiv und engagiert an der Gestaltung ihrer Zukunft mitwirken möchte und dabei ein hohes Maß an Pragmatismus und Optimismus an den Tag legt.
Soziale Gerechtigkeit und Antidiskriminierung
Junge Menschen setzen sich verstärkt für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung ein. Die Shell Jugendstudie 2024 zeigt, dass Jugendliche besonders für Gender-Gerechtigkeit sensibilisiert sind und sich demonstrativ offen für non-binäre Geschlechterdefinitionen zeigen.
Globale Solidarität
Junge Menschen engagieren sich verstärkt für globale Themen wie Frieden, Menschenrechte und internationale Zusammenarbeit. Die Vernetzung über soziale Medien fördert ein Bewusstsein für globale Herausforderungen. Diese neuen Themen weisen darauf hin, dass die Jugendlichen sich mit den globalen Herausforderungen befassen und sich für eine nachhaltige, gerechte und inklusive Zukunft einsetzen wollen.
Medialer Einfluss auf die Meinungsbildung Jugendlicher
Nicht zu übersehen ist allerdings, dass trotz der Zunahme der Nutzung digitaler Medien für Kommunikation, Unterhaltung und Informationsbeschaffung die klassischen Medien wie ARD und ZDF-Fernsehnachrichten (83 Prozent) und überregionale Tageszeitungen (80 %) die Meinungsbildung, wie auch in anderen Altersgruppen, stark beeinflussen. [10]
Insofern verwundert es nicht, dass das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in seiner Stellungnahme zu den Shell-Studien-Ergebnissen sich recht gelassen zeigt, ob der etablierten und funktionierenden Wege der Einflussnahme auf die Meinungsbildung Jugendlicher. Für weiterführende Ausführungen wäre auf einschlägige medienkritische Literatur zu verweisen, die an dieser Stelle kaum vollständig abbildbar wäre. [11], [12]
Kritische Anmerkungen
Die Shell-Jugend-Studie 2024 zeigt einerseits auf, dass die Sorgen und Ängste bei Jugendlichen deutlich zugenommen haben und die kritischen Äußerungen zur gesellschaftlichen Entwicklung und der aktuellen Politik in Deutschland ebenfalls angestiegen sind. Es ist unklar, inwieweit die Ergebnisse der aktuellen Studie mit denen früherer Jahre vergleichbar sind. Die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Jahren stark verändert, was die Interpretation von Trends eher erschwert.
Andererseits ist die Stimmung unter Jugendlichen, vielleicht auch ein Privileg für junge Menschen, durchaus optimistisch geprägt, weil dadurch auch Potentiale erkannt werden, die auf eine Beeinflussbarkeit hinweisen. Die durchaus kritisch zu bewertende politische Polarisierung entspricht dem Zeitgeist, der Rechtsentwicklung in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, was aber keine politische Sonderstellung bei Jugendlichen bedeuten muss. Die Studie wurde in einem von Krisen geprägten Zeitraum durchgeführt. Es ist zu hinterfragen, inwieweit aktuelle Ereignisse wie der Krieg in der Ukraine, die Inflation oder die Klimakrise die Antworten der Jugendlichen beeinflusst haben und ob diese als langfristige Trends oder als kurzfristige Reaktionen zu interpretieren sind.
Quellen
[1] https://www.shell.de/about-us/initiatives/shell-youth-study-2024
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/19-shell-jugendstudie-veroeffentlicht
[5] Siehe hierzu aktuell: https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5309-armut-global-und-ihre-messung
[7]Ebd.
[8] Ebd.
[9] Ebd.
[10] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles
[11] https://media-bubble.de/wie-die-medien-unsere-wahrnehmung-praegen;
[12] https://www.rosalux.de/veranstaltung/es_detail/RKZ82/medienkritik-von-links
Vom Königstiger bis zum Puma: Wie Kriegsrhetorik die deutsche Sprache militarisiert
Verbale Aufrüstung ist nicht neu, sondern Teil deutscher und internationaler Kriegsgeschichte.
Wir sollten Wörter nicht nur nachplappern, wir sollten über sie nachdenken.
„Der Krieg ist auch ein Kampf um Worte.“
Das sagte der Rhetorik-Professor Joachim Knape im Mai 2022, Monate nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Damals hatte die Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht im „heute journal“ gemeint: „Der Feind hört mit!“ Eine Nazi-Parole aus dem Zweiten Weltkrieg (indirekt) bezogen auf Russlands Präsidenten Putin. „Da ist mir echt die Kinnlade runtergefallen“, meinte Knape im Tagesspiegel-Interview. Nazi-Sprache im Bundesverteidigungsministerium, das ginge nun wirklich nicht.
Heute wissen wir: Nicht nur der Ukrainekrieg militarisiert die deutsche Sprache. Die Tagesschau zeigt die Kriegsmanöver Israels in Gaza und nutzt allabendlich die Sprache der Kriegstreiber. Gleichzeitig diskutieren Talkshowgäste die Unterschiede zwischen den Panzertypen Gepard, Leopard und Puma. Das klingt wie ein Raubtier-Zoo, stammt aber (auch) aus der NS-Zeit. Damals thronte der Königstiger auf dem Schlachtfeld und sollte Nazi-Panzer populärer machen. Heute verdecken Panzernamen weiter ihren Daseinszweck, also Zerstörung, Gewalt und Tod.
Verbale Aufrüstung ist demnach nicht neu, sondern Teil deutscher und internationaler Kriegsgeschichte. Schon in den 1930ern schrieb beispielsweise Oskar Stillich, damals Dozent der Humboldt-Akademie, „Die Militarisierung der Sprache und des Volkes“. Stillich kritisierte die NSDAP und die völkische Bewegung. Er schrieb über die Umdeutung von Begriffen, über Hitlers Appelle an niedere Instinkte und über die religiöse Überhöhung völkischer Ideologie. Diese Kritik bezahlte der Pazifist mit Arbeits- und Publikationsverbot, Anfeindungen und Isolation. Er starb 1945 an den Folgen von Unterernährung.
Die Militarisierung der Sprache ist überall
Heute ist Stillich fast vergessen, auch dank westdeutscher Nachkriegspolitik. Er wurde Opfer jener „interessierten Kreise in Wissenschaft, Bürokratie und Gesellschaft [...], die selbst (Mit-)Schuld am Nationalsozialismus trugen“, schrieb ein Rezensent kürzlich. Das heißt, sein Werk wurde verschwiegen; seine Kritik bleibt aber aktuell. Denn Stillichs Erbe ähnelt dem, was der Rhetoriker Knape heute „Sprachwachheit“ nennt.
Das bedeutet, wir sollten Wörter nicht nur nachplappern, wir sollten über sie nachdenken.
Das gilt auch für unseren Alltag. Denn die Militarisierung der Sprache finden wir in vielen Situationen, beispielsweise, wenn die Wohnung aussieht, als hätte eine Bombe eingeschlagen, wenn wir an allen Fronten kämpfen oder schweres Geschütz auffahren. „Ein Wortschatz wie ein Waffenschrank“ nannte es die Süddeutsche Zeitung im März 2022.
Dieser Waffenschrank wird uns in die Wiege gelegt, wir geben ihn an unsere Kinder weiter und verfestigen so Krieg und Gewalt in unserer Sprache.
Das Problem wird konkret, wenn uns militärische Rüstung – auch dank des Raubtier-Zoos – leichter über die Lippen kommt. 100 Milliarden Euro Extra-Militärausgaben? Kein Problem! Hießen die Panzer Todesmaschine oder Kindermörder, gerieten Talkshowgäste wohl eher ins Stocken.
Denn Namen sind Ideologiekeulen:
Sie verschleiern, normalisieren oder verherrlichen die Maschinerie des Krieges. Gleichzeitig verklausuliert der Militärjargon der Tagesschau menschliches Leid, und ihre Statistiken verbergen die politischen Interessen hinter dem Grauen.
Sprachwachheit ist deshalb politische Wachheit, und um die sollten wir uns alle bemühen.
Erstveröffentlichung, 15.10.2024: https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/vom-koenigstiger-bis-zum-puma-im-zoo-des-krieges
Armut weltweit und ihre Messung
Um die Fortschritte bei der Erreichung dieses Ziels nachvollziehen zu können, stützt sich die UNO auf Schätzungen der Weltbank des Anteils der Weltbevölkerung, der unter die sogenannte Internationale Armutsgrenze (International Poverty Line, IPL) fällt.
Die Beseitigung der Armut könnte nach den Vorgaben der Weltbank 100 Jahre dauern.
Im Jahr 1990 untersuchte eine Gruppe unabhängiger Forscher und die Weltbank die nationalen Armutsgrenzen einiger der ärmsten Länder der Welt und rechnete diese Grenzen mithilfe von Kaufkraftparitäts-Wechselkursen (KKP) in eine gemeinsame Währung um. Die Kaufkraftparitäten-Wechselkurse werden so konstruiert, dass sichergestellt ist, dass die Preise für die gleiche Menge an Waren und Dienstleistungen in allen Ländern gleich sind.
In all diesen Statistiken berücksichtigten die Forscher nicht nur das monetäre Einkommen der Menschen, sondern auch ihr nicht-monetäres Einkommen und die Eigenproduktion.
Ein IPL von 1,90 $ pro Tag wurde als Mittelwert der nationalen Armutsgrenzen von 15 armen Ländern in den 1990er Jahren abgeleitet, ausgedrückt in Kaufkraftparitäten von 2011. Die Auswahl dieser 15 armen Länder basierte auf den damals begrenzten Daten. Mit der Erhebung und Analyse neuer Daten aus anderen Ländern mit niedrigem Einkommen wurde die Referenzgruppe erweitert. Die IPL wird nun als Median der nationalen Armutsgrenzen von 28 der ärmsten Länder der Welt abgeleitet, ausgedrückt in KKP von 2017.
Im September 2022 wurde die Zahl der Armutsgrenze von 1,90 USD auf 2,15 US-Dollar pro Tag angehoben. Dies spiegelt eine Änderung der Einheiten wider, in denen die Weltbank ihre Armuts- und Ungleichheitsdaten ausdrückt – von internationalen Dollar zu Preisen von 2011 zu internationalen Dollar zu Preisen von 2017.
Das bedeutet, dass jeder, der von weniger als 2,15 US-Dollar pro Tag lebt, als „extrem arm“ gilt.
Die Weltbank schätzt den Anteil der Menschen, die weltweit in extremer Armut leben, für 2019 – das letzte verfügbare Jahr – auf 8,4 %, was etwa 700 Millionen entspricht.
Diese globale Zahl gibt jedoch kein genaues Maß für Armut an. In jedem Land gibt es arme Menschen, Menschen, die in schlechten Wohnverhältnissen leben und Schwierigkeiten haben, sich grundlegende Güter und Dienstleistungen wie Heizung, Transport und gesunde Lebensmittel für sich und ihre Familien zu leisten. Die Definition von Armut ist also von Land zu Land unterschiedlich, aber in Ländern mit hohem Einkommen liegt die Armutsgrenze bei etwa30 US-Dollar pro Tag.Selbst in den reichsten Ländern der Welt lebt ein erheblicher Teil der Bevölkerung – zwischen jeder zehnten und jeder fünften Person – unterhalb dieser Armutsgrenze. Wenn wir diese Armutsgrenze von 30 US-Dollar pro Tag auf die Einkommensverteilung weltweit anwenden, zeigt sich, dass 85 % der Weltbevölkerung – von weniger als 30 US-Dollar pro Tag leben. Das sind 6,7 Milliarden Menschen.
Der Historiker Michail Moatsos hat einen neuen globalen Datensatz erstellt, der zwei Jahrhunderte zurückreicht. Seinen Untersuchungen zufolge lebten 1820 drei Viertel der Weltbevölkerung in extremer Armut. Das bedeutet, dass sie „sich nicht einmal einen winzigen Wohnraum, eine minimale Heizkapazität und Lebensmittel leisten konnten, die keine Mangelernährung verursachten.“
Seitdem ist sie jedoch stark zurückgegangen.
Und der Anteil der Weltbevölkerung, der in „extremer Armut“ im Sinne der Weltbank lebt, ist noch nie so schnellzurückgegangen wie in den letzten drei Jahrzehnten.
Der Rückgang in China verlief besonders schnell.
Ist die Armut weltweit also fast besiegt?
Das hängt davon ab, ob man die IPL der Weltbank akzeptiert. Der Inhalt der IPL ist gelinde gesagt zweifelhaft. Im Gegensatz zu vielen nationalen Grenzwerten basiert sie nicht auf einer direkten Bewertung der Kosten für Grundbedürfnisse. Es handelt sich um eine absolute Linie mit konstantem Wert. Mit dieser Maßnahme würde man annehmen, dass „extreme Armut“ für praktisch die gesamte Menschheit und die gesamte Geschichte die Norm war, bis im 19. Jahrhundert endlich Kolonialismus und Kapitalismus zur Rettung kamen.
Robert Allen hat diese Schlussfolgerung in Frage gestellt. Er zeigt, dass die von der Weltbank verwendeten BIP-Daten bei der Bewertung der Armut zu erheblichen Verzerrungen führen. Stattdessen konstruiert Allen anhand von Verbrauchsdaten eine Armutsgrenze für Grundbedürfnisse, die in etwa der 1,90-Dollar-Grenze der Weltbank entspricht, und berechnet den Anteil der Menschen unterhalb dieser Grenze für drei Schlüsselregionen: die USA, Großbritannien und Indien.
Die Ergebnisse zeigen, dass die hohen Raten extremer Armut in Asien tatsächlich ein modernes Phänomen sind – „eine Entwicklung der Kolonialzeit“, schreibt Allen: „Viele Faktoren mögen eine Rolle gespielt haben, aber Imperialismus und Globalisierung müssen eine führende Rolle gespielt haben.“
Allens Ergebnisse deuten darauf hin, dass die extreme Armut im Asien des 20. Jahrhunderts deutlich schlimmer war als im Feudalismus des 13. Jahrhunderts. Allen stellt in der Tat fest, dass die Grenze von 1,90 $ pro Tag unter dem Konsumniveau versklavter Menschen in den USA im 19. Jahrhundert liegt. Mit anderen Worten: Die Armutsgrenze, die die Weltbank verwendet und die der „Fortschritts“-Erzählung zugrunde liegt, liegt unter dem Niveau der Versklavung.
Die Schwelle der Weltbank für extreme Armut von 2,15 US-Dollar pro Tag ist lächerlich niedrig. Das US-Landwirtschaftsministerium hat errechnet, dass 5 US-Dollar pro Tag das absolute Minimum sind, um ausreichend Lebensmittel zu kaufen. Und dabei sind andere Überlebensbedürfnisse wie Unterkunft und Kleidung noch nicht berücksichtigt.
In Indien haben Kinder, die mit 2,15 US-Dollar pro Tag auskommen müssen, immer noch eine 60-prozentige Wahrscheinlichkeit, unterernährt zu sein. In Niger ist die Sterblichkeitsrate von Säuglingen, die mit 2,15 $ pro Tag auskommen müssen, dreimal höher als der weltweite Durchschnitt.
Weniger als 1 % der Bevölkerung Afrikas verfügt über ein Einkommen, das über dem westlichen Durchschnittseinkommen liegt.
Bedarf für eine normale Lebenserwartung
In einem Artikel aus dem Jahr 2006 verwendete Peter Edward von der Newcastle University eine Messgröße, die berechnet, dass Menschen etwa das 2,7- bis 3,9-fache der bestehenden Armutsgrenze der Weltbank benötigen, um eine normale Lebenserwartung von etwas mehr als 70 Jahren zu erreichen. In der Vergangenheit entsprach dies 5 US-Dollar pro Tag. Nach den neuen Berechnungen der Weltbank sind es etwa 7,40 US-Dollar pro Tag.
Daraus ergibt sich, dass heute etwa 4,2 Milliarden Menschen in Armut leben, was einem Anstieg von 1 Milliarde Menschen in den letzten 35 Jahren entspricht.
Das starke Wirtschaftswachstum, das seit 1990 800 Millionen Chinesen aus der extremen Armut befreit hat, trug wesentlich zum weltweiten Rückgang der Armut bei. Peter Edward fand heraus, dass 1993 1,139 Milliarden Menschen weniger als 1 Dollar pro Tag zur Verfügung hatten und diese Zahl im Jahr 2001 auf 1,093 Milliarden sank, was einem Rückgang von 85 Millionen entspricht. Aber in China sank die Zahl in diesem Zeitraum um 108 Millionen (in Indien gab es keine Veränderung), sodass der gesamte Rückgang der Armutszahlen (nicht der Prozentsatz) auf China zurückzuführen ist. Ohne China blieb die Gesamtzahl der Armen in den meisten Regionen unverändert, während sie in Afrika südlich der Sahara deutlich anstieg.
Und es gibt noch ein weiteres Maß für Armut, den Multidimensional Poverty Index, der 101 Entwicklungsländer abdeckt. Daraus ergibt sich eine Armutsquote von 23 % und nicht von 8 %. Zwischen 1990 und 2015 stieg die Zahl der Menschen, die in Subsahara-Afrika und im Nahen Osten unterhalb dieser Grenze leben, um etwa 140 Millionen. Der Lebensstandard der Ärmsten der Welt, die mit nur der Hälfte der strengen Grenze der Weltbank überleben, hat sich also in 30 Jahren nur geringfügig erhöht. Die Welt ist noch weit davon entfernt, die Armut zu beenden.
Schauen wir uns eine andere Möglichkeit an, die globale Armut zu messen. Vor zwei Jahrhunderten lebte die große Mehrheit der Menschen in Schweden in tiefer Armut. Jedes vierte Kind starb, und fast 90 % der Bevölkerung waren so arm, dass sie sich nicht einmal einen winzigen Wohnraum, eine minimale Heizkapazität und Lebensmittel leisten konnten, die nicht zu Mangelernährung führten. Heute liegt die Armutsgrenze in Schweden bei etwa 30 US-Dollar pro Tag (auf Basis von Kaufkraftparitäten). Das starke Wirtschaftswachstum im letzten Jahrhundert hat es ermöglicht, dass die Mehrheit der Schweden heute über dieser Armutsgrenze lebt.
Dies klingt nach einer guten Maßnahme für alle Menschen auf der Welt. Wenn wir uns auf die Schwelle von 30 Dollar pro Tag als Definition für globale „Armut“ stützen und die unterschiedlichen Preisniveaus in den einzelnen Ländern berücksichtigen, zeigen die neuesten Statistiken, dass 85 % der Weltbevölkerung unterhalb dieser Armutsgrenze leben. Das bedeutet 6,7 Milliarden Menschen.
Anstatt eine Milliarde Menschen aus der Armut zu befreien und einen globalen Rückgang von 35 % von 1990 auf 9 % im Jahr 2018 zu verzeichnen, lebten nach dem IPL der Weltbank für extreme Armut bei 5 US-Dollar pro Tag immer noch 40 % der Weltbevölkerung in Armut; bei 10 US-Dollar pro Tag waren es 62 % und bei 30 US-Dollar 85 %. In allen Ländern lebt ein erheblicher Teil der Bevölkerung in Armut. Selbst in den reichsten Ländern der Welt lebt ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung – zwischen jeder zehnten und jeder fünften Person – unterhalb dieser Armutsgrenze.
Kein Land, nicht einmal die reichsten Länder, hat die Armut beseitigt. Es gibt in diesem Sinne keine „entwickelten“ Länder.
Die Weltwirtschaft müsste sich mindestens verfünffachen, damit die globale Armut, gemessen an 30 US-Dollar pro Tag, erheblich zurückgeht.
In diesem Szenario würde die Ungleichheit zwischen allen Ländern der Welt vollständig verschwinden. Es sollte daher als Berechnung des minimal notwendigen Wachstums für ein Ende der Armut angesehen werden.
Höhere Wachstumsraten in armen Ländern könnten zu einer weltweiten Angleichung der Lebensstandards führen. Die Weltbank ist der Ansicht, dass die größte Hürde bei der Beendigung der „extremen Armut“ darin besteht, dass kein Ressourcentransfer von den reichen Ländern zu den armen stattfindet. Das bedeutet, dass die Armut (gemäß Definition) beendet werden könnte, wenn die Regierungen dies beschließen würden. Die Weltbank erklärt dies folgendermaßen:
„Angenommen, das reale BIP-Wachstum für die Entwicklungsländer insgesamt beträgt 5 Prozent pro Jahr. Wenn 10 Prozent dieses BIP-Wachstums den 21 Prozent der Bevölkerung der Entwicklungsländer zugutekämen, die extrem arm sind, und diese 10 Prozent so verteilt würden, dass das Einkommenswachstum jedes armen Menschen genau seiner Entfernung zur Armutsgrenze der Weltbank entspricht, würde die extreme Armut ein Ende haben.“
Es gibt jedoch kaum Anzeichen dafür, dass die neokolonialen Volkswirtschaften, die immer noch unter dem Stiefel des Imperialismus stehen, Hoffnung haben, die Einkommenslücke zum imperialistischen Block zu schließen.
Derzeit beläuft sich die internationale Entwicklungshilfe auf etwas mehr als 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Das ist nur fünfmal mehr als der Bonus, den sich die Mitarbeiter von Goldman Sachs in einem Krisenjahr selbst ausgezahlt haben, und mehr als fünfmal weniger als das jährliche Einkommen, das aus den armen Ländern in die reichen fließt.
Laut UNCTAD belaufen sich die Netto-Ressourcentransfers von Entwicklungs- in Industrieländer auf durchschnittlich 700 Milliarden US-Dollar pro Jahr, selbst wenn man die Auslandshilfe berücksichtigt.
Von einem Ressourcentransfer von den reichen in die ärmeren Länder zur Reduzierung der globalen Armut kann also keine Rede sein – das Gegenteil ist der Fall.
Der UN-Berichterstatter Philip Alston schloss seinen Bericht an die UN über die globale Armut mit dem Hinweis,
„ ……bei Zugrundelegung historischer Wachstumsraten und unter Ausschluss sämtlicher negativer Auswirkungen des Klimawandels (ein unmögliches Szenario) die Beseitigung der Armut nach den Vorgaben der Weltbank 100 Jahre und nach den Vorgaben von 5 $ pro Tag 200 Jahre dauern würde (Agenda 2230!).
Dies würde auch eine 15- bzw. 173-fache Steigerung des globalen BIP erfordern.“
Die Armen werden uns im Kapitalismus immer begleiten.
Zug um Zug – der Handelsstreit zwischen EU und China eskaliert
Französische Produkte im Wert von 1,7 Mrd. Euro werden mit zusätzlichen Einfuhrzöllen belegt.
Zoll-Erhebungen auf europäische Automobile sind als ein weiterer Schritt zu erwarten.
Nach dem Beschluss der EU zur Verhängung von Strafzöllen auf die Einfuhr von Elektroautos aus China[1] reagiert die Volksrepublik mit ersten Gegenmaßnahmen. Ab Freitag müssen Importeure europäischen Branntweins beim chinesischen Zoll eine Kaution von voraussichtlich 30 Prozent „Sicherheitsgebühren“ für Importe nach China hinterlegen.
Die chinesischen Behörden sind offenbar zu der Ansicht gelangt, bei der Herstellung von Brandy in der EU werde Preisdumping betrieben.[2] Der Schritt trifft nahezu ausschließlich Frankreich, das im vergangenen Jahr Cognac im Wert von 1,7 Milliarden Euro in die Volksrepublik exportierte.[3] Die Antidumping-Zölle betreffen in wenigen Tagen die Hersteller der Marke Martell mit Aufschlägen von 30,6 Prozent, 38 1, Prozent für Rémy Martin und 39 Prozent für Hennessy.
Vertreter der Handelskammer der Europäischen Union zeigten sich von der Ankündigung der Anti-dumping-Maßnahme enttäuscht und forderte die Europäische Kommission auf, ihre Bemühungen zu verdoppeln, um dringend eine Verhandlungslösung mit ihren chinesischen Partnern zu finden.[4]
China führte im vergangenen Jahr Milchprodukte im Wert von rund 211,5 Millionen Euro vor allem aus Frankreich ein, während die Einfuhr von Schweinefleisch für 1,5 Mrd. Euro überwiegend aus Spanien kam, den Niederlanden (620 Millionen Euro), Dänemark (608 Millionen Euro) und Frankreich (363 Millionen Euro).
China hat ergänzend zu den verhängten Gegenmaßnahmen auch eine Anti-Dumping-Untersuchung eingeleitet, die sich auf Milchprodukte und Schweinefleisch aus der EU richtet. Von einem solchen Schritt hatte China zu Beginn des Jahres noch abgesehen, obwohl die Handelspraxis europäischer Unternehmen die Handelsbeziehung zu China schon deutlich belastete.
„Dahinter steht ohne Zweifel die Doktrin der amerikanischen Neocons*, die mit allen Mitteln verhindern wollen, dass China auch nur an der amerikanischen Hegemonie kratzt. Aber die Angst vor der chinesischen Gefahr würde ohne die vermutete ökonomische Bedrohung nicht glaubwürdig sein.“ [8]
Nach Auffassung von Flassbeck ist das Dogma der Freihandelsdoktrin, nach dem sich die Entwicklungsländer auf die Herstellung arbeitsintensiver Produkte beschränken sollen, durch nichts zu rechtfertigen. Es werde als Rechtfertigung von Protektionismus missbraucht und führe auf diese Weise dazu, dass die Schwellenländer schnell und erfolgreich aufholen. Der Ökonom Heiner Flassbeck führt dazu weiter aus, dass es bisher westliche Unternehmen waren, die von den riesigen absoluten Vorteilen des Handels mit China profitierten. So seien durch Direktinvestitionen seit der Öffnung Chinas über viele Jahre gewaltige Effekte ausgelöst worden zugunsten europäischer Unternehmen. Er führt aus, dass der chinesische Handel bisher zum großen Teil von westlichen Unternehmen betrieben wurde, die ihren Standort in China hatten. Vor zehn Jahren waren noch 60-70 % der gesamten Exporte Chinas nicht die Exporte originär chinesischer Unternehmen, sondern Exporte ausgelagerter westlicher Unternehmen.[9]
„Nun, da auch originär chinesische Unternehmen mit der Hilfe modernster Technologie und immer noch relativ günstiger Löhne (weil die durchschnittliche gesamtwirtschaftliche Produktivität in China immer noch relativ niedrig ist) selbst diese absoluten Vorteile nutzen, treten die westliche Laienspieler auf den Plan und behaupten, es könnten ja nur staatliche Subventionen sein, die die chinesischen Produkte so günstig machten.
So lange westliche Unternehmen die absoluten Vorteile Chinas nutzten, um in der Welt zu Niedrigstpreisen zu verkaufen (oder übermäßig hohe Gewinne zu machen) war alles in Ordnung, nun, da die Unternehmen aus dem Schwellenland das Gleiche tut, muss man mit an den Haaren herbeigezogenen Argumenten dagegenhalten.
Absurder kann Politik nicht mehr sein. [10]
Der Anteil deutscher Marken am Automobilmarkt in China lag im Jahr 2020 noch bei 26,5 Prozent, während der Anteil im Jahr 2020 auf 20,7 Prozent zurückgegangen ist.
Vor allem aber bricht der Gewinn ein; VW verdiente in seinen Joint Ventures im Jahr 2018 noch 4,6 Mrd. Euro, während sich der Gewinn im Jahr 2023 auf 2,6 Mrd. Euro belief und im ersten Halbjahr 2024 sogar nur bei 0,8 Milliarden Euro lag.
Bei Mercedes-Benz brach der Gewinn im ersten Halbjahr um 15 Prozent auf 645 Millionen Euro ein. Lediglich BMW konnte die rasch sinkenden Verbrenner-Stückzahlen durch ein Plus bei Elektroautos um 20 Prozent ausgleichen.[11]
Die EU-Entscheidung kommentieren deutsche Autokonzerne mit den Worten, dass es ein fatales Signal für die europäische Autoindustrie sei. [12] Der VW-Chef verlangt, die Suche nach einer Verhandlungslösung fortzusetzen.
Die Zeichen stehen auf Einstieg in einen Handelskrieg, der am Ende vor allem die Verbraucher der handelstreibenden Länder belasten wird.
Quellen:
[1] https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5306-eu-und-der-gewollte-handels-protektionismus-zollerhebung-auf-chinas-e-fahrzeuge
[2] China verhängt Anti-Dumping-Maßnahmen auf EU-Brandy. handelsblatt.com 08.10.2024.
[3] Philip Blenkinsop: EU presses ahead with Chinese EV tariffs after divided vote. reuters.com 04.10.2024.
[4] https://www.scmp.com/economy/global-economy/article/3281557/china-hits-out-eu-brandy-threat-signals-car-probe-days-after-ev-tariff-vote
[5] https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9711
[6] A.a.O. https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5306-eu-und-der-gewollte-handels-protektionismus-zollerhebung-auf-chinas-e-fahrzeuge
[7] A.a. O. https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9711
[8] https://www.relevante-oekonomik.com/2024/10/07/china-und-die-leyen-spieler/
*) Als Neocons werden die Vertreter des Neokonservatismus bezeichnet, eine politische Bewegung, die in den 1960er Jahren in den Vereinigten Staaten entstand und die amerikanische Außenpolitik insbesondere in den letzten Jahrzehnten maßgeblich beeinflusst hat.
[9] A.a. O. https://www.relevante-oekonomik.com/2024/10/07/china-und-die-leyen-spieler/
[10] Ebd.
[11] A.a. O. https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9711
[12] VW-Chef fordert Investitionen statt China-Zölle. handelsblatt.com 07.10.2024.
Digitalisierung, künstliche Intelligenz und der Aufstieg digitaler Währungen (IV)
Dem Ruf nach einem elektronischen Zahlungssystem, das auf kryptografischen Beweisen statt auf Vertrauen basiert und ermöglichte, direkt Geschäfte miteinander zu tätigen, folgte die Entwicklung von Bitcoin.
Die wichtigste technologische Innovation hinter Kryptowährungen ist die Blockchain, die alle Transaktionen für jede einzelne Währungseinheit enthält. Sie unterscheidet sich von bestehenden (physischen oder digitalen) Hauptbüchern dadurch, dass sie elektronisch und dezentralisiert ist, d. h. es gibt keine zentrale Behörde, die die Gültigkeit von Transaktionen überprüft. Auf der Grundlage eines kryptographischen Nachweises wird eine Überprüfung verwendet, wobei verschiedene Mitglieder des Netzwerks für eine kurze Zeit „Blöcke“ von Transaktionen überprüfen.
Der Anreiz dafür ist eine Vergütung in Form der neu „geprägten“ Kryptowährung für das erste Mitglied, das die Verifizierung vornimmt. Nur wenige Menschen verstehen die technischen Feinheiten einer Kryptowährung.
Eine einfache Definition:
„ Kryptowährung ist eine digitale Währung, die in einem offenen und dezentralen elektronischen Zahlungssystem gespeichert ist“[5]
Bitcoins und ähnliche Kryptowährungen sind schnell zu einem Spekulationsobjekt geworden, während die ursprüngliche Idee darin bestand, ein sicheres Zahlungssystem im Internet bereitzustellen. Der Anstieg der Nachfrage wird im Wesentlichen dadurch bestimmt, dass Bitcoins ein Vehikel für Steuerhinterziehung und andere kriminelle Aktivitäten sind, da Schwarzmarkt- und andere illegale Transaktionen nicht auf Kreditkartenabrechnungen erscheinen und das Geld, mit dem Bitcoins gekauft wurden, anonym ist.
Aus diesem Grund sind sie für Spekulationen geeignet. Und aus diesem Grund tendiert die langfristige Preisbewegung nach oben und die kurzfristige Bewegung setzt sich aus wilden Preisschwankungen und Booms und Pleiten zusammen. Die Preise von Bitcoin und anderen Kryptowährungen werden durch spekulative Investitionen ohne unmittelbare Ursache und Wirkung in der Real- oder Finanzwirtschaft bestimmt. Laut einer Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) über Investoren werden „Kryptowährungen nicht als Alternative zu Fiat-Währungen oder regulierten Finanzierungen gesucht, sondern sind stattdessen ein digitales Spekulationsobjekt in der Nische“.[7]
Spekulation ist dem Kapitalismus inhärent, nimmt aber wie andere Finanzaktivitäten in Zeiten wirtschaftlicher Malaise und Krisen zu, d. h. wenn die Rentabilität in den produktiven Sektoren sinkt und das Kapital in unproduktive und finanzielle Sektoren abwandert, in denen die Profitrate höher ist.
Der Erfolg und die Expansion von Bitcoins sind gesellschaftlich bedingt, sie sind zur Wahrnehmung des Bedürfnisses des Kapitals geworden, noch ein weiteres finanzielles Ventil für sinkende Rentabilität zu finden.
Quelle: tradingeconomics.com
Ist Bitcoin eine neue Form von Geld?
Der Treiber hinter dem Bitcoin und anderen konkurrierenden Kryptowährungen war das Internet und das Wachstum des internetbasierten Handels und der Transaktionen.
Das Internet hat einen Bedarf an kostengünstigen, anonymen und schnell überprüfbaren Transaktionen für den Online-Tauschhandel geschaffen, und als Folge davon sind schnelle Abwicklungsmethoden für den Austausch entstanden.
Auch Bitcoin stellt wie Geld einen Wert dar, d. h. es hat Kaufkraft. Aber bedeutet das, dass es Geld ist? Die Hauptfunktion von Geld besteht darin, einen Wert darzustellen. Die Darstellung eines Wertes ist zwar notwendig, reicht aber nicht aus, um Geld zu sein.
Insofern sie als Zahlungsmittel fungieren, können Bitcoins mit Geld verglichen werden. Als Wertaufbewahrungsmittel und Rechnungseinheit sind sie jedoch aufgrund ihres spekulativen Charakters weit davon entfernt, diese beiden charakteristischen Merkmale vollständig zu erfüllen. Derzeit funktioniert es nur in äußerst begrenztem Umfang als Geld. Bitcoins sind aufgrund der sehr hohen Preisschwankungen und der Tatsache, dass Regierungen ihren Preis nicht garantieren, kein sehr guter Wertspeicher. Aus den gleichen Gründen sind sie keine zuverlässige Rechnungseinheit.
Der spekulative Charakter von Kryptowährungen beeinträchtigt nicht nur ihre Funktion als Wertaufbewahrungsmittel, sondern auch ihre Funktion als Recheneinheit. Damit Verträge das tun, wozu sie gedacht sind – nämlich Aspekte der Zukunft festzuschreiben –, müssen die Parteien ein gewisses Vertrauen in die zukünftige Bedeutung der in sie eingeschriebenen Zahlen haben.
Die Preise für Kryptowährungen sind, abgesehen von wilden kurzfristigen Schwankungen, in die Höhe geschossen. Dies ist zum einen auf das begrenzte Angebot und zum anderen auf die steigende Nachfrage als spekulatives Finanzvermögen zurückzuführen. Da Anleger jedoch dazu neigen, sie zu halten, anstatt sie auszugeben, ist ihre Funktion als Tauschmittel stark eingeschränkt. Die Volatilität kann durch Finanzinstrumente wie Terminkontrakte reduziert werden. Im Jahr 2018 führte die Chicago Mercantile Exchange (CME), die größte Terminbörse der Welt, die Bitcoin-Terminkontrakte ein[8]
Dennoch können Kryptowährungen auf den Weltmärkten nicht zu Geld werden.
Eine internationale Währung muss mindestens vier Grundbedingungen erfüllen:
- Sie muss einen langfristig stabilen Wert haben;
- es muss ein ausreichendes Volumen vorhanden sein, um den Bedarf des internationalen Handels mit Waren, Dienstleistungen und Finanzanlagen zu decken,
- die Transaktionskosten müssen niedrig sein, mit geringen Unterschieden zwischen Geld- und Briefkursen und hoher Liquidität und
- es muss einen stabilen Emittenten geben, der die Währung garantiert.
Auf dieser Grundlage wählen die Marktteilnehmer aus, welche Währung im Welthandel am besten geeignet ist, und es ist keine supranationale Behörde erforderlich. Diese Bedingungen gelten sowohl für Waren- als auch für Papiergeld. Für Papiergeld muss es einen Emittenten geben, da die Währung eine Verpflichtung gegenüber dem Inhaber impliziert.
Bitcoin erfüllt jedoch keine dieser vier Bedingungen.
Erstens weist es eine größere Volatilität auf als jede andere vorherrschende Währung in der Geschichte. Preisänderungen von mehreren zehn Prozent innerhalb weniger Tage sind an der Tagesordnung. Zweitens gibt es einen vorgegebenen Höchstbetrag, der geschaffen werden kann. Wenn sie den Bedarf eines wachsenden internationalen Handels decken soll, muss der relative Wert der Währung steigen, was sie noch instabiler macht. Drittens sind die Transaktionskosten hoch; Transaktionen dauern lange und das System kann nur eine begrenzte Anzahl pro Zeitraum verarbeiten.
Aus diesen Gründen können Kryptowährungen derzeit nur als eine embryonale Form von Geld betrachtet werden. Es ist noch ein langer Weg, bis sie die gleiche Reichweite wie nationale Währungen haben werden. Kurzfristig sind die Hindernisse fast unüberwindbar. Bitcoin ist auf Menschen mit Internetverbindung beschränkt. Das bedeutet, dass Milliarden von Menschen von diesem Prozess ausgeschlossen sind, obwohl das mobile Banking in den Dörfern und Städten der „Schwellenländer“ zugenommen hat.
Bisher ist es fast unmöglich, mit Bitcoin viel zu kaufen. Weltweit werden etwa drei Bitcoin-Transaktionen pro Sekunde durchgeführt, im Vergleich zu 9.000 Visa-Kreditkarten-transaktionen pro Sekunde.[9]
Und die Einrichtung einer „Wallet“ für Bitcoin-Transaktionen im Internet ist immer noch ein schwieriges Unterfangen. Spezialisierte Agenturen könnten jedoch ihre Dienste anbieten (und tun dies bereits). Letztendlich müssen Anleger möglicherweise keine Bankgebühren, sondern die Gebühren der Vermittler zahlen, wodurch einer der vermeintlichen Vorteile für Anleger zunichte gemacht wird. Außerdem können Bitcoin- und andere Krypto-Transaktionen nur 200 Millionen pro Jahr erreichen, was nur ausreicht, damit jeder Mensch auf der Erde in seinem ganzen Leben zwei Transaktionen durchführen kann.
Außerdem erfordert das Bitcoin-Mining spezielle Ausrüstung sowie erhebliche Stromkosten, sodass Miner ihre Technologie- und Energieinvestitionen ausbalancieren müssen. Das bedeutet, dass Bitcoin zunehmend nur dann als alternativer Ersatz für die Weltwährung funktionieren könnte, wenn das Mining zu einem großen Geschäft wird.
Und das bedeutet, dass es früher oder später große Unternehmen geben wird, die in den Händen kapitalistischer Unternehmen sind und die möglicherweise in der Lage sein werden, den Bitcoin-Markt zu kontrollieren.[10]
Außerdem würde Bitcoin, wenn es als praktikables Zahlungsmittel für die Zahlung von Steuern an die Regierung dienen sollte, eine Art Preisverhältnis zur bestehenden Fiat-Geldmenge erfordern. Die Regierungen werden also weiterhin bestehen bleiben. Tatsächlich hat China im Jahr 2021 das Krypto-Mining vollständig verboten.
Außerdem ist der Energieverbrauch enorm.[11] Das Bitcoin-Mining verbraucht bereits mehr Energie für die Computerleistung als Irland pro Jahr verbraucht. Die Temperaturen in der Nähe von Rechenzentren sind in die Höhe geschossen. Vielleicht könnte diese Wärme ökologisch genutzt werden, aber die Unrentabilität eines solchen Energierecyclings könnte die Expansion von Bitcoin durchaus „blockieren“.
Aufgrund dieser enormen Ressourcenverschwendung ist die einzige vernünftige Option, Bitcoins ganz zu verbieten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es große Nachteile hätte, wenn die Wirtschaft auf Kryptowährungen statt (oder zusammen mit) nicht konvertierbarem Papiergeld basieren würde.
Der Staat würde eines seiner grundlegenden Instrumente zur Krisenbekämpfung, die Geldpolitik, verlieren, und die zunehmende Instabilität, die Kryptowährungen innewohnt, würde sich proportional zu ihrem Anstieg auf den realen und den Finanzsektor auswirken. Da sie durch nichts gedeckt sind und aus den oben genannten Gründen, sind Bitcoins nicht als Geld (oder Geldersatz) geeignet.
Angeblich haben Kryptowährungen nun ihr Image, mit Betrügern, Schwindlern und wilder Spekulation in Verbindung gebracht zu werden, abgelegt und gehören nun zum „seriösen Teil“ der Finanzwelt. Der jüngste Fall Friedman hat gezeigt, dass dies ein Witz ist – zusammen mit einer Reihe anderer solcher "Friedmans" im letzten JAhrzehnt des Aufstiegs von Kryptowährungen. [14] Sam Bankman-Fried leitete einen äußerst erfolgreichen FTX-Bitcoin-Hedgefonds, der angeblich Millionen für seine Kunden erwirtschaftete. Aber Friedman wurde schließlich entlarvt und wegen Diebstahls von 8 Milliarden Dollar von seinen FTX-Kunden verurteilt. Es wurde festgestellt, dass er Kundengelder in Milliardenhöhe in den Schwester-Hedgefonds von FTX, Alameda Research, umgeleitet hatte, um diesen liquide zu halten und sich mit dem Geld seiner Kunden zu bereichern. Friedman führte ein gutes Leben und gab mehr als 200 Millionen Dollar für Immobilien auf den Bahamas und für spekulative Investitionen aus.[15] "Sam Bankman-Fried hat einen der größten Finanzbetrugsfälle in der amerikanischen Geschichte begangen – ein milliardenschweres , das ihn zum König der Kryptowährungen machen sollte – aber auch wenn die Krypto-Währungsbranche neu ist und Akteure wie Sam Bankman-Fried neu sind, ist diese Art von Korruption so alt wie die Zeit selbst“, sagte der US-Staatsanwalt Damian Williams aus Manhattan nach der Verurteilung. “In diesem Fall ging es immer um Lügen, Betrug und Diebstahl, und dafür haben wir keine Geduld.“
All dies beweist, dass Bitcoin und andere Kryptowährungen nicht näher an der allgemeinen Akzeptanz als Geld sind als zu dem Zeitpunkt, als sie erstmals auf den Markt kamen. Sie bleiben Teil der spekulativen digitalen Finanzwirtschaft.
Sie werden keine Fiat-Währungen ersetzen, bei denen die Versorgung von Zentralbanken und Regierungen als Hauptumtauschmittel kontrolliert wird. *) Spekulation ist dem Kapitalismus inhärent, nimmt aber wie andere Finanzaktivitäten in Zeiten wirtschaftlicher Malaise und Krisen zu, d.h. wenn die Rentabilität in den produktiven Sektoren sinkt und das Kapital in unproduktive und finanzielle Sektoren abwandert, in denen die Profitrate höher ist. Dies ist der Grund für die Entstehung und den Aufstieg des Krypto-Marktes. Der aktuelle Einbruch dieses Marktes zeigt, was passiert, wenn Investoren aufgrund einer drohenden Verlangsamung oder gar Rezession in der „realen“ Wirtschaft mit sinkenden Gewinnen rechnen.[16]
Aber das Kapital ignoriert die Blockchain-Technologie nicht. Wie jede andere Innovation versucht es vielmehr, sie unter seine Kontrolle zu bringen. Trotz der oben genannten Nachteile können gegenseitige verteilte Ledger (MDLs) in der Blockchain-Technologie eine elektronische öffentliche Transaktionsaufzeichnung von Integrität ohne zentralen Eigentümer bereitstellen. Die Möglichkeit, über eine global verfügbare, überprüfbare und nicht manipulierbare Datenquelle zu verfügen, bietet jedem, der vertrauenswürdige Drittanbieterdienste bereitstellen möchte, d. h. den meisten Finanzdienstleistungs-unternehmen, die Möglichkeit, dies kostengünstig und zuverlässig zu tun. Tatsächlich ist dies der Weg, den große Banken und andere Finanzinstitute einschlagen. Sie sind daran interessiert, die Blockchain-Technologie zu entwickeln, um Kosten zu sparen und Internet-Transaktionen zu kontrollieren.
Da die Verwendung von Bargeld zunehmend eingeschränkt wird, sind wir bereits auf eine Handvoll großer Banken angewiesen, um unser Geld zu verwalten und Zahlungen zu tätigen, während Visa und Mastercard den Kartenmarkt fast vollständig dominieren. 98 Prozent der im Vereinigten Königreich ausgestellten Debitkarten sind inzwischen Visa-Karten.
Im Prinzip sollte jede digitale Währung die Bezahlung von Waren und Dienstleistungen einfacher und billiger machen, sodass die Menschen nicht mehr mit großen Mengen an Bargeld herumlaufen müssen (z. B. wenn sie mit dem Koffer in ein anderes Land fliegen). Und mit Bargeld kann man nicht online bezahlen. Dies ist einer der Gründe, warum die physische Währung als effizientes Zahlungsmittel im digitalen Zeitalter an Attraktivität verliert.
Die zunehmende Verbreitung von Online-Shopping und digitalen Zahlungen ging in den letzten anderthalb Jahrzehnten mit einem stetigen Rückgang der Bargeldnutzung einher.
Im Großen und Ganzen hat die Digitalisierung der Wirtschaftstätigkeit tiefgreifende Auswirkungen darauf, wie Menschen für Dinge bezahlen.
Die folgenden Graphiken zeigen zum einen die stetig ansteigenden online Käufe seit 2018 bis 2021 und ein Vergleich der abnehmenden Bargeldtransaktionen in den Niedertlanden im Vergleich zu Deutschland.
Die meisten Menschen sehen keinen Unterschied zwischen Bargeld und digitalen Zahlungen, abgesehen von der offensichtlichen Tatsache, dass beim Bezahlen mit Bargeld physisches Geld ausgetauscht wird, bei digitalen Transaktionen jedoch nicht. Es gibt aber auch einen subtileren Unterschied.
Bargeld ist öffentliches Geld – es ist eine Verbindlichkeit der Zentralbank und somit vollkommen sicher,
Digitales Geld stammt im Gegensatz dazu dem privaten Sektor, meist in Form von Bankeinlagen. Obwohl es sich um eine Verbindlichkeit eines privaten Unternehmens handelt, kann von Banken ausgegebenes Geld dank Finanzregulierung und Einlagensicherung immer zum Nennwert in Bargeld umgetauscht werden. Deshalb halten die Menschen es für sicher und nützlich als Zahlungsmittel.
Die rückläufige Verwendung von Bargeld und das Potenzial für eine wachsende Rolle neuer Geldformen außerhalb des regulierten Bankensektors haben zu Forderungen nach der Einführung einer digitalen Version von Bargeld geführt, die oft als digitale Zentralbankwährung (CBDC) bezeichnet wird. Es gibt mindestens drei Hauptargumente, die diese Forderungen stützen.
- Erstens spielen öffentliche Gelder eine besondere Rolle als Anker des Währungssystems. Die Menschen sind bereit, Zahlungen in privaten Geldern (Kreditkarten und Banküberweisungen) zu akzeptieren, weil sie wissen, dass diese leicht in absolut sichere öffentliche Gelder (Bargeld) umgetauscht werden können. Wenn Bargeld jedoch nicht mehr weit verbreitet ist, verliert das Versprechen der perfekten Konvertibilität an Bedeutung. In diesem Szenario würde eine digitale Version von Bargeld die Fortführung des derzeitigen Währungssystems sicherstellen.
- Zweitens trägt die Ausgabe von CBDC dazu bei, die Kontrolle der Zentralbank über die Währung zu bewahren[17]. Dank ihrer globalen Reichweite könnten digitale Plattformen zu großen Emittenten von privatem digitalem Geld werden. Wenn in einem extremen Szenario privates Geld öffentliches Geld als Währungseinheit in Verträgen und Transaktionen (die „Rechnungseinheit“) verdrängt, kann die Zentralbank keine wirksame Geldpolitik mehr betreiben oder die Finanzstabilität durch ihr Handeln als Kreditgeber der letzten Instanz (Lender of Last Resort) gewährleisten. Eine CBDC könnte ein solches Szenario verhindern, indem sie eine öffentliche Version des digitalen Geldes anbietet, um die Nachfrage zu decken.
- Drittens könnte eine CBDC dazu beitragen, die Privatsphäre zu schützen. Privatunternehmen versuchen in der Regel, von den personenbezogenen Daten zu profitieren, die sie sammeln können, wenn Menschen digitale Zahlungen tätigen, was von vornherein von deren Nutzung abhalten kann – ein ineffizientes Ergebnis. Eine CBDC könnte so konzipiert werden, dass sie den Nutzern mehr Kontrolle über ihre Daten gibt, z. B. darüber, ob sie personenbezogene Daten an Dritte weitergeben, um stärker personalisierte Dienstleistungen zu erhalten. Dies kann die Effizienz und das Wohlergehen in der digitalen Wirtschaft fördern.[18]
Die Debatte über digitale Währungen der Zentralbanken hat an Fahrt aufgenommen.
Laut einer aktuellen Umfrage der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) untersuchen fast alle befragten Zentralbanken aktiv das Potenzial für eine CBDC.[19] In gewisser Weise ist die Einführung von digitalem Bargeld eine natürliche Entwicklung, die mit vielen anderen Aspekten des Lebens in Einklang steht, die sich in die digitale Sphäre verlagern.[20]
Die möglichen Auswirkungen einer Gesellschaft ohne öffentliches Geld sind seit langem ein Diskussionsthema, das Bedenken hinsichtlich der Aufrechterhaltung seiner Schlüsselrolle im Zahlungsverkehr aufwirft. Im digitalen Zeitalter sind diese Diskussionen in Zentralbanken und der Wissenschaft wieder aufgekommen.
Das Eurosystem bereitet sich nun auf die mögliche Entwicklung eines digitalen Euros neben dem Bargeld vor, dessen Verwendung rückläufig ist.
Laut einer 2019 von der Bundesbank veröffentlichten Studie entfielen 2018 in China – der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt – nur 20 % der Zahlungen auf Bargeld.
China war die erste große Volkswirtschaft, die eine Blockchain-basierte digitale Version ihrer Währung, den Cyber-Yuan, für Transaktionen einführte. Die schwedische Zentralbank, die Riksbank, gab bekannt, dass ihr aktuelles Pilotprojekt noch mindestens ein Jahr dauern wird, bis die e-krona einsatzbereit ist. Eine digitale Kryptowährung der USA würde riesige Mengen an internationalen Währungen einsammeln, die dann gewinnbringend investiert werden könnten. Die anderen Länder könnten, wenn sie stark genug sind, ihre eigenen Kryptowährungen einführen, um sowohl internationale Währungen (insbesondere starke) zu gewinnen als auch die finanzielle Vormachtstellung der USA einzuschränken. Dies scheint der Grund für den Schritt der chinesischen Regierung zu sein, eine „Digital Currency Electronic Payment (DC/EP)“ einzuführen, eine Zahlungsvereinbarung für digitale Renminbi (RMB), auch e-CNY (oder e-Yuan) genannt. Der e-CNY wird von der People's Bank of China (PBC) ausgegeben und von autorisierten Betreibern wie Geschäftsbanken, Zahlungsdienstleistern und anderen privatwirtschaftlichen Institutionen betrieben und umgetauscht.
Die USA sind zurückhaltender, da der Dollar im amerikanischen Finanzwesen die weltweit führende Währung ist. Der Vorsitzende der US-Notenbank, Jerome Powell, sagte, dass es keine Eile gebe, eine digitale Zentralbankwährung zu entwickeln. Nachdem er Kryptowährungen als „äußerst volatil und daher nicht wirklich nützliche Wertanlagen, die durch nichts abgesichert sind“ abgetan hatte, fuhr Powell fort: „Es handelt sich eher um einen spekulativen Vermögenswert, der im Wesentlichen ein Ersatz für Gold und nicht für den Dollar ist.“[21] Dennoch ist die Boston Fed eine Partnerschaft mit dem Massachusetts Institute of Technology eingegangen, um eine mehrjährige Studie zur Entwicklung einer digitalen Zentralbankwährung durchzuführen.[22]
Anstatt Investoren vor den räuberischen Krypto-Systemen zu schützen, haben Finanzaufsichtsbehörden und Vollstreckungsbehörden erst dann eingegriffen, als "es an der Zeit war, die Scherben aufzusammeln und die Trümmer der zerschalgenen Investitionen von Millionen MEnschen zu durchkämmen". [23]
Von Krypto-Unternehmen finanzierte Politiker haben dazu beigetragen, die Regulierung zu blockieren. Der US-Kongress hat einen Gesetzesentwurf nach dem anderen blockiert, da die Industrie darauf drängt, den aktuellen Zustand der laxen Regulierung mit Ausnahmeregelungen und Schlupflöchern festzuschreiben.
Einmal mehr hat die Regulierung Finanzspekulationen, Zusammenbrüche und Betrügereien nicht verhindern können. Regulierungsbehörden und Gesetzgeber haben es versäumt, Änderungen vorzunehmen, um die Öffentlichkeit proaktiv zu schützen, während sie Krypto-Firmen erlauben, Werbung zu machen und neue Kunden zu werben, die weitaus wahrscheinlicher als Opfer eines weiteren Zusammenbruchs enden werden, als dass sie die nächsten Krypto-Millionäre werden.
Wie viele Menschen müssen noch wie viel Geld verlieren, bevor wir aufhören, den Lügen einer Branche zu glauben, die das Vertrauen und die Hoffnung der Menschen auf finanzielle Wunder ausgenutzt hat, nur um sie dann bei einem Misserfolg nach dem anderen auf den Boden zu werfen?“
Karl Marx:
„Die beiden dem Kreditsystem immanenten Merkmale sind einerseits die Entwicklung des Anreizes zur kapitalistischen Produktion, von der Bereicherung durch Ausbeutung der Arbeit anderer bis hin zur reinsten und kolossalsten Form von Glücksspiel und Betrug.“[24]
Der Finanzsektor macht also genauso weiter wie bisher und betreibt Spekulationen, und die Regulierungsbehörden können und wollen ihn nicht stoppen.
Das Bankwesen sollte eine öffentliche Dienstleistung für Haushalte und kleine Unternehmen sein, um Einlagen entgegenzunehmen und Kredite zu vergeben – und nicht die Finanzierung eines riesigen Finanzkasinos, in dem Kriminelle und Betrüger unsere Lebensgrundlagen verspielen.[25]
Eine digitale Währung sollte in ihren Abläufen transparent sein und die Privatsphäre Ihrer Daten wahren.
Was wir wirklich brauchen, ist eine demokratische Kontrolle der Finanzinstitute und die Übernahme von Megatechnologieunternehmen wie Facebook, Google und Amazon. Regierungen sollten dann technologische Innovationen nutzen, um eine internationale digitale Währung zu entwickeln, die im öffentlichen Interesse kontrolliert und betrieben wird. Eine solche öffentliche digitale Währung würde jedoch eine gemeinsame Eigentümerschaft und Kontrolle von Finanzinstituten und digitalen Monopolen erfordern. In der Zwischenzeit wird der US-Dollar regieren.
In einer kapitalistischen Wirtschaft ist Geld die Repräsentation, ein Symbol für Wert. Es handelt sich also um eine gesellschaftlich bestimmte Darstellung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse, des Privateigentums an den Produktionsmitteln (und damit um eine Darstellung der Ausbeutung). Als solches kann Geld keine sozialistischen Produktionsverhältnisse darstellen. Selbst wenn der Austausch auf der Grundlage von Bitcoins universell werden sollte, würden Bitcoins nur zum Kauf von kapitalistisch produzierten Waren und vom Kapital zum Kauf von Arbeitskraft verwendet werden.
Sie würden zu einer neuen Darstellung der Ausbeutung werden.
Quellen:
*) Anmerkung: Fiat-Geld ist ein gesetzliches Zahlungsmittel, das seinen Wert nicht durch physische Güter wie Gold oder Silber erhält, sondern durch das Vertrauen der Nutzer und die Wirtschaftspolitik der ausgebenden Regierung
[5] (Huberman et al., 2017).
[7] R. Auer und D. Tercero-Lucas, „Distrust or Speculation? The Socioeconomic Drivers of US Cryptocurrency Investments, BIS Working Paper 951, Juli 2021, www.bis.org/publ/work951.pdf
[8] CME Group (Anzeige der CME).
[9] https://towardsdatascience.com/the-blockchain-scalability-problem-the-race-for-visa-like-transaction-speed-5cce48f9d44
[10] https://cointelegraph.com/news/bitcoin-halving-btc-mining-centralization
[11] https://hbr.org/2021/05/how-much-energy-does-bitcoin-actually-consume
[12] https://www.coinspeaker.com/jpmorgan-tether-dominance-risks-crypto
[13] Group of Thirty, „Digital Currencies and Stablecoins Risks, Opportunities, and Challenges Ahead, Juli 2020
[14] https://nymag.com/intelligencer/article/barry-silbert-is-the-crypto-worlds-new-villain.html
[15] https://apnews.com/article/sam-bankman-fried-ftx-fraud-timeline-be13e3fc0e074e2edd50ba59d1f8960e
[16] https://thenextrecession.wordpress.com/2021/04/09/financial-fiction-part-two-the-new-ones-spacs-nfts-cryptocurrencies
[17] (Brunnermeier et al. 2019).
[18] (Ahnert et al. 2022b).
[19] (Kosse und Mattei 2022).
[20] (Panetta, 2021).
[21] https://www.federalreserve.gov/newsevents/speech/powell20240823a.htm
[22] https://www.bostonfed.org/publications/one-time-pubs/project-hamilton-phase-1-executive-summary
[23] https://www.theguardian.com/global/commentisfree/2024/mar/28/sam-bankman-fried-prison-crypto-regulation
[24] https://www.marxists.org/archive/marx/works/1894-c3/ch27.htm
[25] https://thenextrecession.wordpress.com/2010/09/15/banking-as-a-public-service
Zusätzlicher Literatur-Hinweis zur Serie der isw-Veröffentlichungen
Setzt China künftig die Standards für Künstliche Intelligenz? (I)
Wolfgang Müller: https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5295-setzt-china-kuenftig-die-standards-fuer-kuenstliche-intelligenz
Digitalisierung – eine neue Phase in der Entwicklung der Produktivität (II)
Michael Roberts: https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5304-digitalisierung-eine-neue-phase-in-der-entwicklung-der-produktivitaet-ii
Verändert das digitale Geschäftsmodell die Natur des Kapitalismus? (III)
Michael Roberts: https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5305-veraendert-das-digitale-geschaeftsmodell-die-natur-des-kapitalismus-iii
EU und der gewollte Handels-Protektionismus: Zollerhebung auf Chinas E-Fahrzeuge
Nach der geheimen Abstimmung der 27 Mitgliedsstaaten der Union werden ab dem 1. November für fünf Jahre Zölle erhoben.
Die EU-Kommission ist nun befugt, die beschlossene Zoll-Entscheidung bis zum 30. Oktober in Kraft zu setzen, wobei die Zölle am nächsten Tag bereits angewandt werden sollen.
Die einzige Möglichkeit, einen solchen Schritt noch zu verhindern, wäre nach Angaben von Brüssel eine kurzfristige Verhandlungslösung mit China. [1] Die ab November d.J. vorgesehenen Zölle auf in China hergestellte Elektrofahrzeuge, mit Ausnahme der im Land gebauten Fahrzeuge ausländischer Marken, zielen darauf ab, „Wettbewerbsfähigkeit“ der in China hergestellten Elektrofahrzeuge in Bezug auf ihre Kostenleistung auf dem EU-Markt herzustellen, nachdem europäische Autobauer keine vergleichbaren Kostenangebote für E-Autos anbieten wollen.
„Wettbewerbsfähigkeit“ bestimmt also die EU!
Medienberichten zufolge stimmten zehn EU-Mitglieder für die Zölle: Bulgarien, Dänemark, Estland, Frankreich, Irland, Italien, Litauen, Lettland, die Niederlande und Polen, die zusammen 45,99 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, aber die meisten unter ihnen nicht einmal zu den wichtigsten Import-Nationen für in China hergestellte Elektrofahrzeuge zählen.
Die fünf Länder, die gegen diesen Zoll- Schritt stimmten, Deutschland, Ungarn, Malta, Slowenien und die Slowakei, vertreten 22,65 Prozent der EU-Bevölkerung, verfehlen aber die vorgegebene Sperrminorität nach EU-Recht (4 Mitgliedsländer, die mindestens 35 % der EU-Bevölkerung repräsentieren).[2]
Die EU führt den gebrauchswertigeren Preis der in China hergestellten Elektrofahrzeuge auf dem EU-Markt auf staatliche Subventionen zurück. Die EU hat dafür, offensichtlich ohne offizielle Beschwerde bei der Welthandelsorganisation (WHO) eigenmächtig eine Untersuchung gegen „wettbewerbsverzerrende Praktiken chinesischer E-Fahrzeughersteller“ eingeleitet, allerdings ohne stichhaltige Beweise vorlegen zu können.
Faktisch beruht die Wettbewerbsfähigkeit der in China hergestellten Elektrofahrzeuge auf dem langfristigen Einsatz der chinesischen Elektrofahrzeughersteller in der Forschung und Entwicklung einiger Kerntechnologien, wie z. B. im Zusammenhang mit den Batterien für Elektrofahrzeuge, sowie auf den Skaleneffekten der riesigen und vollständigen Produktionsbasis Chinas.
Neben dem riesigen Mobilitätsbedarf von China, das auch weiterhin aufnahmefähig für Automobile mit Verbrenner-Antrieb von Europa bleibt, sorgt das Land entsprechend seiner planerisch ausgelegten staatlichen Wirtschaftspolitik dafür, seine inländischen Produkte konkurrenzfähig auch in Europa anzubieten. Im Gegenzug praktiziert China infolge seines riesigen Mobilitätsbedarfs die Einfuhr europäischer, insbesondere deutscher Automobile. [3]
China ist der größte Automarkt der Welt und war laut Verband der Automobilindustrie (VDA) im Jahr 2023 für Autos aus Deutschland der drittgrößte Exportmarkt.
Und dabei kommen die international gültigen Handelsvereinbarungen und Regelwerke letztlich zum Tragen, wie z. B. das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten [4] oder der WTO- Streitbeilegungsmechanismus.[5]
Staatliche Stützmaßnahmen sind in einem System, das keine Profitmaximierung privater monopolistischer Unternehmensstrukturen zum Ziel hat, sondern dem Gemeinwohl der institutionalisierten sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung verpflichtet ist, durchaus angebracht und von der Bevölkerung so auch gefordert und befürwortet. Das ist der systemische Unterschied zur Subventionierung beispielsweise von Großkonzernen, die ihre Profitziele verfehlen und dann dem Staat mit Abwanderung und Vernichtung von Arbeitsplätzen drohen, wenn staatliche Subventionen ausbleiben sollten. [6]
In dem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auch Autokonzerne zu den Börsenkonzernen (u. a. VW und BMW) gehören, die in den vergangenen Jahren dreistellige Milliardengewinne erzielten und zugleich hohe staatliche Subventionen eingefordert und erhalten haben, um ihre „Wettbewerbsfähigkeit“ zu fördern. [7]
Ein Pfad der Eskalation
Mit der Abstimmung der EU wird zunächst ein Schlussstrich unter den wohl größten Handelsstreit in der Geschichte der Beziehungen zwischen der EU und China gezogen – doch ist dieser keineswegs beigelegt und könnte letztlich einen seit langem vorhergesagten Handelskrieg entfachen.
Statement IG Metall und GBR-Vorsitzende der deutschen Automobilhersteller zu geplanten Importzöllen
Im Vorfeld der Entscheidung der EU-Länder über die Importzölle für in China produzierte Elektrofahrzeuge teilte die IG Metall durch ihre Vorsitzende Christiane Benner, zusammen mit den GBR-/KBR-Vorsitzenden der deutschen Automobilhersteller Daniela Cavallo (Volkswagen), Ergun Lümali (Mercedes-Benz), Dr. Martin Kimmich (BMW), Benjamin Gruschka (Ford), Jörg Schlagbauer (Audi), Uwe Baum (Opel/Stellantis) mit:
"Wir lehnen die geplanten Import-Zölle ab und fordern die Bundesregierung auf, gegen die Einführung der Zölle zu stimmen. Mit Blick auf die Zukunftsperspektiven für hunderttausende Beschäftigte bei den deutschen Automobilherstellern und deren Zulieferern sagen wir unmissverständlich: Die Zölle sind der falsche Ansatz, denn sie verbessern nicht die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie.
Beide Seiten sollten alles tun, um mit Hochdruck auf dem Verhandlungswege Lösungen für ein faires Wettbewerbsumfeld auf den internationalen Automobilmärkten zu finden. In einem eskalierenden Handelskonflikt würden alle verlieren.
Angesichts der starken gegenseitigen Abhängigkeiten sprechen wir uns nicht für „Anti-China“-Zölle aus, sondern für ein CO2-orientiertes Handels- und Förderregime, das die Entwicklung regional-lokaler Wertschöpfungsketten voranbringt. Es sollte für deutsche, europäische, US-amerikanische und asiatische Hersteller gleichermaßen gelten. Dabei müssen Wertschöpfung und Beschäftigung an den deutschen und europäischen Standorten im Vordergrund der europäischen Interessenvertretung stehen.
Beispielsweise muss bei Ansiedlung nicht-europäischer Automobilhersteller sichergestellt sein, dass europäisch gefertigte Komponenten (local content) verbaut werden. So könnte auch die deutsche und europäische Zulieferindustrie profitieren und Innovation beim Software-Defined Vehicle stärker in Europa stattfinden. Ziel der Maßnahmen sollte nicht die Abschottung gegenüber chinesischen Herstellern sein, sondern die Schaffung eines fairen Wettbewerbs und die Stärkung des deutschen und europäischen Wertschöpfungsanteils aller hier verkauften Fahrzeuge.“[8]
Den Aussagen der Arbeitnehmervertreter der deutschen Automobil-Industrie ist ergänzend hinzuzufügen, daß deutsche Firmen nicht nur von den chinesischen Gegenmaßnahmen betroffen sein werden, sondern auch von den EU-Maßnahmen selbst.
Deutsche Auto-Konzerne lassen in Joint Venture Kooperationen (deutsche und chinesische Unternehmen), zum Teil sogar mit deutscher Mehrheitsbeteiligung[9] , in China für den Export produzieren und müßten durch die „Schutzzoll“-Maßnahmen mit einem Absatzrückgang der chinesischen Import-Fahrzeuge in Deutschland rechnen. Sollte China seinerseits Einfuhrzölle auf Fahrzeuge mit einem Motor, z. B. ab 2 Litern Hubraum einführen, würde dies die deutschen Autohersteller hart treffen.
Im Jahr 2023 ist etwa ein Drittel der in Deutschland produzierten Fahrzeuge nach China exportiert worden. So sind etwa mehr als 30 % des VW-Konzern-Absatzes von 3,24 Millionen Fahrzeugen im Jahr 2023 nach China exportiert worden.[10]
Die Unternehmerseite, vertreten durch den Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) hatte sich im Vorfeld ebenfalls gegen die Einführung der Zölle ausgesprochen. Wettbewerbsverzerrungen würden zwar bestehen, aber die Einführung von Strafzöllen sei das falsche Mittel.[11]
Faktisch ist die Entscheidung der EU ein Akt protektionistischer Praxis, die einen schweren Verstoß gegen die Regeln der Welthandelsorganisation darstellt und die normale internationale Handelsordnung stört. Sie behindert aber nicht nur die Handels- und Investitionszusammenarbeit zwischen China und der EU, sondern sie richtet sich auch den grünen Wandel der EU, was sich negativ auf die globale Klimapolitik auswirkt und die verpflichtenden Klimaziele zur Makulatur werden läßt.
Seit Ende Juni haben die autorisierten Verhandlungsteams beider Seiten sechs Konsultationsrunden durchgeführt. Im Laufe des Prozesses sind immer wieder Forderungen und Meinungen der chinesischen und europäischen Industrie Gehör geschenkt worden. Allerdings berichten Analysten, dass die offene und kooperative Haltung nachweislich von den Verhandlungsführenden der EU weitestgehend ignoriert wurde und die Empfehlung der EU-Verhandler letztlich die Entscheidungsgrundlage für den Zollerhebungsbeschluss lieferte. [12]
In den kommenden Wochen soll es weitere Gespräche zwischen China und der EU zu diesem Thema geben, um die „harten“ Zielsetzungen noch abzufedern und eine Ausweitung des Handelsstreits in Richtung eines nicht absehbaren Handelskrieges zu vermeiden.
Quellen
[1] https://www.handelsblatt.com/politik/international/handelspolitik-eu-staaten-machen-weg-fuer-zoelle-auf-chinesische-e-autos-frei
[2] https://www.juracademy.de/europarecht/der-rat.html
[3] https://www.electrive.net/2024/07/10/volkswagen-konzern-china-geschaeft-mit-bevs-wiegt-absatzminus-in-europa-auf
[4] https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger
[5]https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/international/agrarmaerkte-und-agrarhandel/wto/streitschlichtung-der-wto.html
[6] https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5302-historischer-meilenstein-75-jahrestag-der-volksrepublik-china
[7] https://www.manager-magazin.de/politik/deutschland/subventionen-deutsche-konzerne-profitieren-von-staatlichen-zahlungen-in-milliardenhoehe
[8] https://www.igmetall.de/presse/pressemitteilungen/statement-ig-metall-und-gbr-vorsitzende-der-deutschen-auto
[9] https://www.press.bmwgroup.com/deutschland/article/detail/T0367989DE/ad-hoc:-bmw-ag-uebernimmt-mehrheit-an-bmw-brilliance-automotive
[10] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/238001/umfrage/auslieferungen-von-volkswagen-nach-china
[11] https://www.zeit.de/wirtschaft/2024-10/widerstand-gegen-eu-strafzoelle-auf-e-autos-aus-china-gescheitert;
https://www.auto-motor-und-sport.de/verkehr/strafzoelle-auf-china-elektroautos-bis-zu-38-prozent-v3/
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eu-zoelle-auf-chinesische-autos-was-sind-die-folgen-110027146.html;
[12] A. a. O. https://www.handelsblatt.com/politik/international/handelspolitik-eu-staaten-machen-weg-fuer-zoelle-auf-chinesische-e-autos-frei
Verändert das digitale Geschäftsmodell die Natur des Kapitalismus? (III)
Der Ersatz menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen begann zu Beginn der britischen Industriellen Revolution in der Textilindustrie, und die Automatisierung spielte eine wichtige Rolle bei der Industrialisierung Amerikas im 19. Jahrhundert.
Die rasche Mechanisierung der Landwirtschaft ab Mitte des 19. Jahrhunderts ist ein weiteres Beispiel für Automatisierung.
Aber diese Mechanisierung erforderte immer noch menschliche Arbeitskraft, um sie in Gang zu setzen und aufrechtzuerhalten. Die eigentliche Revolution wäre, wenn die Automatisierung nicht nur aus menschlich gesteuerten Maschinen, sondern auch aus Robotern in der Fertigung und softwarebasierter Automatisierung in Büroberufen bestünde, die nicht nur weniger menschliche Arbeitskraft erfordern, sondern diese auch vollständig ersetzen könnten. Diese Form der Automatisierung begann in den 1980er Jahren, als Kapitalisten versuchten, die Rentabilität zu steigern, indem sie massenhaft menschliche Arbeitskräfte entließen. Während frühere Mechanisierungen nicht nur Arbeitsplätze abbauten, sondern oft auch neue Arbeitsplätze in neuen Sektoren schufen, wie Friedrich Engels in seinem Buch „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ (1844) feststellte.[1]
Der Autor ist der Meinung, dass sich nichts wirklich geändert hat.[2] Die moderne Automatisierung ist, insbesondere seit der Großen Rezession und dem COVID-Einbruch, für die Zukunft der Arbeit noch schädlicher:
„Einfach ausgedrückt ist das technologische Portfolio der amerikanischen Wirtschaft viel weniger ausgewogen geworden, und zwar auf eine Weise, die für Arbeitnehmer und insbesondere für Arbeitnehmer mit geringer Bildung äußerst nachteilig ist.“
Mehr als die Hälfte und vielleicht sogar drei Viertel des Anstiegs der Lohnungleichheit in den USA sind auf die Automatisierung zurückzuführen.
„Zum Beispiel machen die direkten Auswirkungen der Auslagerung etwa 5–7 % der Veränderungen in der Lohnstruktur aus, verglichen mit 50–70 % durch die Automatisierung. Die alarmierendsten Ansichten, dass Roboter oder KI eine Zukunft ohne Arbeitsplätze schaffen werden, werden durch die Fakten nicht gestützt, aber wir sollten uns Sorgen darüber machen, ob die US-Wirtschaft in der Lage ist, Arbeitsplätze zu schaffen, insbesondere gute Arbeitsplätze mit hoher Bezahlung und Aufstiegsmöglichkeiten für Arbeitnehmer mit einem Highschool-Abschluss oder weniger."
Seine Analyse der Auswirkungen der Automatisierung in den USA lässt sich auch auf die übrigen großen kapitalistischen Volkswirtschaften übertragen. In der Welt nach COVID setzt sich die Intensivierung produktiver und unproduktiver Arbeitsprozesse durch digitale Medien fort.
„Dazu gehörte die Umsetzung von Managementstrategien, wie die Verlängerung der Arbeitszeit und die Erledigung von mehr Aufgaben während dieser Zeit, die Senkung der Löhne, der Angriff auf noch mehr Rechte am Arbeitsplatz, die Festlegung automatisierter Ziele, die Überwachung der Erreichung dieser automatisierten Ziele, die Verfolgung der Bewegungen der Arbeitnehmer durch digitale Medien und so weiter.“
Mit anderen Worten: Ausbeutung und Unterdrückung am bezahlten Arbeitsplatz sind nach wie vor die vorherrschende Methode, mit der Kapitalisten einen Mehrwert aus ihrer Belegschaft ziehen.
Die digitale Technologie steht an vorderster Front, wenn es darum geht, die Klassenverhältnisse in den produktiven Sektoren der Wirtschaft zu verändern und insbesondere die Rechte der produktiven Arbeit anzugreifen. Sie hat zur Automatisierung vieler arbeitsbezogener Aufgaben geführt und dazu beigetragen, Arbeitsplätze abzubauen und zu ersetzen, die früher von Arbeitern ausgeübt wurden. Darüber hinaus hat die Computertechnologie in Verbindung mit der Polarisierung der Qualifikationen in der Belegschaft die Solidarität der Arbeitnehmer untergraben und damit die Wahrscheinlichkeit des Zusammenhalts und der Solidarität der Arbeiterklasse verringert. Die Gewerkschaften wurden im Laufe der Zeit geschwächt, sowohl durch sinkende Mitgliederzahlen als auch durch staatliche Gesetzgebung und Angriffe von Arbeitgebern, die versuchten, die Macht und den Einfluss der Gewerkschaften einzuschränken. Die Rechte der Arbeitnehmer auf Tarifverhandlungen über Löhne und Manager wurden stark eingeschränkt. Und die digitale Technologie war eine wichtige Waffe für die kapitalistische Offensive gegen die Gewerkschaften.
Die „alten“ Spaltungen zwischen Kapital und Arbeit sind also immer noch sehr präsent.
Eine marxistische Theorie der digitalen Technologie, der Arbeit und der Arbeit muss daher von der Prämisse ausgehen, dass der Arbeitsprozess ein wesentlicher Bestandteil der kapitalistischen Produktionsweise und der Schaffung von Mehrwert durch entfremdete Arbeit ist. Die kapitalistische Produktionsweise hat immer noch ihren grundlegenden Widerspruch: zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen; und zwischen der Produktion von Gebrauchswerten und der Produktion von Mehrwert. Dieser Widerspruch setzt sich im digitalen Zeitalter in entfremdeter Arbeit und der Entmachtung der Kontrolle über die Produktionsmittel fort; plus ca change, plus cést la meme chose ( Anmerkung d. Redaktion: „Je mehr sich die Dinge ändern, desto mehr bleiben sie gleich")
Die digitale Technologie hat Wissen und Informationen in Waren verwandelt. Beispiele für Wissenswaren sind alle Arten von Daten, Computersoftware, chemische Formeln, patentierte Informationen, Musikaufnahmen, urheberrechtlich geschützte Kompositionen und Filme sowie monopolisiertes wissenschaftliches Wissen. Dies ändert jedoch nichts an der Wertschöpfung. Die Produktion von Wissen (geistige Arbeit) kann wert- und mehrwertschöpfend sein, wenn es sich um geistige Arbeit handelt, die für das Kapital geleistet wird. In diesem Fall wird die Menge des im Prozess der geistigen Arbeit erzeugten neuen Werts durch die Dauer und Intensität der geleisteten geistigen Arbeit bestimmt. Der Mehrwert ist dann der von den geistigen Arbeitern erzeugte neue Wert abzüglich des Werts ihrer Arbeitskraft; und die Ausbeutungsrate ist der Mehrwert geteilt durch den Wert ihrer Arbeitskraft, wie Marx im Kapital für die „industrielle Revolution“ erklärte.
Der Wert von Wissen (und jedem anderen geistigen Produkt) kann in eine objektive Hülle eingebettet sein oder nicht. In beiden Fällen handelt es sich um eine immaterielle, aber materielle Ware, deren Wert durch den neu produzierten Wert plus den Wert der eingesetzten Produktionsmittel bestimmt wird. Der Programmierer oder Webdesigner ist im Prinzip genauso produktiv wie der Arbeiter, der den Computer herstellt, wenn beide für das Computerunternehmen arbeiten. Die Produktion von Wissen impliziert also die Produktion von Wert und Mehrwert (Ausbeutung) und nicht von Miete. Nach der Produktion können die Kapitalisten, die Eigentümer geistiger Produkte (Wissen) sind, „Miete“ aus ihrem geistigen Eigentum (dem von geistigen Arbeitern für sie produzierten Wissen) ziehen, indem sie geistige Eigentumsrechte geltend machen. Aber zuerst findet immer noch eine Produktion von Wert statt. Der Unterschied zwischen Produktion und Aneignung ist grundlegend.
Das ursprünglich investierte Kapital, der Nenner für die Rentabilität des Kapitals, kann ebenfalls gemessen werden. Zunächst gibt es das in den Prototyp investierte Kapital. Dabei handelt es sich nicht nur um festes konstantes Kapital (Computer, Räumlichkeiten, Einrichtungen, Chipfabriken, Montagewerke usw.). Es handelt sich auch um zirkulierendes konstantes Kapital (Rohstoffe) und variables Kapital, Löhne, die von sehr hoch (für hoch qualifizierte Entwickler) bis niedrig reichen. Hinzu kommen die Kosten für Verwaltung, Vorverkaufswerbung und andere Marketingkosten. Dann gibt es noch das zusätzliche Kapital, das in die Reproduktion der Repliken des Prototyps investiert wird. In Wirklichkeit kann der Gesamtwert des Wissensguts hoch sein und nicht null. Der Einheitswert ergibt sich dann aus dem Gesamtwert geteilt durch die Anzahl der hergestellten Replikate. Er ist direkt proportional zum Gesamtwert und umgekehrt proportional zur Menge der Replikate. Der Wert der Reproduktion solcher Wissensgüter geht nicht gegen null, da bei der Lieferung an den Benutzer immer Replikationskosten für das Wissensgut anfallen.
Die Reproduktion eines Wissensguts unterscheidet sich nicht von der Reproduktion eines neuen Medikaments durch ein Pharmaunternehmen. Im Preis des Medikaments sind die anfänglichen Kosten für die geistige Arbeit, die Erprobung des Medikaments am Menschen usw., die Herstellung der Pillen, Flüssigkeiten sowie die Ausrüstung für die Verabreichung usw. enthalten. Sicherlich können die Stückkosten für die Herstellung jeder neuen Pille auf einen sehr niedrigen Wert fallen, aber das bedeutet nicht, dass der Gesamtwert und der Stückwert auf Null gefallen sind.
Das bedeutet, dass KI-Sprachlernmodelle nichts an der Natur der Kapitalakkumulation ändern. Der größte Widerspruch zwischen Investitionen und wirtschaftlichem Fortschritt im Kapitalismus besteht zwischen der Steigerung der Arbeitsproduktivität und der Aufrechterhaltung der Rentabilität des von den Kapitaleignern investierten Kapitals.
Die Arbeitsproduktivität (mehr Wert pro Arbeitsstunde) kann nur durch bessere Technologie gesteigert werden. Daher wird die Anzahl der Maschinen und Anlagen im Verhältnis zur Anzahl der Arbeitnehmer (Marx nannte dieses Verhältnis die organische Zusammensetzung des Kapitals) langfristig steigen. Arbeitnehmer können dafür kämpfen, einen möglichst großen Teil des von ihnen geschaffenen neuen Werts als „Entschädigung“ (Lohn) zu erhalten, aber der Kapitalismus wird nur dann in Wachstum investieren, solange der Lohnanteil nicht so stark steigt, dass die Rentabilität sinkt.
Die kapitalistische Akkumulation impliziert, dass der Anteil des Wertes, der im Laufe der Zeit an die Arbeit geht, sinkt, oder, wie Marx es nennen würde, eine steigende Ausbeutungsrate (oder ein steigender Mehrwert).
Dies stellt den Hauptwiderspruch der kapitalistischen Produktion dar:
Steigende Produktivität (mehr Wert pro Arbeitsstunde) führt zu sinkender Rentabilität (sinkender Mehrwert im Verhältnis zu den in Arbeitskräfte und Maschinen investierten Geldern).
Dieser Widerspruch führt in regelmäßigen Abständen zu Investitionsstopps und Arbeitslosigkeit.
Die etablierte Wirtschaftswissenschaft hat auch festgestellt, dass dies keine guten Nachrichten für die Arbeitnehmerschaft sind, und vermutet, dass die „kapitalistische Ausrichtung“ der Technologie den sinkenden Anteil der Arbeitnehmerschaft und die wachsenden Ungleichheiten erklären könnte. Der keynesianische Ökonom Paul Krugman drückte es so aus: „Die Auswirkungen des technologischen Fortschritts auf die Löhne hängen von der Ausrichtung des Fortschritts ab; wenn er kapitalorientiert ist, werden die Arbeitnehmer nicht in vollem Umfang an den Produktivitätsgewinnen beteiligt, und wenn er stark genug kapitalorientiert ist, können sie sogar schlechter gestellt werden.[3] Es ist also falsch anzunehmen, wie es viele Menschen auf der rechten Seite zu tun scheinen, dass die Gewinne aus der Technologie immer an die Arbeitnehmer weitergegeben werden; das ist nicht unbedingt der Fall. Es ist auch falsch anzunehmen, wie es einige (aber nicht alle) Linke manchmal zu tun scheinen, dass ein schnelles Produktivitätswachstum zwangsläufig Arbeitsplätze oder Löhne vernichtet. Es kommt ganz darauf an.“
Es hängt alles vom Klassenkampf zwischen Arbeit und Kapital um die Aneignung des durch die Arbeitsproduktivität geschaffenen Wertes ab. Und die Arbeit hat diesen Kampf eindeutig verloren, insbesondere in den letzten Jahrzehnten, unter dem Druck von gewerkschaftsfeindlichen Gesetzen, der Abschaffung des Kündigungsschutzes und der Unkündbarkeit, der Kürzung von Sozialleistungen, einer wachsenden Reservearmee von Arbeitslosen und Unterbeschäftigten und durch die Globalisierung der Produktion. Laut einem Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) betrug der Anteil der Arbeit am Volkseinkommen in 16 entwickelten Volkswirtschaften Mitte der 1970er Jahre 75 %, fiel jedoch in den Jahren unmittelbar vor der Wirtschaftskrise auf 65 % ab.[4]
Der Technologieökonom Daron Acemoglu geht davon aus, dass KI die Kluft zwischen Kapital- und Arbeitseinkommen vergrößern wird. Er sagt: „Frauen mit geringer Bildung könnten geringfügige Lohnrückgänge verzeichnen, die Ungleichheit zwischen den Gruppen insgesamt könnte leicht zunehmen und die Kluft zwischen Kapital- und Arbeitseinkommen wird sich wahrscheinlich weiter vergrößern.“[5] Tatsächlich könnte KI dem menschlichen Wohlergehen sogar schaden, indem sie irreführende soziale Medien, digitale Werbung und die Ausgaben für IT-Verteidigungsangriffe ausweitet. KI-Investitionen können also zwar das BIP steigern, aber das menschliche Wohlergehen um bis zu 0,72 % des BIP senken.
Die Automatisierung hat in den letzten 30 Jahren zu einer zunehmenden Ungleichheit der Einkommen geführt. Es gibt viele Faktoren, die die Ungleichheit der Einkommen vorangetrieben haben: Privatisierung, der Zusammenbruch der Gewerkschaften, Deregulierung und die Verlagerung von Arbeitsplätzen in der Produktion in den globalen Süden. Aber die Automatisierung ist ein wichtiger Faktor. Während sich das Trendwachstum des BIP in den großen Volkswirtschaften verlangsamt hat, ist die Ungleichheit gestiegen und die Realeinkommen vieler Arbeitnehmer – insbesondere von Männern ohne Hochschulabschluss – sind stark gesunken. [6]
Selbst die US-Finanzministerin Janet Yellen hat zugegeben, dass die jüngsten technologisch bedingten Produktivitätssteigerungen die Ungleichheit eher verschärfen als mildern könnten. Sie wies darauf hin, dass der „durch die Pandemie ausgelöste Anstieg der Telearbeit“ zwar letztlich die Produktivität in den USA um 2,7 % steigern könnte, diese Gewinne jedoch hauptsächlich den Angestellten mit höherem Einkommen zugutekommen werden, so wie auch das Online-Lernen von wohlhabenderen weißen Studenten besser genutzt und genutzt wurde. Tatsächlich ist die Zunahme des Online-Lernens ein weiterer pandemiebedingter technologischer Wandel, der die Bildungs- und Produktivitätslücke zwischen Kindern aus höheren Einkommensschichten und Kindern aus niedrigeren Einkommensschichten und Minderheiten wahrscheinlich vergrößern wird.[7]
Arbeitsplätze, die weniger Bildungs- und Fachkenntnisse erfordern, werden verschwinden und durch solche ersetzt, die dies tun.
Das US Bureau of Labor Statistics (BLS) prognostiziert, dass es bis 2030 11,9 Millionen neue Arbeitsplätze geben wird, was einer Gesamtwachstumsrate von 7,7 % entspricht.[8] Doch während in einigen Sektoren Arbeitsplätze entstehen, werden andere dezimiert werden. Acht der 20 am stärksten vom Rückgang betroffenen Berufe sind Büro- und Verwaltungsunterstützung. Diese Berufe machen derzeit fast 13 % der Beschäftigung in den USA aus und sind damit die größte aller Hauptkategorien. Auch in der Produktion von Waren und Dienstleistungen sowie im Verkauf sind Arbeitsplätze rückläufig. In allen Fällen ist die Automatisierung wahrscheinlich der Hauptgrund. Beispielsweise wird Software, die Audio automatisch in Text umwandelt, den Bedarf an Schreibkräften verringern. 17 der 20 am schnellsten wachsenden Berufe haben ein Durchschnittsgehalt von mehr als 41.950 US-Dollar, was über dem Durchschnittsgehalt aller Berufe liegt. Die meisten erfordern auch eine postsekundäre Ausbildung. [9] Die Chancen bestehen darin, dass Arbeitsplätze ersetzt werden, für die nur ein Highschool-Abschluss erforderlich war.
Das ist ein Aspekt der Auswirkungen der Automatisierung auf die zukünftige Arbeitswelt.
Die Kehrseite davon ist, dass Automatisierung und Roboter nicht unbedingt die Arbeitszeit reduzieren, die für die Produktion der Dinge und Dienstleistungen, die moderne Gesellschaften benötigen, erforderlich ist. Im März 2018 wurde Flippy, ein Burger-Wenderoboter, am Standort Pasadena der Fast-Food-Kette CaliBurger in Kalifornien mit großem Trara und zahlreichen Schlagzeilen eingeführt. Doch Flippy wurde nach einem Arbeitstag in den Ruhestand versetzt.[10] Die Besitzer von CaliBurger gaben ihren menschlichen Mitarbeitern die Schuld für Flippys Versagen: Die Mitarbeiter seien bei Aufgaben wie dem Belegen der Burger einfach zu langsam, was dazu führe, dass sich Flippys fleischige Errungenschaften stapelten. Einige kritische Journalisten hatten jedoch bereits zuvor Flippys zahlreiche Fehler bei der relativ einfachen Aufgabe bemerkt, die dem Roboter seinen Namen gab. Flippy war einfach nicht sehr gut in seinem Job.
Bei der Untersuchung der Selbstbedienungskassen in Lebensmittelgeschäften stellten Forscher fest, dass die Kunden die Technologie hassten und mieden. Als Reaktion darauf kürzte das Management das Personal, um die Warteschlangen so unerträglich zu machen, dass die Kunden aufgaben und stattdessen die Automaten benutzten.[11] Selbst dann waren noch Kassierer erforderlich, um zu helfen und die Transaktionen zu überwachen; statt also die Arbeitsbelastung zu verringern, intensivierten die Technologien die Arbeit des Kundendienstes. Selbstbedienungskassen sind ein Beispiel dafür, dass Automatisierung Arbeit nicht abschafft, sondern vermehrt. Durch die Isolierung von Aufgaben und deren Umverteilung auf andere, von denen erwartet wird, dass sie diese kostenlos erledigen, tragen digitale Technologien zur Überlastung bei.
Tatsächlich scheitert KI regelmäßig an Aufgaben, die für einen Menschen einfach sind, wie z. B. das Erkennen von Straßenschildern – etwas, das für selbstfahrende Autos ziemlich wichtig ist.
Aber selbst erfolgreiche Fälle von KI erfordern massive Mengen an menschlicher Arbeit, um sie zu unterstützen.
Algorithmen für maschinelles Lernen müssen durch Datensätze „trainiert“ werden, in denen Tausende von Bildern manuell von Menschen identifiziert werden.[12] Damit KI-Systeme reibungslos funktionieren, ist eine erstaunliche Menge an „Geisterarbeit“ erforderlich: Aufgaben, die von menschlichen Arbeitskräften ausgeführt werden, die den Augen der Benutzer und den Geschäftsbüchern verborgen bleiben. Geisterarbeit wird „taskifiziert“ – in kleine, eigenständige Aktivitäten aufgeteilt, „digitale Akkordarbeit“, die von jedem und überall gegen eine geringe Gebühr ausgeführt werden kann.[13]
Acemoglu erkennt an, dass die generative KI Vorteile bietet, „aber diese Vorteile werden schwer zu erreichen sein, wenn es nicht zu einer grundlegenden Neuausrichtung der Branche kommt, einschließlich einer möglicherweise grundlegenden Änderung der Architektur der gängigsten generativen KI-Modelle.“ Acemoglu sagt insbesondere, dass „es eine offene Frage bleibt, ob wir Modelle brauchen, die menschenähnliche Gespräche führen und Shakespeare-Sonette schreiben, wenn wir eigentlich zuverlässige Informationen wollen, die für Pädagogen, Angehörige der Gesundheitsberufe, Elektriker, Installateure und andere Handwerker nützlich sind.“[14]
Da es die Manager und nicht die Arbeitnehmer sind, die KI einführen, um menschliche Arbeit zu ersetzen, werden qualifizierte Arbeitskräfte bereits von Arbeitsplätzen abgezogen, die sie gut ausfüllen, ohne dass dies unbedingt die Effizienz und das Wohlbefinden für alle verbessert.
Ich möchte, dass KI meine Wäsche und meinen Abwasch erledigt, damit ich mich der Kunst und dem Schreiben widmen kann, und nicht, dass KI meine Kunst und mein Schreiben erledigt, damit ich meine Wäsche und meinen Abwasch erledigen kann.“ Manager führen KI ein, „um Managementprobleme zu vereinfachen, und zwar auf Kosten von Dingen, für die KI nach Meinung vieler Menschen nicht eingesetzt werden sollte, wie z. B. kreative Arbeit ... Wenn KI funktionieren soll, muss sie von unten nach oben kommen, sonst ist KI für die große Mehrheit der Menschen am Arbeitsplatz nutzlos.“[15]
Und dann sind da noch die Investitionskosten. Allein der Zugang zur physischen Infrastruktur, die für KI in großem Maßstab benötigt wird, kann eine Herausforderung darstellen. Die Art von Computersystemen, die für den Betrieb einer KI für die Erforschung von Krebsmedikamenten benötigt werden, erfordern in der Regel zwischen zweitausend und dreitausend der neuesten Computerchips. Die Kosten für diese Computerhardware allein können leicht bei über 60 Millionen US-Dollar (48 Millionen Pfund) liegen, noch bevor die Kosten für andere wesentliche Dinge wie Datenspeicherung und Vernetzung hinzukommen.[16] Eine große Bank, ein Pharmaunternehmen oder ein Hersteller könnte die Ressourcen haben, um die Technologie zu kaufen, die sie benötigen, um die Vorteile der neuesten KI zu nutzen, aber was ist mit einem kleineren Unternehmen?
Entgegen der konventionellen Auffassung und viel mehr im Einklang mit der marxistischen Theorie wird die Einführung von KI-Investitionen nicht zu einer Verbilligung des Anlagevermögens (konstantes Kapital in marxistischer Hinsicht) und damit zu einem Rückgang des Verhältnisses von Anlagevermögen zu Arbeitskosten führen, sondern zum Gegenteil (d. h. zu einer steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals). Und das bedeutet einen weiteren Abwärtsdruck auf die durchschnittliche Rentabilität in den großen Volkswirtschaften.
Anmerkung: Die Basu-Wasner EWPT-Daten bieten einen dynamischen Ansatz zur Messung ökonomischer Variablen, was einen Fortschritt gegenüber statischen Messungen darstellt. Dies ermöglicht eine genauere und nuanciertere Analyse von wirtschaftlichen Trends und Theorien, insbesondere im Bereich der marxistischen Ökonomie.
Und dann sind da noch die Auswirkungen auf die globale Erwärmung und den Energieverbrauch.
Große Sprachmodelle wie ChatGPT gehören zu den energieintensiven Technologien überhaupt.[17]
Untersuchungen deuten beispielsweise darauf hin, dass etwa 700.000 Liter Wasser für die Kühlung der Maschinen verwendet worden sein könnten, die ChatGPT-3 in den Rechenzentren von Microsoft trainierten. Das Training von KI-Modellen verbraucht 6.000-mal mehr Energie als eine europäische Stadt. Außerdem werden Mineralien wie Lithium und Kobalt zwar am häufigsten mit Batterien im Automobilsektor in Verbindung gebracht, sind aber auch entscheidend für die Batterien, die in Rechenzentren verwendet werden.[18] Der Extraktionsprozess ist oft mit einem hohen Wasserverbrauch verbunden und kann zu Umweltverschmutzung führen, was die Wassersicherheit untergräbt.
Das Beratungsunternehmen Grid Strategies prognostiziert für die nächsten fünf Jahre einen Anstieg der Stromnachfrage in den USA um 4,7 Prozent, was fast einer Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr entspricht.[19] Eine Studie des Electric Power Research Institute ergab, dass Rechenzentren bis 2030 9 Prozent des Strombedarfs in den USA ausmachen werden, was mehr als das Doppelte des derzeitigen Niveaus ist.[20]
Diese Aussicht führt bereits zu einer Verlangsamung der Pläne, Kohlekraftwerke stillzulegen, da die Stromnachfrage durch KI steigt.
Vielleicht können diese Investitions- und Energiekosten durch neue KI-Entwicklungen gesenkt werden. Das Schweizer Technologieunternehmen Final Spark hat Neuroplatform auf den Markt gebracht, die weltweit erste Bioprozessierungsplattform, bei der menschliche Gehirnorganoide (im Labor gezüchtete miniaturisierte Versionen von Organen) anstelle von Siliziumchips Rechenaufgaben ausführen. Die erste derartige Einrichtung beherbergt die Rechenleistung von 16 Gehirnorganoiden, die nach Angaben des Unternehmens eine Million Mal weniger Strom verbrauchen als ihre Pendants aus Silizium.[21] Dies ist in gewisser Hinsicht eine beängstigende Entwicklung: menschliche Gehirne! Aber glücklicherweise ist es noch ein weiter Weg bis zur Umsetzung. Im Gegensatz zu Siliziumchips, die jahrelang, wenn nicht sogar jahrzehntelang halten können, halten die „Organoide“ nur 100 Tage, bevor sie „sterben“.
Das führt zu einer Thematik die, als das Altman-Syndrom bezeichnet werden könnte.
KI im Kapitalismus ist keine Innovation, die darauf abzielt, das menschliche Wissen zu erweitern und die Menschheit von der Arbeit zu entlasten. Für kapitalistische Innovatoren wie Sam Altman ist es eine Innovation, um Gewinne zu erzielen. Der Gründer von OpenAI, Sam Altman, würde im vergangenen Jahr von der Leitung seines Unternehmens ausgeschlossen, weil andere Vorstandsmitglieder der Meinung waren, er wolle OpenAI in ein riesiges, von Großunternehmen unterstütztes Geldgeschäft verwandeln (Microsoft ist der derzeitige Geldgeber), während der Rest des Vorstands OpenAI weiterhin als gemeinnütziges Unternehmen betrachtete, das darauf abzielt, die Vorteile der KI unter angemessenen Schutzmaßnahmen in Bezug auf Privatsphäre, Überwachung und Kontrolle an alle weiterzugeben. Altman hatte einen „gewinnorientierten“ Geschäftszweig entwickelt, der es dem Unternehmen ermöglichte, externe Investitionen anzuziehen und seine Dienstleistungen zu kommerzialisieren. Altman hatte bald wieder die Kontrolle, als Microsoft und andere Investoren den Rest des Vorstands unter ihre Fittiche nahmen. OpenAI ist nicht mehr offen.
KI hat noch eine unheilvollere Seite, nachdem es noch andere Gefahren für die Arbeitswelt gibt.
Owen David argumentiert, dass KI bereits eingesetzt wird, um Arbeitnehmer bei der Arbeit zu überwachen, Bewerber zu rekrutieren und zu überprüfen, Lohnniveaus festzulegen, die Aufgaben der Arbeitnehmer zu steuern, ihre Ergebnisse zu bewerten, Schichten zu planen usw.
„Da KI die Funktionen des Managements übernimmt und die Managementfähigkeiten erweitert, kann sie die Macht auf die Arbeitgeber verlagern."[23]
Erinnert an die Beobachtungen von Harry Braverman in seinem berühmten Buch von 1974 über die Entwürdigung der Arbeit und die Zerstörung von Fähigkeiten durch Automatisierung.[24]
Arbeitgeber haben schon immer versucht, ihre Belegschaften mit „Big Brother“-Methoden zu kontrollieren und zu disziplinieren. Amazon installiert High-Tech-Kameras in den Lieferfahrzeugen seiner Lieferanten. Die Arbeiter sagen, dass die Kameras eine Verletzung der Privatsphäre und ein Sicherheitsrisiko darstellen. Aber Karolina Haraldsdottir, eine leitende Managerin des Last-Mile-Lieferbetriebs bei Amazon, betont, dass die Kameras „als Sicherheitsmaßnahme gedacht sind, um Kollisionen zu reduzieren“. Das Unternehmen berief sich auf eine Pilotphase mit den Kameras im letzten Jahr, in der die Zahl der Unfälle um 48 % zurückgegangen sei.[25]
Die Beschäftigten sind anderer Meinung. Die Installation von Driveri steht im Einklang mit der Einführung ähnlicher Kameraüberwachung durch Amazon im Fernverkehr.[26] „Ich fahre jetzt mit einer undurchschaubaren Blackbox herum, die mich überwacht und darüber entscheidet, ob ich meinen Job behalte“, sagt ein Zustellfahrer in Washington. Er sagt, er sehe zwar ein, dass einige der Messwerte theoretisch gerechtfertigt seien – „man will ja nicht, dass seine Fahrer durch die Wohngebiete driften wie in Tokyo“ –, aber in der Realität, wenn sie zusätzlich zu den Überwachungsebenen, denen sich die Fahrer bereits ausgesetzt fühlen, aggregiert werden, sei dies „erstickend, unnötig und lächerlich“. „Wir alle versuchen hier draußen nur unser Bestes zu geben, aber wir müssen auch damit zurechtkommen, dass Computer jede Woche Kennzahlen für uns ausspucken, die mehrere Seiten benötigen, um richtig dargestellt zu werden, und ein Rückgang dieser abstrakten Zahlen könnte uns den Job kosten“, sagt er. “Ich will doch nur meine verdammten Pakete ausliefern und nach Hause gehen, Mann.“
Dies sind einige der Probleme für die Arbeitnehmer.
Aber KI birgt auch Risiken für das Kapital. Immer mehr Investoren aus dem Silicon Valley und Analysten von der Wall Street schlagen Alarm wegen der unzähligen Milliarden Dollar, die in KI investiert werden. Diese Selbstüberschätzung könnte zu einer massiven Blase führen.[27]
Laut Analysten von Barclays werden Investoren voraussichtlich 60 Milliarden Dollar pro Jahr in die Entwicklung von KI-Modellen investieren, genug, um 12.000 Produkte zu entwickeln, die in etwa so groß sind wie OpenAI's ChatGPT.[28]
Ob die Welt jedoch 12.000 ChatGPT-Chatbots braucht, bleibt bestenfalls zweifelhaft.
„Wir erwarten viele neue Dienste ... aber wahrscheinlich nicht 12.000 davon“, schrieben Analysten von Barclays in einer Notiz, wie die Washington Post zitiert. ‚Wir spüren, dass die Wall Street zunehmend skeptisch wird.‘ Schon seit geraumer Zeit äußern Expertgen Bedenken hinsichtlich einer wachsenden KI-Blase und vergleichen sie mit der Doctom-Krise Ende der 1990er Jahre.
„Das Kapital fließt weiterhin in den KI-Sektor, wobei den Fundamentaldaten der Unternehmen nur sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird“, schrieb der Tech-Aktienanalyst Richard Windsor. ‚Ein sicheres Zeichen dafür, dass es nicht viele Stühle geben wird, wenn die Musik aufhört ... Genau das ist 1999 mit dem Internet, 2017 mit dem autonomen Fahren und jetzt 2024 mit der generativen KI passiert‘, fügte er hinzu.[29]
Aber springen wir in die Zukunft:
Was wäre, wenn wir in eine extreme (Science-Fiction-?) Zukunft eintreten, in der Robotertechnologie und KI dazu führen, dass Roboter Roboter herstellen und Roboter Rohstoffe gewinnen, d. h. alles herstellen und alle persönlichen und öffentlichen Dienstleistungen ausführen, sodass für keine Produktionsaufgabe mehr menschliche Arbeitskraft erforderlich ist?
Stellen wir uns einen vollständig automatisierten Prozess vor, bei dem kein Mensch in der Produktion existiert. Sicherlich wurde durch die Umwandlung von Rohstoffen in Waren ohne Menschen ein Mehrwert geschaffen? Das widerlegt doch sicherlich Marx' Behauptung, dass nur menschliche Arbeit Wert schaffen kann?
Aber das verwechselt die duale Natur des Wertes im Kapitalismus: Gebrauchswert und Tauschwert. Es gibt den Gebrauchswert (Dinge und Dienstleistungen, die Menschen brauchen) und den Tauschwert (der Wert, der in der Arbeitszeit gemessen und von den Eigentümern des Kapitals aus der menschlichen Arbeit angeeignet und durch den Verkauf auf dem Markt gegen Geld realisiert wird).
In jeder Ware unter der kapitalistischen Produktionsweise gibt es sowohl Gebrauchswert als auch Tauschwert. Im Kapitalismus kann das eine nicht ohne das andere existieren. Aber der Tauschwert bestimmt den kapitalistischen Investitions- und Produktionsprozess, nicht Ersteres.
Wert (wie oben definiert) ist spezifisch für den Kapitalismus. Sicher, lebendige Arbeit kann Dinge erschaffen und Dienstleistungen erbringen (Gebrauchswerte).
Aber Wert ist die Substanz der kapitalistischen Produktionsweise. Das Kapital (die Eigentümer) kontrolliert die durch Arbeit geschaffenen Produktionsmittel und wird sie nur nutzen, um sich den durch Arbeit geschaffenen Wert anzueignen. Das Kapital selbst schafft keinen Wert.
In unserer hypothetischen allumfassenden Roboter-/KI-Welt würde die Produktivität (der Gebrauchswerte) gegen unendlich gehen, während die Rentabilität (der Mehrwert für das Kapital) gegen null gehen würde. Die menschliche Arbeit würde nicht mehr vom Kapital (den Eigentümern) eingesetzt und ausgebeutet werden. Stattdessen würden Roboter alles erledigen. Aber das ist kein Kapitalismus mehr. Die Analogie ist eher mit einer Sklavenwirtschaft wie im alten Rom vergleichbar. Im alten Rom wurde die ehemals überwiegend kleinbäuerliche Wirtschaft über Hunderte von Jahren durch Sklaven im Bergbau, in der Landwirtschaft und bei allen möglichen anderen Aufgaben ersetzt. Dies geschah, weil die Beute der erfolgreichen Kriege, die die Römische Republik und das Römische Reich führten, eine große Anzahl an Sklavenarbeitern umfasste. Die Kosten für die Sklavenhalter waren (zunächst) unglaublich niedrig im Vergleich zur Beschäftigung freier Arbeitskräfte. Die Sklavenhalter vertrieben die Bauern durch eine Kombination aus Schuldenforderungen, Requirierung in Kriegen und blanker Gewalt von ihrem Land. Die ehemaligen Bauern und ihre Familien wurden selbst in die Sklaverei gezwungen oder in die Städte vertrieben, wo sie sich mit niederen Aufgaben und Fähigkeiten durchschlugen oder bettelten. Der Klassenkampf war noch nicht zu Ende. Der Kampf fand zwischen den sklavenhaltenden Aristokraten und den Sklaven sowie zwischen den Aristokraten und der atomisierten Plebs in den Städten statt.
Alles wird davon abhängen, wie die Menschheit zu einer vollständig automatisierten Gesellschaft gelangen würde. Auf der Grundlage einer sozialistischen Revolution und gemeinsamen Eigentums kann die Verteilung der von den Robotern produzierten Güter kontrolliert und an jeden entsprechend seinen Bedürfnissen verteilt werden. Wenn die Gesellschaft auf der Grundlage einer Fortführung des Privateigentums an den Robotern operiert, würde der Klassenkampf um die Kontrolle des Überschusses weitergehen.
Zurück ins Hier und Jetzt: Die Akkumulation im Kapitalismus würde aufhören, lange bevor die Roboter vollständig die Kontrolle übernehmen, weil die Rentabilität verschwinden würde. Das wichtigste Bewegungsgesetz im Kapitalismus, wie Karl Marx es nannte, würde in Kraft treten, nämlich die Tendenz zum Sinken der Profitrate. Mit zunehmender „kapitallastiger“ Technologie würde auch die organische Zusammensetzung des Kapitals steigen und somit würde die Arbeit schließlich nicht mehr genügend Wert schaffen, um die Rentabilität aufrechtzuerhalten (d. h. einen Mehrwert im Verhältnis zu allen Kapitalkosten). Wir würden niemals eine Robotergesellschaft erreichen; wir würden niemals eine arbeitsfreie Gesellschaft erreichen – nicht im Kapitalismus. Krisen und soziale Explosionen würden schon vorher dazwischenkommen.
Die Frage dreht sich eigentlich darum, wem unsere digitale Welt gehört und wer sie kontrolliert. Die hohe Konzentration dieser digitalen Macht ist ein weiterer Grund für die Ersetzung kapitalistischer Unternehmen durch öffentliche Unternehmen, die demokratisch von Volksvertretungen und den in ihnen beschäftigten Technikern kontrolliert werden. Wir müssen die sieben großen Social-Media- und Technologieunternehmen, die derzeit von Multimilliardären geführt und kontrolliert werden, die entscheiden, wofür und wo sie Geld ausgeben, in öffentliches Eigentum überführen.[30]
Dann könnte die enorme Verschwendung von Ressourcen für Technologieprojekte, die nur dazu dienen, Geld zu verdienen, und nicht dazu, nützliche und sichere Systeme bereitzustellen, die das Leben der Menschen verbessern, drastisch reduziert werden. Menschliches Versagen würde nicht verschwinden, aber die Organisation und Kontrolle unserer zunehmend digitalen Welt könnte auf soziale Bedürfnisse und nicht auf privaten Profit ausgerichtet werden.
Quellenverweise:
[1] https://www.lulu.com/shop/michael-roberts/engels-200/paperback/product-y9pzdr.html?page=1&pageSize=4
[2] https://www.researchgate.net/publication/365792192_Digital_Class_Work_-_Before_and_During_COVID_19_chapter_1
[3] https://archive.nytimes.com/krugman.blogs.nytimes.com/2012/12/10/technology-and-wages-the-analytics-wonkish/
[4] https://webapps.ilo.org/digitalguides/en-GB/story/globalwagereport
[5] https://thenextrecession.wordpress.com/2024/06/06/ai-again/
[6] https://www.brookings.edu/articles/technology-and-the-future-of-growth-challenges-of-change/
[7] https://home.treasury.gov/news/press-releases/jy0565
[8] https://www.bls.gov/emp/
[9] https://www.visualcapitalist.com/the-20-fastest-growing-jobs-in-the-next-decade/
[10] https://www.washingtonpost.com/news/innovations/wp/2018/03/05/meet-flippy-a-burger-flipping-robot-alternative-to-wage-earning-workers/
[11] https://www.cnn.com/2024/01/23/business/self-checkout-shopping-stores/index.html
[12] https://futuresofwork.co.uk/2020/12/02/the-full-automation-fallacy/
[13] https://www.theverge.com/2019/5/13/18563284/mary-gray-ghost-work-microwork-labor-silicon-valley-automation-employment-interview
[14] https://economics.mit.edu/news/ai-challenge-only-humans-can-solve
[15] https://someunpleasant.substack.com/p/real-chaos-today
[16] https://www.bbc.com/news/articles/cx7dx48ev91o
[17] https://www.theguardian.com/technology/2023/jun/08/artificial-intelligence-industry-boom-environment-toll#:~:text=Data%20centers%20use%20water%20in,(184%2C920.45%20gallons)%20of%20freshwater.
[18] https://theodi.org/news-and-events/blog/data-centres-cloud-infrastructures-and-the-tangibility-of-internet-power/#:~:text=Und%20nicht%20nur%20Strom,%20Daten,%20Menschenrechte%20und%20Arbeitsrechtsverletzungen.
[19] https://gridstrategiesllc.com/wp-content/uploads/2023/12/National-Load-Growth-Report-2023.pdf
[20] https://www.prnewswire.com/news-releases/epri-study-data-centers-could-consume-up-to-9-of-us-electricity-generation-by-2030-302157970.html
[21] https://www.businesswire.com/news/home/20240515701469/en/FinalSpark-Launches-the-First-Remote-Research-Platform-Using-Human-Neurons-for-Biocomputing
[22] https://thenextrecession.wordpress.com/2023/11/21/ai-open-or-closed/
[23] https://ofdavis.com/ai.pdf
[24] https://www.jstor.org/stable/j.ctt9qfrkf
[25] https://www.bbc.com/news/technology-55938494
[26] https://www.engadget.com/amazon-plans-to-monitor-delivery-drivers-using-ai-surveillance-cameras-102701627.html
[27] https://futurism.com/investors-concerned-ai-making-money
[28] https://www.washingtonpost.com/technology/2024/07/24/ai-bubble-big-tech-stocks-goldman-sachs/
[29] https://www.radiofreemobile.com/artificial-intelligence-magic-money-tree/
[30] https://thenextrecession.wordpress.com/2024/04/07/from-the-magnificent-seven-to-the-desperate-hundred/
Zusätzlicher Hinweis
Setzt China künftig die Standards für Künstliche Intelligenz? (I)
Wolfgang Müller: https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5295-setzt-china-kuenftig-die-standards-fuer-kuenstliche-intelligenz
Digitalisierung – eine neue Phase in der Entwicklung der Produktivität (II)
https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5304-digitalisierung-eine-neue-phase-in-der-entwicklung-der-produktivitaet-ii^
Digitalisierung – eine neue Phase in der Entwicklung der Produktivität (II)
Dadurch wurde es möglich, Kopien anzufertigen, die mit dem Original identisch sind.
In der digitalen Kommunikation konnte beispielsweise die wiederholende Hardware das digitale Signal verstärken und ohne Informationsverlust im Signal weiterleiten.
Ebenso wichtig wie die revolutionäre Veränderung war die Möglichkeit, digitale Informationen einfach zwischen verschiedenen Medien zu verschieben und aus der Ferne darauf zuzugreifen oder sie zu verteilen. In den späten 1980er Jahren lag weniger als 1 % der weltweit technologisch gespeicherten Informationen in digitalem Format vor, während es 2007 94 % waren und 2014 bereits mehr als 99 %.
Es war die historische Aufgabe der kapitalistischen Produktionsweise, die „Produktivkräfte“ (d. h. die Technologie und die Arbeitskraft, die notwendig sind, um die Produktion von Gütern und Dienstleistungen zu steigern, die die menschliche Gesellschaft benötigt oder wünscht) zu entwickeln. In der Tat ist es der Hauptanspruch der Befürworter des Kapitalismus, dass er das beste (oder sogar das einzige) System der sozialen Organisation ist, das in der Lage ist, wissenschaftliches Wissen, Technologie und Humankapital zu entwickeln, und zwar ausschließlich über den „Markt“.
Die Entwicklung der Produktivkräfte in der Geschichte der Menschheit lässt sich am besten anhand des Niveaus und der Geschwindigkeit der Veränderung der Arbeitsproduktivität (Output pro Arbeiter pro Stunde) messen. Digitale Technologien mögen mit der Brillanz und Leistungsfähigkeit ihrer Anwendungen geblendet haben, aber sie haben bisher nicht die erwartete Dividende in Form eines höheren Produktivitätswachstums geliefert. Tatsächlich verlangsamt sich das Wachstum der Arbeitsproduktivität weltweit seit 50 Jahren und es sieht so aus, als würde sich dies fortsetzen.
Quelle: Durchschnittliche Wachstumsraten der Arbeitsproduktivität (US-Dollar 2010 ppp pro Arbeitsstunde) für mehrere lange Zeiträume. Daten aus der Langzeit-Produktivitätsdatenbank v2.4 (Bergeaud et al 2016)
Es gibt drei Faktoren für das Produktivitätswachstum:
-die Anzahl der Beschäftigten,
- die Höhe der Investitionen in Maschinen und Technologien, die Arbeitskräfte ersetzen, und
- der X-Faktor, die Qualität und Innovationsfähigkeit der Arbeitskräfte.
In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wird dieser letzte Faktor als totale Faktorproduktivität (TFP) bezeichnet, die als „nicht berücksichtigter“ Beitrag zum Produktivitätswachstum nach investiertem Kapital und eingesetzter Arbeitskraft gemessen wird. Dieser letzte Faktor ist im langfristigen Rückgang begriffen.
Dieser Verlangsamung der Arbeitsproduktivität entspricht der langfristige Rückgang der Anlageinvestitionen im Verhältnis zum BIP in den Industrieländern in den letzten 50 Jahren. Im Jahr 1980 lagen die Investitionsquoten sowohl in den fortgeschrittenen kapitalistischen Volkswirtschaften als auch in den „aufstrebenden“ kapitalistischen Volkswirtschaften (ohne China) bei etwa 25 % des BIP.
Jetzt liegt die Quote im Durchschnitt bei etwa 22 %, was einem Rückgang von mehr als 10 % entspricht. Während der Großen Rezession fiel die Quote in den Industrieländern unter 20 %.
Die Verlangsamung sowohl des Investitions- als auch des Produktivitätswachstums begann in den 1970er Jahren. Und das ist kein Zufall. Die säkulare Verlangsamung des Produktivitätswachstums steht eindeutig im Zusammenhang mit der langfristigen Verlangsamung des Wachstums der Investitionen in produktive wertschöpfende Vermögenswerte.
Dafür gibt es neue Belege. In einer umfassenden Studie haben vier etablierte Wirtschaftswissenschaftler die kausalen Komponenten des Rückgangs des Produktivitätswachstums aufgeschlüsselt.[1] Für die USA stellen sie fest, dass von einem Rückgang des durchschnittlichen jährlichen Produktivitätswachstums um insgesamt 1,6 Prozentpunkte seit den 1970er Jahren 70 Basispunkte oder etwa 45 % auf eine Verlangsamung der Investitionen zurückzuführen sind, die entweder durch wiederkehrende Krisen oder durch strukturelle Faktoren verursacht wurde.
Weitere 20 Basispunkte oder 13 % sind auf „Fehlmessungen“ zurückzuführen (diese ist ein neuerliches Argument, mit dem versucht wird zu behaupten, dass es keinen Rückgang des Produktivitätswachstums gegeben hat.)[2] Weitere 17 % sind auf den Anstieg der „immateriellen Vermögenswerte“ (Investitionen in „Goodwill“) zurückzuführen, die keinen Anstieg des Anlagevermögens zeigen (was die Frage aufwirft, ob "immaterielle Vermögenswerte wie "Goodwill" wirklich wertschöpfend sind).[3] Etwa 9 % sind auf den Rückgang des globalen Handelswachstums seit Anfang der 2000er Jahre zurückzuführen; und schließlich sind fast 25 % auf Investitionen von Kapitalisten in unproduktive Sektoren wie Immobilien und Finanzen zurückzuführen.
Die vier Ökonomen fassen ihre Schlussfolgerungen wie folgt zusammen: „Beim Vergleich des Zeitraums nach 2005 mit dem vorangegangenen Jahrzehnt für fünf fortgeschrittene Volkswirtschaften versuchen wir, eine Verlangsamung von 0,8 bis 1,8 Prozentpunkten zu erklären. Wir führen dies größtenteils auf geringere Beiträge der TFP und der Kapitalvertiefung zurück, wobei das verarbeitende Gewerbe den größten sektoralen Anteil an der Verlangsamung hat.“
Mit anderen Worten: Wenn wir „immaterielle Vermögenswerte“, Fehlmessungen und unproduktive Investitionen ausschließen, ist die Ursache für das geringere Produktivitätswachstum ein geringeres Investitionswachstum in produktive Vermögenswerte. In dem Papier wird auch darauf hingewiesen, dass es keine Verringerung der wissenschaftlichen Forschung und Entwicklung gegeben hat, im Gegenteil. Es ist nur so, dass neue technische Fortschritte von den Kapitalisten nicht in Investitionen umgesetzt werden.
Dies bestätigt das alte Sprichwort des Ökonomen Robert Solow, der 1987 bekanntlich sagte, dass
"das Computerzeitalter überall ist, außer in den Produktivitätsstatistiken.[4]
Könnten die neuesten Entwicklungen in der digitalen Technologie dem Kapitalismus neuen Schwung verleihen?
Es gibt einen neuen Schub an Techno-Optimismus, der durch die Anwendung künstlicher Intelligenz (KI) in Form von Sprachlernmaschinen (LLMs) entsteht. Ein Analyst ist der Meinung, dass KI „ein enormes Potenzial zur Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität hat“, und zitiert eine aktuelle MIT-Studie, die eine massive Produktivitätssteigerung bei der Verwendung von ChatGPT, der KI-LLM von Microsoft, aufzeigt.[5] ChatGPT hat 100 Millionen Nutzer schneller gewonnen als jede andere Anwendung in der Geschichte, und diese schnellen Adoptionsraten beschränken sich nicht nur auf einzelne Nutzer. Große Unternehmen wie Bain & Company haben mit Microsofts OpenAI Verträge über die Nutzung von „generativer KI“ in ihrem Strategieberatungsgeschäft abgeschlossen, während Unternehmen wie Expedia ChatGPT über Plug-ins integriert haben.
Die Ökonomen von Goldman Sachs gehen davon aus, dass die KI-Technologie, wenn sie ihr Versprechen einlöst, zu einer „erheblichen Störung“ auf dem Arbeitsmarkt führen würde, da in den großen Volkswirtschaften umgerechnet 300 Millionen Vollzeitbeschäftigte von der Automatisierung ihrer Arbeitsplätze betroffen wären.[6] Zu den Berufsgruppen, die am stärksten von Entlassungen bedroht sind, gehören Anwälte und Verwaltungsangestellte (und wahrscheinlich auch Wirtschaftswissenschaftler). GS schätzt, dass etwa zwei Drittel der Arbeitsplätze in den USA und Europa in gewissem Maße der KI-Automatisierung ausgesetzt sind, basierend auf Daten zu den Aufgaben, die typischerweise in Tausenden von Berufen ausgeführt werden. Die meisten Menschen würden weniger als die Hälfte ihrer Arbeitsbelastung automatisiert sehen und wahrscheinlich in ihrem Beruf bleiben, wobei ein Teil ihrer Zeit für produktivere Tätigkeiten frei würde. In den USA würde dies für 63 % der Arbeitskräfte gelten, so die Berechnungen. Weitere 30 % der Beschäftigten, die in körperlicher Arbeit oder im Freien tätig sind, wären nicht betroffen, obwohl ihre Arbeit möglicherweise für andere Formen der Automatisierung anfällig ist.
Die Ökonomen von GS kommen zu dem Schluss: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass bei etwa 80 % der US-Arbeitskräfte mindestens 10 % ihrer Arbeitsaufgaben von der Einführung von LLMs betroffen sein könnten, während bei etwa 19 % der Beschäftigten mindestens 50 % ihrer Aufgaben betroffen sein könnten.“ Mit dem Zugang zu einer LLM könnten etwa 15 % aller Aufgaben von Arbeitnehmern in den USA bei gleicher Qualität deutlich schneller erledigt werden. Bei der Integration von Software und Tools, die auf LLMs basieren, steigt dieser Anteil auf 47–56 % aller Aufgaben. Etwa 7 % der Arbeitnehmer in den USA sind in Berufen tätig, in denen mindestens die Hälfte ihrer Aufgaben von generativer KI erledigt werden könnte und sie durch KI ersetzt werden könnten. Auf globaler Ebene, wo manuelle Tätigkeiten in den Entwicklungsländern einen größeren Anteil an der Beschäftigung haben, schätzt GS, dass etwa ein Fünftel der Arbeit von KI erledigt werden könnte – das entspricht etwa 300 Millionen Vollzeitstellen in den großen Volkswirtschaften.
Es liegt in der Natur der kapitalistischen Akkumulation, dass die Arbeiter durch zunehmende Investitionen in Maschinen ständig mit dem Verlust ihrer Arbeit konfrontiert sind. Der Ersatz menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen begann zu Beginn der britischen Industriellen Revolution in der Textilindustrie, und die Automatisierung spielte eine wichtige Rolle bei der Industrialisierung Amerikas im 19. Jahrhundert. Die rasche Mechanisierung der Landwirtschaft ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ist ein weiteres Beispiel für Automatisierung. Wie Friedrich Engels erklärte, führte die Mechanisierung zwar nicht nur zum Verlust von Arbeitsplätzen, aber oft auch zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in neuen Sektoren, wie Engels in seinem Buch „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ (1844) konstatierte[7]. Aber auch Karl Marx stellte in den 1850er Jahren fest: „Die wirklichen Tatsachen, die durch den Optimismus der Ökonomen verzerrt werden, sind folgende: Die Arbeiter, wenn sie durch die Maschinen aus der Werkstatt vertrieben werden, werden auf den Arbeitsmarkt geworfen. Ihre Anwesenheit auf dem Arbeitsmarkt erhöht die Zahl der Arbeitskräfte, die der kapitalistischen Ausbeutung zur Verfügung stehen ... Die Wirkung der Maschinerie, die als Ausgleich für die Arbeiterklasse dargestellt wurde, ist im Gegenteil eine schreckliche Geißel. ... Sobald die Maschinerie einen Teil der in einem bestimmten Industriezweig beschäftigten Arbeiter freigesetzt hat, werden auch die Ersatzmänner in neue Beschäftigungskanäle umgeleitet und in anderen Branchen absorbiert; währenddessen verhungern und sterben die ursprünglichen Opfer in der Übergangszeit größtenteils."[8]
Die Implikation hier ist, dass Automatisierung mehr prekäre Arbeitsplätze und zunehmende Ungleichheit bedeutet.
Bisher war für die Mechanisierung noch menschliche Arbeit erforderlich, um sie zu starten und aufrechtzuerhalten.
Aber bewegen wir uns jetzt auf die Übernahme aller Aufgaben zu, insbesondere derer, die Komplexität und Ideen mit LLMs erfordern?
Und wird dies einen dramatischen Anstieg der Arbeitsproduktivität bedeuten, sodass der Kapitalismus eine neue Blütezeit erlebt?
Goldman Sachs behauptet, dass diese „generativen“ KI-Systeme wie ChatGPT einen Produktivitätsboom auslösen könnten, der das jährliche globale BIP über einen Zeitraum von zehn Jahren um 7 % steigern würde. Wenn die Unternehmensinvestitionen in KI weiterhin in einem ähnlichen Tempo wie die Softwareinvestitionen in den 1990er Jahren steigen würden, könnten die KI-Investitionen allein in den USA bis 2030 fast 1 % des US-BIP erreichen.
Produktivitätssteigerungen könnten auch in anderen Ländern beträchtlich sein: Wir schätzen, dass eine weit verbreitete KI-Anpassung das jährliche Produktivitätswachstum in einem Zeitraum von 10 Jahren um 1,4 Prozentpunkte steigern könnte.
Quelle: Goldman Sachs
Aber wird es ein so exponentieller Sprung sein? LAut den jüngsten Prognosen der Weltbank wird das globale Wachstum im Vergleich zu den ersten zehn Jahren dieses Jahrhunderts um etwa ein Drittel auf nur noch 2,2 % pro Jahr sinken.[9] Und der IWF schätzt die durchschnittliche Wachstumsrate für Rest dieses Jahrzehnts.[10] Wenn wir die GS-Prognose der Auswirkungen von LLMs hinzuzählen, erhalten wir etwa 3,0–3,5 % pro Jahr für das globale reale BIP-Wachstum, vielleicht – und dies berücksichtigt nicht das Bevölkerungswachstum, das das Pro-Kopf-Produktionswachstum verringern würde. Mit anderen Worten, die wahrscheinlichen Auswirkungen wären nicht besser als der seit den 1990er Jahren beobachtete Durchschnitt.
Der führende Technologieökonom Daron Acemoglu dämpft den Optimismus, der von GS und anderen verbreitet wird, deutlich.[11]
Im Gegensatz zu GS schätzt Acemoglu, dass die Produktivitätseffekte durch KI-Fortschritte in den nächsten 10 Jahren „bescheiden“ sein werden.
Der höchste von ihm prognostizierte Gewinn wäre ein Anstieg der Gesamtfaktorproduktivität (TFP) um insgesamt nur 0,66 %, was, wie oben erwähnt, die gängige Messgröße für die Auswirkungen von Innovationen ist, oder ein Anstieg des jährlichen TFP-Wachstums um nur 0,064 %.
Es könnte sogar noch weniger sein, da KI einige schwierigere Aufgaben, die Menschen erledigen, nicht bewältigen kann. Dann könnte der Anstieg nur 0,53 % betragen. Selbst wenn die Einführung von KI die Gesamtinvestitionen erhöhen würde, würde der Anstieg des BIP in den USA insgesamt nur 0,93–1,56 % betragen, je nach Umfang des Investitionsbooms.
Eine weitere wichtige Schlussfolgerung, zu der Acemoglu gelangte, war, dass nicht alle Automatisierungstechnologien tatsächlich die Arbeitsproduktivität steigern.
„Diejenigen, die Kosten senken und die Produktivität steigern, führen zu einer Reihe von kompensierenden Veränderungen, z. B. zur Ausweitung der Beschäftigung in nicht automatisierten Aufgaben. Wenn die Automatisierung hingegen ‚mittelmäßig‘ ist – d. h. nur geringfügige Produktivitätssteigerungen bringt –, dann führt sie zwar zu Verdrängungseffekten, aber nur zu geringen kompensierenden Vorteilen.“
Tatsächlich hat sich die US-Wirtschaft immer mehr in Richtung Automatisierung entwickelt, jedoch weniger in Richtung sozial vorteilhafter Automatisierungsarten. Tatsächlich geht Acemoglu davon aus, dass das Streben führender Unternehmen nach zusätzlichen Gewinnen aus der Automatisierung das Produktivitätswachstum senken kann. Das liegt daran, dass Unternehmen Automatisierung hauptsächlich in Bereichen einführen, die die Rentabilität steigern können, wie Marketing, Buchhaltung oder fossile Brennstofftechnologie, aber nicht die Produktivität für die Wirtschaft als Ganzes erhöhen oder soziale Bedürfnisse erfüllen.
Wie Acemoglu in einer STellungnahme vor dem US-Kongress erklärte:
„Die amerikanische und weltweite Technologie wird von den Entscheidungen einer Handvoll sehr großer und sehr erfolgreicher Technologieunternehmen geprägt, die nur über eine winzige Belegschaft und ein auf Automatisierung basierendes Geschäftsmodell verfügen.“[12]
Und während die staatlichen Ausgaben für die KI-Forschung zurückgegangen sind, hat sich die KI-Forschung auf das verlagert, was die Rentabilität einiger weniger multinationaler Unternehmen steigern kann, nicht auf soziale Bedürfnisse: „Die staatlichen Forschungsausgaben sind im Verhältnis zum BIP gesunken und ihre Zusammensetzung hat sich in Richtung Steuergutschriften und Unterstützung für Unternehmen verlagert. Die transformativen Technologien des 20. Jahrhunderts, wie Antibiotika, Sensoren, moderne Motoren und das Internet, tragen überall die Handschrift der Regierung. Die Regierung finanzierte und kaufte diese Technologien und legte oft die Forschungsagenda fest. Dies ist heute viel weniger der Fall.“
In den USA werden Software und Ausrüstung fast gar nicht besteuert, und in einigen Fällen können Unternehmen sogar eine Nettosubvention erhalten, wenn sie in solches Kapital investieren. Dies schafft einen starken Anreiz für eine „übermäßige Automatisierung“, bei der Unternehmen Geld sparen können, wenn sie Maschinen installieren, die die gleiche Arbeit wie die Mitarbeiter erledigen, und ihre Mitarbeiter entlassen, weil die Regierung ihre Investitionen subventioniert und die Lohnzahlungen besteuert.
Vieles hängt davon ab, wo und wie KI eingesetzt wird. Eine Studie von PwC ergab, dass das Produktivitätswachstum in Teilen der Wirtschaft, in denen die KI-Durchdringung am höchsten war, fast fünfmal so schnell war wie in weniger exponierten Sektoren.[13] Barret Kupelian, Chefökonom bei PwC UK, sagte: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass KI die Kraft hat, neue Industrien zu schaffen, den Arbeitsmarkt zu verändern und potenziell die Produktivitätswachstumsraten zu steigern. Was die wirtschaftlichen Auswirkungen betrifft, sehen wir nur die Spitze des Eisbergs – derzeit deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass sich die Einführung von KI auf einige wenige Wirtschaftssektoren konzentriert, aber sobald sich die Technologie verbessert und auf andere Wirtschaftssektoren ausbreitet, könnte das zukünftige Potenzial transformativ sein.“
Die Ökonomen der OECD sind sich nicht so sicher, ob dies richtig ist. In einem Papier stellen sie die Frage: „Wie lange wird die Anwendung von KI in Wirtschaftssektoren dauern? Die Akzeptanz von KI ist immer noch sehr gering, weniger als 5 % der Unternehmen in den USA geben an, diese Technologie zu nutzen (Census Bureau 2024). Im Vergleich zum Akzeptanzpfad früherer Allzwecktechnologien (z. B. Computer und Elektrizität), deren vollständige Verbreitung bis zu 20 Jahre gedauert hat, hat KI noch einen langen Weg vor sich, bevor sie die hohen Akzeptanzraten erreicht, die notwendig sind, um makroökonomische Gewinne zu erzielen."[14]
„Erkenntnisse auf Mikro- oder Branchenebene erfassen hauptsächlich die Auswirkungen auf frühe Anwender und sehr spezifische Aufgaben und weisen wahrscheinlich auf kurzfristige Effekte hin. Die langfristigen Auswirkungen von KI auf das Produktivitätswachstum auf Makroebene werden vom Umfang ihrer Nutzung und der erfolgreichen Integration in Geschäftsprozesse abhängen.“ Die OECD-Ökonomen weisen darauf hin, dass es bei früheren bahnbrechenden Technologien wie der Elektrizität oder PCs 20 Jahre gedauert hat, bis sie sich ausreichend ‚verbreitet‘ hatten, um einen Unterschied zu machen. Das würde bedeuten, dass KI in den 2040er Jahren eintritt.
Darüber hinaus könnte KI durch den Ersatz von Arbeitskräften in produktiveren, wissensintensiven Sektoren „letztendlich zu einem Rückgang der Beschäftigungsanteile dieser Sektoren führen, was sich negativ auf das Gesamtproduktivitätswachstum auswirken würde“.
Und in Anlehnung an einige der Argumente von Acemoglu schlagen die OECD-Ökonomen vor, dass „KI eine erhebliche Bedrohung für den Wettbewerb auf dem Markt und die Ungleichheit darstellt, die ihre potenziellen Vorteile direkt oder indirekt beeinträchtigen könnte, indem sie präventive politische Maßnahmen zur Begrenzung ihrer Entwicklung und Einführung veranlasst.“
Und im Gegensatz zu den GS-Ökonomen sind diejenigen, die an der Spitze der KI-Entwicklung stehen, weit weniger optimistisch, was die Auswirkungen der KI angeht. Demis Hassabis, Leiter der KI-Forschungsabteilung von Google, drückt es so aus:
„Das größte Versprechen der KI ist genau das – ein Versprechen. Zwei grundlegende Probleme sind noch ungelöst. Eines davon besteht darin, KI-Modelle zu erstellen, die auf historischen Daten trainiert werden, jede neue Situation verstehen, in die sie versetzt werden, und angemessen reagieren."[15] KI muss in der Lage sein, ‚unsere komplexe und dynamische Welt zu verstehen und darauf zu reagieren, genau wie wir es tun‘.
Aber kann KI das? Yann LeCun, leitender KI-Wissenschaftler bei Meta, dem Social-Media-Riesen, dem Facebook und Instagram gehören, glaubt nicht daran. Er sagte, dass LLMs „nur ein sehr begrenztes Verständnis von Logik haben . . . die physische Welt nicht verstehen, kein dauerhaftes Gedächtnis haben, nicht in der Lage sind, in irgendeiner vernünftigen Definition des Begriffs zu argumentieren und nicht . . . hierarchisch planen können“. [16]
LLMs sind Modelle, die nur dann lernen, wenn menschliche Ingenieure eingreifen, um sie mit diesen Informationen zu trainieren, und nicht, wenn die KI wie Menschen organisch zu einem Schluss kommt.
„Für die meisten Menschen sieht es sicherlich wie logisches Denken aus, aber in Wirklichkeit wird hier hauptsächlich das gesammelte Wissen aus vielen Trainingsdaten genutzt.“ Aron Culotta, außerordentlicher Professor für Informatik an der Tulane University, drückte es anders aus: ‚Der gesunde Menschenverstand war der KI lange Zeit ein Dorn im Auge‘, und es sei schwierig, Modellen Kausalität beizubringen, wodurch sie ‚anfällig für unerwartete Ausfälle‘ seien.[17]
Noam Chomsky fasste die Grenzen der KI im Vergleich zur menschlichen Intelligenz zusammen: „Der menschliche Geist ist nicht wie ChatGPT und Konsorten, eine schwerfällige statistische Maschine für den Musterabgleich, die sich an Hunderten von Terabyte an Daten labt und die wahrscheinlichste Gesprächsbeteiligung oder Antwort auf eine wissenschaftliche Frage extrapoliert. Im Gegenteil, der menschliche Geist ist ein überraschend effizientes und sogar elegantes System, das mit kleinen Informationsmengen arbeitet; er versucht nicht, grobe Korrelationen zwischen Datenpunkten abzuleiten, sondern Erklärungen zu finden. Hören wir auf, es künstliche Intelligenz zu nennen, und nennen wir es beim Namen: „Plagiatssoftware“, denn sie erschafft nichts als Kopien bestehender Werke, von Künstlern, und verändert sie so stark, dass sie dem Urheberrecht entgehen."[18]
Geschäftsmodell für KI im Kapitalismus
Big Tech hat einen besonderen Ansatz in Bezug auf Wirtschaft und Technologie, der sich auf den Einsatz von Algorithmen konzentriert, um Menschen zu ersetzen. Es ist kein Zufall, dass Unternehmen wie Google weniger als ein Zehntel der Anzahl an Arbeitnehmern beschäftigen, die große Unternehmen wie General Motors in der Vergangenheit beschäftigt haben. Dies ist eine Folge des Geschäftsmodells von Big Tech, das nicht auf der Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern auf deren Automatisierung basiert.
Das ist das Geschäftsmodell für KI im Kapitalismus. Nur wenn das Profitmotiv ersetzt wird, können Automatisierung und Robotik echte Vorteile in Form kürzerer Arbeitszeiten und mehr sozialen Gütern bringen. Bei kooperativen, in Gemeinschaftsbesitz befindlichen automatisierten Produktionsmitteln gibt es viele KI-Anwendungen, die stattdessen die menschlichen Fähigkeiten erweitern und neue Aufgaben in den Bereichen Bildung, Gesundheitswesen und sogar in der Fertigung schaffen könnten.
Acemoglu schlägt vor, dass „wir KI nicht für die automatische Benotung, Hausaufgabenhilfe und zunehmend für den Ersatz von Lehrern durch Algorithmen einsetzen sollten, sondern in die Nutzung von KI für die Entwicklung individuellerer, schülerzentrierter Lehrmethoden investieren sollten, die auf die spezifischen Stärken und Schwächen verschiedener Schülergruppen abgestimmt sind. Solche Technologien würden dazu führen, dass mehr Lehrer eingestellt werden und die Nachfrage nach neuen Lehrerkompetenzen steigt – und damit genau in die Richtung gehen, neue Arbeitsplätze zu schaffen, die sich auf neue Aufgaben konzentrieren.“
Und anstatt Arbeitsplätze und die Lebensgrundlagen von Menschen zu reduzieren, könnte KI in gemeinsamem Besitz und gemeinsamer Planung die Arbeitsstunden für alle reduzieren.
Quellen:
[1] https://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/publications/why-is-productivity-slowing-down
[2] https://thenextrecession.wordpress.com/2019/01/08/assa-2019-part-2-the-radical-profitability-growth-and-crises/
[3] https://thenextrecession.wordpress.com/2017/12/10/capitalism-without-capital-or-capital-without-capitalism/
[4] https://www.mckinsey.com/capabilities/mckinsey-digital/our-insights/is-the-solow-paradox-back
[5] https://www.left-horizons.com/2023/05/30/acemoglu-ai-and-automation/
[6] https://www.gspublishing.com/content/research/en/reports/2023/03/27/d64e052b-0f6e-45d7-967b-d7be35fabd16.html
[7] https://www.lulu.com/shop/michael-roberts/engels-200/paperback/product-y9pzdr.html?page=1&pageSize=4
[8] Grundrisse.
[9] https://www.worldbank.org/en/news/press-release/2024/01/09/global-economic-prospects-january-2024-press-release
[10] https://www.imf.org/en/News/Articles/2024/04/11/sp041124-outlook-global-economy-policy-priorities-kristalina-georgieva
[11] https://www.nber.org/papers/w32487
[12] https://www.congress.gov/116/meeting/house/111002/witnesses/HHRG-116-BU00-Wstate-AcemogluD-20200910.pdf
[13] https://www.pwc.co.uk/press-room/press-releases/research-commentary/artificial-intelligence--ai--exposed-sectors-see-a-fivefold-incr.html
[14] Filippucci, F, P Gal, A Leandro, C Jona-Lasinio und G Nicoletti (2024), „The impact of Artificial Intelligence on productivity, distribution and growth: Key mechanisms, initial evidence and policy challenges“, OECD Artificial Intelligence Papers, Nr. 15, Paris: OECD Publishing.
[15] https://www.ft.com/content/774901e5-e831-4e0b-b0a1-e4b5b0032fb8
[16] https://www.ft.com/content/23fab126-f1d3-4add-a457-207a25730ad9
[17] https://www.ft.com/content/23fab126-f1d3-4add-a457-207a25730ad9
[18] https://www.nytimes.com/2023/03/08/opinion/noam-chomsky-chatgpt-ai.html
Zusätzlicher Hinweis auf die bereits veröffentlichten Sequenzen der Serie Digitalisierung
Setzt China künftig die Standards für Künstliche Intelligenz? (I) : Wolfgang Müller: https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5295-setzt-china-kuenftig-die-standards-fuer-kuenstliche-intelligenz
Stopp den Kriegsvorbereitungen in Bund, Ländern und Gemeinden
Angetrieben wurden die Arbeiten durch Computerprobleme beim Übergang von 1999 auf das Jahr 2000, den verheerenden Anschlag im Jahre 2001 auf das World Trade Center in New York und die Jahrhundertflut der Elbe in 2002 mit Kosten von fast 12 Mrd. Euro.
Die verschiedenen Handlungsfelder zum Schutz kritischer Infrastrukturen (KRITIS-Strategie) wurden dann seitens der von CDU/CSU und SPD geführten Bundesregierung im Sommer 2009 zur bislang gültigen nationalen Strategie des Bundes zusammengeführt. Im Zuge internationaler Zusammenarbeit auf diesem Feld wurde damals bereits die NATO eingebunden.
Diese sog. KRITIS-Strategie formuliert das Ziel, „gravierende Störungen und Ausfälle von wichtigen Infrastrukturleistungen“ möglichst schon vorbeugend zu vermeiden und falls das nicht möglich ist, sollen ihre Folgen möglichst minimiert werden. Unter den Begriff „kritische Infrastrukturen“ und ihren Schutz fallen Gesundheit, Ernährung, Trinkwasser, Abwasser, Abfall, Energie, Transport und Verkehr, Informationstechnik und Telekommunikation (IT-/Cyber-Sicherheit). Dabei kommt der Zusammenarbeit zwischen Behörden und größtenteils privatwirtschaftlich organisierten Betreibern kritischer Infrastrukturen besondere Bedeutung zu. Beim Schutz Kritischer Infrastrukturen ist von einem breiten Gefahrenspektrum auszugehen. So kann allein der Ausfall einer kritischen Infrastruktur große gesamtwirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Auswirkungen nach sich ziehen. In der KRITIS-Strategie wird deshalb von einem All-Gefahren-Ansatz gesprochen. Einzelne, gefahrenspezifische Maßnahmen sollen sich diesem Ansatz nach also in ein übergreifendes Schutzkonzept einfügen.
Inzwischen hat die KRITIS-Strategie ihre Erweiterung gefunden durch die "EU-Richtlinie über die Resilienz kritischer Einrichtungen" (CER), die am 14. Dezember 2022 von der EU verabschiedet wurde. Diese Richtlinie wird derzeit – ein Entwurf liegt vor - in ein Gesetz, das sog. KRITIS-Dachgesetz, umgesetzt. Durch diesen Gesetzesentwurf werden – so das BMI – „erstmals kritische Infrastrukturen auf Bundesebene identifiziert und Mindeststandards für den physischen Schutz für Betreiber Kritischer Infrastrukturen festgelegt. Bisher gab es solche Bundesregelungen nur für die IT-Sicherheit kritischer Infrastrukturen“. Damit wird es in absehbarer Zukunft eine gesamtstaatlich angelegte strategische Handlungsgrundlage geben.
Ergänzt wird die nationale KRITIS-Strategie durch das Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz (ZSKG) aus dem Jahre 1997 (zuletzt geändert 2020), mit dem der Bund „die Länder im Rahmen seiner Zuständigkeiten beim Schutz kritischer Infrastrukturen“ berät und unterstützt. Dabei stellt die Konzeption Zivile Verteidigung (KZV, 2016) „jene Gefahren in den Mittelpunkt, die im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten auftreten können. Die Notfallvorsorge im Rahmen der zivilen Verteidigung baut dabei auf dem fortlaufenden Schutz Kritischer Infrastrukturen auf“.
Der Schutz kritischer Infrastrukturen im Wandel durch zunehemende Kriegsvorbereitungen
In hochindustrialisierten Staaten ist der Schutz kritischer Infrastrukturen notwendig. Sei es um großräumige Überflutungen rasch zu beheben, die Trinkwasserversorgung im Klimawandel sicherzustellen, die Auswirkungen schwerer Industrieunglücke in dicht besiedelten Gebieten so gering als möglich zu machen oder den Ausfall großer Strom- und Telekommunikationsnetze (Zusammenbruch durch Netzstörungen inclusive Cyber-Angriffe) so rasch als möglich zu beheben.
Inzwischen vermischt sich der notwendige Schutz kritischer Infrastrukturen zunehmend mit Aufgaben zur Vorbereitung auf künftige Kriege. In diese Aufgaben sind die Bundesländer und Kommunen eingebunden. Insgesamt wird so der Boden zur gesamtgesellschaftlich angelegten Militarisierung und für ein autoritäres Staatswesen bereitet. Und von einem ist sicher auszugehen: im Krisen- und Kriegsfall wird die Verquickung von militärischer und ziviler Schutzplanung zu Ungunsten der Zivilbevölkerung ausgehen. Soweit erforderlich, wird der Schutz der Zivilbevölkerung militärischen Erfordernissen geopfert. Sei es, dass z. B. Brücken vermint und gesprengt werden müssen oder ein Krankenhaus zugunsten des Militärs zu räumen ist. Und eine Sicherstellung zentraler Einrichtungen wie Talsperren zur Wasserversorgung, Energiegewinnung und zum Hochwasserschutz sind vor der Zerstörung durch feindliche Raketen auch durch eine noch so ausgefeilte zivil-militärische Zusammenarbeit nicht zu gewährleisten. Allein die Zerstörung der zehn größten Stauseen in Ost-, Nord-, West- und Süddeutschland würde zu katastrophalen Folgen für Zivilbevölkerung, Wirtschaft und Energieversorgung führen.
Stopp den Kriegsvorbereitungen – für eine friedliche Zukunft
Nachstehend wird eine Reihe von Möglichkeiten aufgezeigt, sich Militarisierung, Aufrüstung und wachsender zivil-militärischer Zusammenarbeit entgegenzustellen:
- Zivil-militärische Zusammenarbeit:
- Ablehnung des von der Ampel-Regierung im Koalitionsvertrag geplanten und derzeit in Arbeit befindlichen, mit hohen Kosten verbundenen Gesundheitssicherstellungs-gesetzes. Damit sollen insbesondere „die effiziente und dezentrale Bevorratung von Arzneimittel- und Medizinprodukten sowie regelmäßige Ernstfallübungen für das Personal für Gesundheitskrisen sichergestellt“ werden. Dabei geht es auch um Einsatz und Verteilung von medizinischem Personal im Krisenfall. Die mangelnde Bevorratung ist das Ergebnis einer verfehlten jahrzehntelangen Gesundheits- und Arzneimittelpolitik. Dafür braucht es kein Gesundheitssicherstellungsgesetz, sondern eine am Gemeinwohl orientierte Gesundheits- und Arzneimittelversorgung. Für die große Mehrheit der gesetzlich Versicherten hat hier der DGB in 2023 richtungsweisende Vorschläge unterbreitet.
- Keine Indienstnahme ziviler öffentlicher und privater Einrichtungen des Gesundheitswesens - ob stationär oder ambulant - für Vorbereitungen auf kommende Kriege. Keine Verankerung von militärischen Sicherheitsthemen in der medizinischen Ausbildung.
- Keine zusätzlichen, zweckgebundenen Landesgelder für das Rote Kreuz, damit für den Kriegsfall notwendige medizinische Mittel, Materialien und Ausrüstungen vorgehalten und eingelagert werden können;
- Keine Finanzierung des Katastrophenschutzes in den Ländern über notwendige Vorsorge hinaus beispielsweise im Falle von Großschäden wie Bränden, Unwettern oder Industriehavarien. Keine Finanzierung von Bunkerbauten, keine Finanzierung von Notfallreserven für Lebensmittel. Keine Teilnahme an Kriegsvorbereitungen wie Übungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden und den dafür zuständigen Behörden einschließlich Ausbildung und Rekrutierung von Fachpersonal.
- Infrastrukturausbau:
- Keine Ausrichtung des großräumigen Landesplanungsrechts (Raumordnungsrecht) und regional und lokal raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen zur Kriegsvorbereitung. Dazu zählen der Ausbau von Wasserwegen, Häfen, Straßen, Autobahnen, Brücken, Schienenwegen, Ausweisung oder Erweiterung von Flächen für Munitions- und Rüstungsbetriebe, für neue Kasernenanlagen, Logistikareale, Schießplätze.
Hinweis:
Seitens des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe ist mitgeteilt worden, das „nach dem 2008 neu gefassten Raumordnungsgesetz (kurz: ROG) dem „Schutz kritischer Infrastrukturen […] Rechnung zu tragen“ ist. Dies bedeutet, bei Abwägungs- und Ermessensentscheidungen auch Belange des Schutzes Kritischer Infrastrukturen im Kontext raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen zu berücksichtigen (§ 2 Absatz 2 Nummer 3, § 4 ROG)“. Die Raumordnung ist demnach angehalten, sich mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln am Schutz Kritischer Infrastrukturen zu beteiligen. Soweit sich dieser Schutz auf militärisch bedeutsame Infrastrukturen richtet, ist das abzulehnen.
Literatur:
- Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: https://www.bbk.bund.de/DE/Themen/Kritische-Infrastrukturen/Strategien-und-rechtlicher-Rahmen/Rechtlicher-Rahmen/rechtlicher-rahmen_node.html; Abruf: 12.09.2024;
- Bundesministerium des Innern und für Heimat: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/gesetzgebungsverfahren/DE/KRITIS-DachG.html; Abruf: 12.09.2024
- Das Gesundheitswesen muss sich besser auf Krieg, Terror und Katastrophen vorbereiten, in: aerzteblatt.de vom 15.03.2024
- Lauterbach bereitet Gesundheitswesen auf „militärische Konflikte“ vor, in: ZEIT ONLINE vom 02.03.2024
- Tagesschau: Kriegstreiber-Vorwürfe gegen Lauterbach; https://www.tagesschau.de/faktenfinder/kontext/lauterbach-gesundheitssystem-100.html; Abruf: 13.09.2024
Historischer Meilenstein – 75. Jahrestag der Volksrepublik China
Das Land hat In den letzten 75 Jahren unter der Führung der Kommunistischen Partei Chinas ausgeprägte Veränderungen vollzogen und dabei eine beispiellose Entwicklung erlebt.[1]
Anerkennende und auch kritisch distanzierte Stimmen der politischen Eliten unterschiedlichster ideologischer Ausrichtung kommen fast einvernehmlich zu dem Schluss, was ja für die Einschätzung eines „kommunistischen“ Jahrestages schon bemerkenswert ist, dass China in wenigen Jahrzehnten das erreicht hat, wozu die westlichen Industrieländer mehrere Jahrhunderte gebraucht haben. [2]
Chinas Wirtschaft hat sich seit dem Gründungsjahr 1949 den Status der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt erarbeitet. .
Nach einschlägigen Fakten der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung, wie sie von Wirtschaftsinstituten und den Mainstream-Medien [3] üblicherweise dargestellt und ausgelegt werden, ist der diesjährige Jahrestag auch ein Anlaß, auf eines der eingelösten chinesischen Ziele hinzuweisen, die den Aufbau einer mäßig wohlhabenden Gesellschaft als eingelöst und erfüllt einstufen.[4]
Bemerkenswert ist, dass die Aufmerksamkeit der Welt auf China uns sein Einfluss auf das Weltgeschehen noch nie so tief und fokussiert war wie heute.[5]
Wohin geht die Menschheit - und was hat das mit China zu tun?
Schon zu Beginn der zurückliegenden Dekade hat China die viel beachtete Vision des Aufbaus einer Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Zukunft für die Menschheit vorgestellt. Dies wird als Chinas Lösung angesehen, um globale Herausforderungen anzugehen und durch konzertierte Bemühungen der internationalen Gemeinschaft eine bessere Zukunft zu schaffen.
Es geht dabei nach dem Kooperationsverständnis der begründeten Politik der chinesischen Einheitspartei nicht darum, ein System durch ein anderes oder eine Zivilisation durch eine andere zu ersetzen. Stattdessen geht es darum, mit Ländern unterschiedlicher sozialer Systeme, Ideologien, historischen Kontexten und Entwicklungsstufen einen gegenseitigen Nutzen zu erzielen, gemeinsam Verantwortung in internationalen Angelegenheiten zu übernehmen und dabei Rechte partnerschaftlich zu teilen.[6]
Diese politisch-konzeptionellen Überlegungen, die China in seinem internationalen Wirken als globaler Partner, nach ökonomischen Möglichkeiten angeht, ist darauf ausgerichtet, gemeinsame Verantwortlichkeiten wie die gerechte Verteilung von Ressourcen, Umweltverantwortung und kollektive Sicherheitsmaßnahmen umzusetzen.
Es ermutigt die Länder, ein Gefühl der globalen Solidarität und Zusammenarbeit bei der Bewältigung transnationaler Bedrohungen zu fördern.
Die erreichte Globalisierung, die nicht zuletzt durch den Beitrag von China der verschwörungstheoretisch herbeigeredeten De-Globalisierung widerspricht, sondern vielmehr durch das Zurückdrängen der jahrzehntelang vorherrschenden unipoilaren Entwicklungsrichtung des westlichen kapitalistischen Lagers neue Charakterzüge in Form einer Kooperation der Multipolarität annimmt. [7]
Mit der Vertiefung der Globalisierung werden die Nationen immer mehr voneinander abhängig, während sich weiterhin verschiedene globale Herausforderungen abzeichnen:
Die Menschheit steht vor natürlichen Herausforderungen wie dem Klimawandel und dem Verlust der biologischen Vielfalt sowie vor gemeinsamen globalen Bedrohungen wie extremer Armut, nuklearer Verbreitung, politischem Extremismus, Hegemonie und eskalierenden geopolitischen Konflikten.
Die Entwicklung Chinas zu einer führenden Wirtschaftsmacht
China ist mit knapp 1,4 Milliarden Einwohnern das bevölkerungsreichste Land der Erde. In den vergangenen 30 Jahren hat sich die Nation zunehmend zu einer weltweit bedeutenden Wirtschaftsmacht entwickelt. Chinas Wirtschaft ist seit 2010, hinter den USA, die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Misst man die Kaufkraftparität (Waren und Dienstleistungen zu gleich hohen Preisen im Vergleich zweier unterschiedlicher Währungsräume), so weist China nach den Angaben der IWF spätestens seit 2018 ein höheres BIP auf als die USA; und nach den Prognosen zu den Wirtschaftsentwicklungen der
5 Top Länder wird China in den kommenden Jahren die USA und vermutlich alle anderen überflügeln. Daran werden auch die Aussagen der Think Tanks im Auftrag der herrschenden politischen Elite nichts ändern.
Im Jahr 2023 verzeichnete China ein Wirtschaftswachstum von 5,2%.
Dieses Wachstum lag im Rahmen der planerischen Zielvorgabe für alle Wirtschaftsregionen und -Ebenen Chinas von fünf Prozent", welches den Wachstumsraten der vergangenen Jahre entsprach. So verzeichnete die Wirtschaftsentwicklung Chinas zu Beginn des laufenden Jahres ein Wachstum von 5,3% im Vergleich zum Vorjahr. Damit rückt wie mehrfach beschrieben das offizielle planerische Wachstumsziel von "um 5%" für 2024 in greifbare Nähe.
In anderen Ländern gibt es mittlerweile eine Kurskorrektur in Richtung eines schrumpfenden Wirtschaftswachstums, , die eher einer nicht mehr verdrehbaren Rezession entspricht.[8]
Zugegeben, auch China kämpft mit Auswirkungen struktureller und globaler Einflußfaktoren, die hinlänglich beschrieben und analysiert sind.[9]
Deshalb scheint an dieser Stelle die Anmerkung ausreichend, dass die sich angestauten Markt-Dissonanzen im Immobiliensektor sich trotz der staatlichen Stützungsmaßnahmen wie sinkende Wohnungsnachfrage weiterhin besteht und die Immobilienpreise nach wie vor nicht ausreichend stabil sind. Auch der private Konsum kann noch keine übermäßigen Sprünge vorweisen im Vergleich zu den Wachstumszahlen der vergangenen Jahre. Allerdings erfüllen die staatlichen Stützungsmaßnahmen zur Belebung der Wirtschaft in Summe ihre wirtschaftsstabilisierende Funktion, so dass ein BIP-Wachstum von um die 5% erreichbar erscheint. Staatliche Stützmaßnahmen sind in einem System, das keine Profitmaximierung privater monopolistischer Unternehmensstrukturen zum Ziel hat, sondern dem Gemeinwohl der institutionalisierten sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung verpflichtet ist, durchaus angebracht und von der Bevölkerung gefordert werden kann.[10]
Das ist der systemische Unterschied zur Subventionierung beispielsweise von Großkonzernen, die ihre Profitziele verfehlen und dann dem Staat mit Abwanderung und Vernichtung von Arbeitsplätzen drohen, wenn staatliche Subventionen ausbleiben sollten. [11]
Das entspricht weitestgehend der vorherrschenden sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung auf den Grundlagen der Dominanz des staatlichen Eigentums an Produktionsmitteln, der Integration von Planwirtschaft und Marktelementen sowie der Führung durch die Kommunistische Partei Chinas. Der Staat behält die Kontrolle über strategische Industrien und wichtige Wirtschaftssektoren. Und es gibt weiterhin eine übergeordnete wirtschaftliche Planung, aber mit mehr Flexibilität als in einer reinen Planwirtschaft. Privatunternehmen sind zugelassen, die auch einen wesentlichen Anteil am Erwirtschaften des Bruttoinlandsproduktes haben. Zudem sind ausländische Direktinvestitionen erlaubt, und die Preisbildung erfolgt teilweise durch Angebot und Nachfrage.[12]
Zur wirtschaftlichen Situation von Wirtschaft und Gesellschaft sollen einige aktuell verfügbare Zahlen im Jahr des 75-jährigen Bestehens der Volksrepublik angeführt werden:
Eine andere Perspektive – auch für Länder des globalen Südens
Auf der Grundlage seiner inzwischen erreichten Wirtschaftsmacht hat China auch seinen weltweit wirkmächtigen Einfluss im Rahmen von Wirtschaftskooperationen, Zusammenarbeit und seines Einflusses in internationalen Organisationen maßgeblich aufgebaut. Dazu gehören, stellvertretend ausgewählt, etwa die Bereiche
- Engagement in der UN-Entwicklungszusammenarbeit; China hat sich zu einem immer
sichtbareren Akteur in der UN-Entwicklungszusammenarbeit entwickelt,
- Einrichtung des UN-Treuhandfonds für Frieden und Entwicklung,
- Einbringen von Expertise zur Armutsbekämpfung zur Umsetzung der UN-
Nachhaltigkeitsziele,
- Stellvertretende Generaldirektorenfunktion bei der Welthandelsorganisation (WTO),
- Führungspositionen bei der UN-Organisation für industrielle Entwicklung (UNIDO),
- Führungspositionen bei der Internationalen Fernmeldeunion (ITU),
- Leitende Position bei der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO),
In Ergänzung dazu hat China eigene Initiativen und Programme auf internationaler Ebene lanciert wie etwa
- die Neue Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) , die zudem als Plattform für Kooperationen mit UN-Organisationen dient [13]
- Gründung der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank[14]
- Förderung von Konzepten wie die "Schicksalsgemeinschaft der Menschheit"[15]
So hat sich etwa die Belt and Road Initiative (BRI) von einem chinesischen Konzept-Vorschlag zu international praktizierten Maßnahmen mit dem Schwerpunkt des Aufbaus von Infrastrukturen und Ausbau internationaler Handelswege entwickelt. [16]
Es hat nicht nur greifbare Vorteile für die teilnehmenden Länder gebracht, sondern auch einen positiven Beitrag zur Förderung einer gesunden Globalisierung, zur Bewältigung globaler Entwicklungsherausforderungen und zur Verbesserung der globalen Gouvernance beigetragen. In diesem Zusammenhang bedeutet Global Gouvernance die Vorgabe eines Rahmens von Prinzipien, Regeln, Gesetzen und Institutionen, der darauf abzielt, globale Probleme zu lösen und die Globalisierung politisch zu gestalten.[17]
Projekte wie der Wirtschaftskorridor China-Pakistan, China-Europe Railway Express, China-Laos Railway, Jakarta-Bandung High-Speed Railway, Piräus Port haben den Menschen in den Kooperationsländern sehr geholfen. Bis Ende Juni 2023 hatte China über 200 Kooperationsdokumente mit mehr als 150 Ländern auf fünf Kontinenten und über 30 internationalen Organisationen im Rahmen des BRI-Rahmens unterzeichnet, wodurch unzählige ikonische Projekte sowie kleinere, menschenzentrierte Projekte geschaffen wurden.
Zusammenfassend läßt sich gerade zur Belt and Road- Initiative anführen, dass bis Mitte letzten Jahres China über 250 Kooperationsdokumente mit mehr als 150 Ländern auf fünf Kontinenten und über 30 internationalen Organisationen im Rahmen des BRI-Rahmens unterzeichnet hat, wodurch unzählige ikonische Projekte sowie kleinere, menschenzentrierte Projekte geschaffen wurden.[18]
Das erklärte Bedürfnis von China nach Zusammenarbeit, auch über ideologische und systemische Unterschiede hinausreichend, war noch nie so dringend oder wichtiger als heute.
Dabei ist hervorzuheben, dass dieses internationale Agieren insbesondere auch Länder des globalen Südens ermutigt, eine Zusammenarbeit bei der Bewältigung transnationaler Bedrohungen zu fördern. China kann für sich beanspruchen, in den letzten zehn Jahren erhebliche Hilfe geleistet und verschiedene Organisationen wie die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) gegründet zu haben zur Förderung von Projekten in PArtnerländern, die Chinas Prinzipien der Gleichheit, Inklusivität, Zusammenarbeit und Nachhaltigkeit widerspiegeln.
Im Gegensatz zu den selektiven Allianzen des Westens, worunter Länder des globalen Südens in ihrer Phase der Überwindung des Kolonialismus ihre Abhängigkeit nicht überwinden konnten, hat China belegbar einen Weg des integrativen Multilateralismus beschritten und etabliert, der integrative Rahmenbedingungen wie die BRI fördert, um die Entwicklung in zahlreichen Nationen zu erleichtern.[19]
Chinesische Initiativen – ein Zwischenfazit zu 75 Jahre VR China
Zum Jahrestag der Gründung des heutigen Chinas lässt sich als eine Bewertung des Status Chinas im globalen Kontext oder besser gesagt als ein Zwischenfazit seiner Entwicklung auf die Global Development Initiative von China im Jahr 2021 verweisen.
Die proklamierte Vision zielt darauf ab, eine Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Zukunft für die Menschheit aufzubauen; sie beinhaltet
- die Global Development Initiative,
- die Global Security Initiative und
- die Global Civilization Initiative von 2021 bis 2023. [21]
Alles drei Initiativen konzentrieren sich auf die Bewältigung globaler Entwicklungs-herausforderungen, die Beseitigung globaler Sicherheitsrisiken und die Förderung des Austauschs und des gegenseitigen Lernens zwischen den Zivilisationen.[22]
Bisher haben mehr als 100 Länder und internationale Organisationen ihre Unterstützung für die Global Development Initiative angemeldet, wobei über 70 Länder dieser "Gruppe von Freunden" beigetreten sind. Laut der People's Daily Overseas Edition haben mehr als 200 Projekte zur Entwicklungszusammenarbeit Ergebnisse erzielt.[23]
UN-Generalsekretär António Guterres lobte die Global Development Initiative als "wertschätzenden Beitrag zur Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen und zur Beschleunigung des Übergangs zu einer nachhaltigeren und integrativeren Zukunft".[24]
Quellen
[1] http://german.xinhuanet.com/20240930/0fc9ade90c614d5fbf248b437c27d5f7/c.html
[2] Andre Gunder Frank: ReORient. Globalwirtschaft im Asiatischen Zeitalter, 2016, Kap.1
[3] https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/politik/china-volksrepublik-jubilaeum-75-jahre-e532715
[4] https://www.globaltimes.cn/page/202409/1320591.shtml
[5] https://www.globaltimes.cn/page/202409/1320585.shtml
[6] https://www.kapitalkompakt.de/blog/75-jahre-volksrepublik-china-modernisierung-globale-entwicklung
[7] https://german.cri.cn/2024/09/27/ARTIgjx2LPwJOeQpj6m211UD240927.shtml
[8] https://dzresearchblog.dzbank.de/content/dzresearch/de/2024/04/16/china--kraeftigeres-wirtschaftswachstum--aber-strukturschwaechen.html
[9] https://www.zukunftsinstitut.de/zukunftsthemen/ambivalenz-chinas;
[10] https://www.manager-magazin.de/politik/weltwirtschaft/china-regierung-hilft-immobilienmarkt-a-caae2ede-3deb-4a0d-9a14-4c0e17fb8669
[11] https://www.isw-muenchen.de/aktuelles/termine/eventdetail/25/-/china-unser-neuer-hauptfeind
[12] https://www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de/de/article/1262.das-kapital-und-die-sozialistische-marktwirtschaft-in-der-vr-china.html
[13] https://library.fes.de/pdf-files/international/20384.pdf
[14] https://library.fes.de/pdf-files/iez/19345.pdf
[15] A.a.O.: https://library.fes.de/pdf-files/international/20384.pdf
[16] https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5154-die-seidenstrasseninitiative-3-internationales-kooperationsforum-belt-and-road
[17] https://de.wikipedia.org/wiki/Global_Governance
[18] https://www.kas.de/c/document_library/get_file?groupId=252038&uuid=1d5a14e0-27c9-cd16-9565-88493215fb6b;
https://www.logistik-express.com/belt-and-road-initiative-projekte-im-stresstest/
[19] https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5294-wirtschaftskooperation-zwischen-china-und-afrika-seit-24-jahren-focac
[20] Bojan Lalic, Direktor des Belt and Road Institute, Belgrad, Sept. 2024
[21] https://en.wikipedia.org/wiki/Global_Development_Initiative; http://en.chinadiplomacy.org.cn/gdi/index.shtml
http://no.china-embassy.gov.cn/eng/lcbt/lcwj/202401/P020240112016449761416.pdf
[22] https://www.globaltimes.cn/page/202409/1320591.shtml
[23] https://simple.wikipedia.org/wiki/Global_Development_Initiative
[24] https://www.un.org/uk/desa/china%E2%80%99s-belt-and-road-forum-guterres-calls-inclusive-sustainable-and-durable