
Meldungen
Constanze Kurz zu Snowden, Folgen, und dass weiter viel im Argen liegt ... (Netzpolitik)
Dass vom größten Abhörskandal der Geschichte auszugehen sei, stand schon 2013 in den Zeitungen, obwohl die Snowden-Enthüllungen noch jahrelang weitergehen sollten. Zehn Jahre später lohnt der Blick zurück auf Massenüberwachung, Spionageangriffe und einige der Konsequenzen, denn bis heute ist die Überwachung maßlos. ...
weiter bei: https://netzpolitik.org/2023/zehn-jahre-snowden-den-geheimdiensten-endli...
(via https://bonn.social/@extradienst/110499060099640346)
Freiheit in Vielfalt
Wirtschafts-Update: Varoufakis kritisiert heutigen Kapitalismus
Wirtschafts-Update: Varoufakis kritisiert heutigen Kapitalismus.
Der Beitrag Wirtschafts-Update: Varoufakis kritisiert heutigen Kapitalismus erschien zuerst auf acTVism.
Die Gesellschaft der Zukunft. Gedanken zu einer neuen Gesellschaftsordnung
Die Intention des Artikels ist, eine grundsätzliche Alternative zu unserem heutigen global herrschenden Gesellschaftssystem des Kapitalismus mit all seinen Unsicherheiten zu entwickeln.
Wir brauchen uns nur mit den aktuellen politischen, ökologischen, sozialen oder ökonomischen Verhältnissen weltweit zu befassen und es kann uns angst und bange werden. Dies betrifft vor allem die Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder. Um nicht in tiefe Verzweiflung zu versinken oder zynisch zu werden, kommt es darauf an, Hoffnung zu schöpfen und nach Auswegen zu suchen.
Was eine künftige Gesellschaftsordnung betrifft, so sollte sie einerseits allumfassend demokratisch und andrerseits sollten alle Bürger und Bürgerinnen am Ergebnis der Güterherstellung in gleicher Weise, d.h. egalitär beteiligt sein. Die beiden systemrelevanten Komponenten sind daher die partizipative Demokratie und die egalitäre Ökonomie.
Der gesellschaftliche Aufbau in Form des Rätesystems ist das Wesensmerkmal der partizipativen Demokratie. Im Gegensatz dazu ist die heutige repräsentative Demokratie vor allem durch ihre Schattenseiten, Stichwort: Beteiligung der Bevölkerung nur in Form von Wahlen, danach jedoch einflusslos, hingegen starker Einfluss mächtiger Interessengruppen, Manipulation durch die Medien usw. geprägt.
Die entscheidende Frage ist: wie kann die Bevölkerung am politischen Willensbildungsprozess beteiligt werden, ohne dass dieser die politischen Abläufe blockiert oder fehlleitet? Nicht durch Massenversammlungen und -abstimmungen, wo es ebenfalls bestimmende Kräfte gibt und die meisten zur passiven Abstimmungsmasse gehören, sondern durch die aktive Beteiligung jedes Bürgers und jeder Bürgerin auf Zeit am gesellschaftlichen Willensbildungs- und vor allem Entscheidungs- und Umsetzungsprozess, eben eine partizipative Demokratie in Form von rotierenden Räten.
Die Bevölkerung im Alter von 25-59 Jahren wird in drei Altersklassen, und zwar 25-44 Jahre, 45-54 Jahre und 55-59 Jahre erfasst. Die jüngeren und älteren Gesellschaftsglieder haben ihre eigenen Partizipationsrechte, auf die in der Folge noch kurz eingegangen wird. In der jeweiligen Altersklasse wird per EDV ausgelost, wer für 2 Jahre in die jeweiligen Räte delegiert wird. In der 1. Altersklasse sind es 20, in der 2. 10 und in der 3. Altersklasse 5 Jahrgänge.
Die Räte gliedern sich einmal vertikal entsprechend den Altersstufen und horizontal in 2 Bereiche danach, ob sie den Produktions- oder den Reproduktionsbereich vertreten.
Ein Beispiel, ausgehend von einer Einzelperson: Fritz Müller schaute mit 65 Jahren auf folgende Ratstätigkeit zurück. Mit 27 Jahren wurde er Mitglied im Hausgemeinschaftsrat, dies ist der Rat, dem alle Mitglieder der ersten Altersebene anteilig angehören. Im Alter von 49-50 Jahren war er Mitglied des Betriebsrates seines Betriebes und mit 57 Jahren gehörte er dem Regionalrat der Konsumentenseite an. Ab dem nächsten Jahr ist er für eine Tätigkeit im Kontinentalrat vorgesehen. Diese Mitgliedschaft beruht auf freiwilliger Basis und hier kommen alle in Betracht, die im 3. Altersabschnitt nicht dem höchsten nationalen Gremium, dem Nationalrat angehörten. Außerdem war Fritz Müller noch Mitglied im Rentnerrat, der die Interessen seiner Mitglieder ebenfalls auf freiwilliger Basis gegenüber den Räten vertritt. Mit dem Wechsel in den Kontinentalrat scheidet er aus dem sog. Seniorenrat aus.
Seine Ehefrau Edith startete mit 33 Jahren ebenfalls im Hausgemeinschaftsrat, mit 45 Jahren gehörte sie dem Kommunalrat und mit 56 Jahren dem Nationalrat als Vertreterin der Produzentenseite an. Auf eine Beteiligung im Rentnerrat hat sie wegen ihren zahlreichen Freizeitaktivitäten verzichtet.
Die Gewaltenteilung, die heute zwar nach dem Schulbuch aber nicht in der Wirklichkeit existiert (s. Einfluss der Exekutive auf die Mehrheitsfraktionen im Parlament, Geschachere um Auswahl der Verfassungsrichter durch Bundestag und Bundesrat), ist im neuen Gesellschaftssystem aufgehoben. Die Räte haben für ihren jeweiligen Bereich sowohl die gesetzgeberische wie die ausführende Gewalt inne und bei der Umsetzung stellen sie die obere Verwaltungsebene dar. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben sind die Räte in verschiedene Ausschüsse und Unterausschüsse gegliedert, deren Arbeit, falls notwendig durch Koordinierungsausschüsse organisiert wird.
Die Ratsmitglieder besitzen umfangreiche gesellschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten, die jedoch stets mit der Basis rückgekoppelt werden müssen. Außerdem sind sie für deren Umsetzung gegenüber der Gesellschaft direkt verantwortlich. Mitglieder, die dieser Rolle nicht gerecht werden oder deren Prinzipien zuwiderhandeln, können von der Allgemeinheit abberufen werden. Dies gilt für die Mitglieder aller Räte.
Nicht wie heute „Alle Macht geht vom Volke aus, aber wohin geht sie?“ sondern es gilt: „Alle Macht gehört dem Volk, alle Macht bleibt im Volk.“ Idealerweise wird im künftigen Modell von einer Gesellschaft von ca. 50 Millionen Einwohnern ausgegangen. Heutige Staaten mit höherer Einwohnerzahl müssten sich daher verwaltungsmäßig in kleinere Einheiten aufgliedern.
Die Bürger und Bürgerinnen der partizipativen Demokratie lernen schon sehr früh von Kindesbeinen an mit den Regeln ihrer Gesellschaftsordnung umzugehen. In den Schulen, Hochschulen und Ausbildungsstätten gibt es analoge Rätesysteme wie Klassen-, Schul-, Studien- und Ausbildungsräte, die neben den Lehrern und Ausbildern umfangreiche Beteiligungsrechte haben. Ebenso ist partizipative Demokratie ein Lern- und Studienfach.
Was die ökonomische Seite betrifft, so besteht kein Privateigentum an Produktionsmitteln, am Boden, Immobilien und den Bodenschätzen, sondern gesellschaftliches Eigentum.
Wie schafft man es in der Zukunft, dass einerseits die Güter effizient produziert und gerecht verteilt werden und andrerseits die Bedürfnisse jedes einzelnen befriedigt werden können? Schauen wir uns deshalb die Vorlaufzeit eines Produktionsjahres, d.h. die Planungszeit etwas genauer an. Im ersten Vierteljahr können alle Verbraucher Vorschläge für neue Produkte über das Netz an die einzelnen Betriebe eingeben, die bis Ende Mai von ihnen auf ihre Umsetzbarkeit überprüft werden. Im Juni und Juli werden zur allgemeinen Information ihre neuen Ideen von den Produzenten in das Netz gestellt. Im August erfolgt dann die Gesamtpräsentation mit den bisherigen und neuen Produkten und der Anmeldung des Gesamtbedarfs durch die Konsumentenseite.
Als Orientierungshilfe haben die Verbraucher am Anfang des Jahres eine Übersicht über ihre bezogenen Güter des letzten Jahres von der regionalen Verrechnungsstelle erhalten. Güter, die über mehrere Jahre verteilt genutzt werden wie Kleider und Haushaltsgegenstände, gehen anteilig in die Berechnung ein.
Ebenso können neben den Einzelkonsumenten auch Gemeinschaftskonsumenten wie Hausgemeinschaften, Kommunen, Schulen, Vereine usw. nach Zustimmung des zuständigen Rates ihren Bedarf anmelden.
Aufgrund der Bedarfsmeldungen der Verbraucherseite sowie der ständigen internen Bestandsermittlung stellen die Produzenten der Konsumgüter selbst lang- oder kurzfristige Anforderungslisten an die Betriebe der Produktionsmittelbereiche wie Maschinen und Vorprodukte auf.
Alle ermittelten Bedarfsanmeldungen werden zum Jahresende in einem Volkswirtschaftsplan für das nächste Jahr zusammengefasst. Im neuen Produktionsjahr wird die Planerfüllung von den zuständigen Räten kontinuierlich überwacht und ggf. korrigiert.
Jedes Mitglied der Gesellschaft ist zwar aufgefordert, sich an den Bedarfsmeldungen zu beteiligen, muss es aber nicht. Dann wird er oder sie mit den Durchschnittswerten erfasst.
Alle Produkte werden nach den in ihnen verausgabten Arbeitszeit bewertet und in Anteilen ausgedrückt. Da die Naturschätze der Gesellschaft gehören, muss für sie nichts bezahlt werden. Erst die Arbeit ab der Förderung der Ressourcen geht in den Wert der Produkte ein. Allerdings können die Nationalräte für bestimmte Güter, da nur in begrenzter Anzahl vorhanden, gesellschaftliche Werte festsetzen. Export und Import von Gütern werden ebenfalls nach Arbeitsaufwand über eine internationale Verrechnungsstelle wertmäßig ausgeglichen.
Nicht mehr die Erzielung von Gewinn ist der Zweck der Betriebe, sondern die Bedürfnisbefriedigung jedes/r Einzelnen mit qualitativ hochwertigen, langlebigen und ggf. recyclebaren Gütern. Da im Einklang mit der Natur nur notwendige Güter hergestellt werden, kann die Arbeitszeit geschätzt auf die Hälfte der heutigen Arbeitszeit verkürzt werden.
Zum Ausgleich von Bedarfsschwankungen, für Notzeiten und Katastrophenfälle werden 10% der Güter auf Lager produziert, die laufend verbraucht und ergänzt werden.
Jeder und jede hat die gleiche Anspruchssumme an Anteilen für die zu erwerbenden Güter zur Verfügung. Die Gesamtsumme ist in verschiedene Konsumbereiche unterteilt wie Lebensmittel, Kleidung, Kultur usw. Die Anteilsumme kann nach Belieben bis zur Höchstgrenze ausgeschöpft werden oder nicht. Jedoch kann er oder sie nicht einen Bereich gegenüber dem anderen bevorzugen, d.h. man kann z.B. nicht auf Bildung verzichten und dafür mehr Kleidung beziehen. Zum Menschsein gehören neben der Befriedigung der Grundbedürfnisse auch die der Kultur. Die Anteile gelten nur für ein Jahr, bei Nichtgebrauch verfallen sie. Sie können daher nicht über Jahre angespart werden.
Zu den gleichen Anteilen in der Zukunft muss beachtet werden, dass die Arbeitsausführung durch die Erweiterung von bisherig hochwertigen Tätigkeiten mit einfacheren Arbeiten und umgekehrt einfachere durch hochwertigere Tätigkeiten angeglichen wird. Außerdem wird nur noch gesellschaftlich notwendige Arbeit verrichtet, z.B. entfällt das heutige gesamte Finanzwesen.
Die scheinbar aufwändige Anmeldung der Bedarfe von Konsumenten und Produzenten und deren Zusammenfassung in einem Volkswirtschaftsplan hört sich sehr bürokratisch an und erinnert an unselige realsozialistische Zeiten. Der wesentliche Unterschied besteht jedoch darin, dass nicht irgendeine Parteibürokratie, sondern das Volk und ihre Räte den Produktionsumfang und -ablauf bestimmen. Und in einem Volk von ca. 50 Millionen müssen die Einzelinteressen und die der Gesamtheit sowie die Produktionsbedingungen und die Ökologie in einem feingliedrigen Abstimmungsprozess zum Ausgleich gebracht werden. Der bürokratische Aufwand kann mit der Zeit immer mehr zurückgefahren werden, denn für die Planvorgaben verfügt man von Jahr zu Jahr über mehr Erfahrung und Planungssicherheit. Außerdem gilt, je höher die Verantwortungsbereitschaft der einzelnen Mitglieder für das Ganze ist, umso weniger Regeln werden benötigt.
Dass eine weiterentwickelte Digitalisierung ihren hohen Anteil an der Datenverarbeitung hat, liegt auf der Hand. Diese kann jedoch nicht den gesellschaftlichen Diskussions- und Entscheidungsprozess ersetzen, den müssen die Menschen selber gestalten.
Auf einen wichtigen Bestandteil der partizipativen Demokratie soll noch hingewiesen werden, und zwar auf die wissenschaftlichen Beiräte. Diese haben die Aufgabe, die sich nicht vertretende Natur auf allen gesellschaftlichen Ebenen, u.a. auf jeder Ratsebene zu repräsentieren. Sie haben das Recht, Ratsentscheidungen mit ihrem Veto zu blockieren. Die Mitglieder der wissenschaftlichen Beiräte, die von den wissenschaftlichen Einrichtungen in einem Losverfahren ausgewählt werden, sind nicht in das Rätesystem eingebunden. Sie sind daher völlig unabhängig und nur der Umwelt verpflichtet.
Die zwei wesentlichen Bestandteile der künftigen Gesellschaft wirken sich auf das Zusammenleben ihrer Menschen aus. Zunächst ist für alle die gleiche Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen gewährleistet. Dies und die Basisdemokratie tragen zur Kooperation im Arbeitsleben, zum sozialen Miteinander im Allgemeinen und zur Solidarität im Besonderen bei. Und doch hat jede und jeder aufgrund ihrer/seiner materiellen Sicherheit die Möglichkeit sich selbst zu verwirklichen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die Gesellschaftsglieder sich ihrer Verantwortung gegenüber den Nächsten, der Gesellschaft und der Umwelt bewusst sind und danach handeln.
Mit diesen Ausführungen soll verdeutlicht werden, dass das TINA (There is no alternative) - Prinzip überholt ist. Es gibt zu unserer heutigen kapitalistischen Gesellschaftsordnung zumindest theoretisch Gegenentwürfe. Zwar kommen die heutigen Generationen aufgrund des gegenwärtigen individualistischen und vorteilsbehafteten allgemeinen Bewusstseins und Handelns nicht in den Genuss einer wie oben beschrieben künftigen Gesellschaftsordnung, diese muss erst in Etappen erarbeitet und erkämpft werden.
Der Entwurf soll eine Anregung für jeden und jede sein, sich Gedanken darüber zu machen und sich seine bzw. ihre Idealgesellschaft vorzustellen. Im Meinungsaustausch mit anderen können zukunftsfähige Ansätze gefunden werden. Und es muss heute nicht beim Träumen über „Wolkenkuckucksheime“ bleiben. Bereits heute können wir uns überlegen, welche Ansätze in unsere Gegenwart und nahe Zukunft übertragbar sind. So können künftige Modelle auf das Hier und Jetzt heruntergebrochen werden. Dies wurde bereits und wird immer wieder u.a. in selbstverwalteten Betrieben, autonomen Lebensgemeinschaften sowie durch Änderung individueller Lebensweisen, allerdings unter kapitalistischen Gesamtbedingungen, in sog. Nischen umgesetzt. Ebenfalls ein beeindruckendes Beispiel ist die Berliner Enteignungskampagne.
Aber auch gesellschaftliche Umwälzungen müssen in Betracht gezogen werden. Diejenigen, die eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus anstreben, müssen darauf vorbereitet sein. Hierzu zählen eine fundierte Analyse unserer heutigen Verhältnisse und eine entwicklungsfähige Strategie zu deren Überwindung. Zwar kann man diese Herangehensweise unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen als gewagt ansehen, aber allen Antikapitalisten müsste bewusst sein, dass der Kapitalismus letztendlich an seinen eigenen Widersprüchen scheitern wird. Wenn wir vom Ende her denken und eigene Denkblockaden überwinden, so werden Ziel und Weg zu einer neuen Gesellschaftsordnung klarer. Auch helfen uns die gewonnenen Erkenntnisse, den Einstieg in den Ausstieg aus dem Katastrophenkapitalismus zu benennen und zu begehen.
Wertebasierte Infrastruktur
Die EU konkretisiert ihr milliardenschweres Infrastrukturprogramm „Global Gateway“ mit mehreren „Leuchtturmprojekten“ und sucht sich insbesondere in Zentralasien als Konkurrentin zu China zu etablieren. Der chinesische Präsident Xi Jinping hatte im Jahr 2013 in Kasachstan das Großprojekt „One Belt, One Road“ („Neue Seidenstraße“) angekündigt. In den folgenden Jahren ist es der Volksrepublik gelungen, ihren Einfluss in Zentralasien erheblich auszubauen. Die EU will nun „nachhaltige Transportkorridore“ aus Europa in die Region errichten und nimmt zudem konkrete Vorhaben in einzelnen Ländern ins Visier. So will sie in Tadschikistan mit dem Rogun-Staudamm ein Schlüsselprojekt für die Energieversorgung des Landes zum Abschluss bringen. In Kasachstan wiederum zielt sie auf den Rohstoffsektor, während sie in der Mongolei die Stromversorgung unterstützen will. Brüssel bewirbt seine Projekte als „wertebasierte Infrastruktur“. Bei „Global Gateway“ handelt es sich bereits um den dritten Anlauf der EU, mit Hilfe von Infrastrukturprojekten ihren Einfluss in Zentralasien auf Kosten der angrenzenden Großmächte Russland und China auszubauen.
„Global Gateway“Im September 2021 beschloss die EU-Kommission unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen (CDU) das Programm „Global Gateway“. Bis zum Jahr 2027 sollen im Rahmen dieser Initiative rund 300 Milliarden Euro in die Infrastruktur verschiedener Länder in Afrika, Asien, Ozeanien, Südosteuropa sowie Süd- und Mittelamerika investiert werden. Die Initiative sei „stark von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geprägt“, hieß es jüngst in einem Pressebericht.[1] Im März dieses Jahres veröffentlichte die EU-Kommission nun „Leuchtturmprojekte“, auf die sie sich im Rahmen von „Global Gateway“ konzentrieren will. Mit Kasachstan, Tadschikistan und der Mongolei liegt einer der Schwerpunkte der EU-Initiative in Zentralasien.
Reaktion auf China
„Global Gateway“ gilt als eindeutig „geopolitisch geprägt“ und wird als „Gegeninitiative zur neuen chinesischen Seidenstraße“ eingestuft, dem 2013 vom chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping in Kasachstan vorgestellten Projekt „One Belt, One Road“.[2] Das Motto der Europäischen Union sei es, so wird behauptet, „(keine) Kreditfallen, keine politische Abhängigkeit“ zu schaffen.[3] In einer gemeinsamen Veröffentlichung verschiedener EU-Institutionen bewirbt die Union ihre Initiative als „wertebasierte Option für die Deckung ihres Infrastrukturbedarfs bieten“.[4]
Tadschikistan
Das wohl ambitionierteste „Leuchtturmprojekt“ der Initiative befindet sich in Tadschikistan. In dem von ständigem Strommangel geplagten Land wird seit 1976 der Rogun-Staudamm gebaut. Dieser soll mit aufgestautem Wasser des Flusses Wachsch, einem Nebenfluss des Amudarjas, Strom produzieren; er wäre nach der Fertigstellung die höchste Talsperre der Welt. Von Mitte der 1990er Jahre bis 2007 waren russische Konzerne am Bau des Staudamms beteiligt.[5] Derzeit ist der italienische Konzern Webuild mit dem Weiterbau der Talsperre beauftragt. Aufgrund von finanziellen Engpässen der tadschikischen Staats – er ist der ärmste unter den postsowjetischen Ländern – stockt der Bau aber immer wieder.[6] Sollte es der EU gelingen, den Staudamm mit ihren Mitteln fertigzustellen, wäre dies ein Punktsieg im geostrategischen Ringen um Einfluss in Zentralasien. Bislang spielt die EU im tadschikischen Außenhandel nur eine geringe Rolle. Laut Daten der Asiatischen Entwicklungsbank (Asian Development Bank, ADB) gingen im Jahr 2021 die meisten tadschikischen Exporte nach Kasachstan, die zweitmeisten in die Türkei. Bei den Importen führte Russland vor Kasachstan.[7] Trotz Tadschikistans gemeinsamer Grenze mit China spielt die Volksrepublik wirtschaftlich keine herausragende Rolle in dem Land – und dies sucht die EU sich nun offenkundig zunutze zu machen, indem sie sich des Schlüsselprojektes Rogun-Staudamm annimmt. Deutschland nimmt darüber hinaus bei der Entwicklungshilfe für Tadschikistan und als Schwerpunkt-Exilort der tadschikischen Opposition einen wichtigen Stellenwert ein.[8]
Kasachstan
Mit Kasachstan sucht die EU-Kommission im Rahmen von „Global Gateway“ eine Kooperation in den Bereichen Rohstoffe, Batterien und grüner Wasserstoff zu etablieren. Obwohl Kasachstan gemeinsam mit Belarus und Russland Teil der Eurasischen Wirtschaftsunion ist, ist es wirtschaftlich eng an die EU angebunden. Aufgrund seines hauptsächlich nach Westen ausgerichteten Gasexports gingen im Jahr 2021 nach ADB-Angaben in etwa so viele Exporte in die EU (hauptsächlich Italien, Niederlande und Frankreich) wie nach Russland und China zusammen. Bei den Importen dominierte zwar Russland, doch stand Deutschland auf der kasachischen Einfuhrstatistik bereits auf dem vierten Platz.[9] Für die Bundesrepublik ist das flächenmäßig größte Land Zentralasiens einer der wichtigsten Erdöllieferanten. Seit 2012 besteht eine „Rohstoffpartnerschaft“ zwischen Berlin und Astana – eine von mehreren deutsch-kasachischen Kooperationsformaten.[10]
Mongolei
Ein weiteres Zielland der „Global Gateway“-Initiative ist die zwischen Russland und China gelegene Mongolei, laut der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe eines der „rohstoffreichsten Ländern der Erde“.[11] Dort will die EU-Kommission eine 220 Kilometer lange Strom-Übertragungsleitung von Tschoir nach Sainschand im Südosten des Landes fördern. Darüber hinaus soll eine Partnerschaft im Bereich Forstwesen entstehen. Aus der Mongolei gingen im Jahr 2021 drei Viertel aller Exporte nach China; weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz der Ausfuhrstatistik landete laut der ADB die Schweiz. Bei den Importen dominierten China und Russland.[12] In der mongolischen Wirtschaft spielte Deutschland nie eine bedeutende Rolle. Ulan Bator ist aber ein Fokus der parteinahen deutschen Stiftungen sowie von offiziellen Organisationen wie der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der BGR. Im vergangenen Jahrzehnt zeigte die Bundeswehr in der Mongolei darüber hinaus durch einen Ausbildungseinsatz Präsenz.[13]
Zentralasien allgemein
Neben den länderfokussierten Ansätzen will die EU-Kommission im Rahmen von „Global Gateway“ in Zentralasien allgemein eine bessere Satellitenanbindung sowie Bodenstationen für Satellitensysteme und Datenzentren fördern. Darüber hinaus sollen „nachhaltige Transportkorridore“ zwischen der Region und Europa errichtet werden. Im Frühjahr dieses Jahres hatte ein Arbeitskampf usbekischer Lastwagenfahrer auf einer Raststätte nahe der hessischen Stadt Darmstadt die mediale Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass EU-Transportkonzerne auf zentralasiatische Lkw-Fahrer setzen, um Güter innerhalb der EU, aber auch zwischen der EU und Zentralasien zu transportieren.[14] Längst gibt es durchgehende Straßen aus der EU direkt ins Innere Asiens: So führt die Europastraße 40, die längste der sogenannten Europastraßen, aus Deutschland über Usbekistans bis in den Osten Kasachstans.
Der dritte AnlaufBereits in den 1990er und den 2010er Jahren gab es Anläufe der Europäischen Union, mit Hilfe von Infrastrukturprojekten in Zentralasien an Einfluss zu gewinnen. 1992/1993 startete sie das Projekt TRACECA, für das jedoch anfangs nur wenig Finanzmittel im EU-Budget vorgesehen waren. Mit einer im Jahr 1998 von der EU-Kommission organisierten Konferenz in Baku, der Hauptstadt des autoritär regierten Aserbaidschans, sollte das Projekt mehr Aufmerksamkeit und mehr Finanzmittel erhalten. Die Tagung stand unter dem Motto „Restauration der Historischen Seidenstraße“.[15] Ursprünglich lag der Schwerpunkt des Programms auf Transportinfrastruktur wie Eisenbahnlinien, Häfen und Straßen. Auf der Konferenz in Baku im Jahr 1998 gelang es der aserbaidschanischen Regierung, Fragen des Gas- und Öltransports stärker in den Fokus zu rücken.[16] Ein von der EU kofinanziertes Sekretariat nahm 2001 in Baku seine Arbeit auf. Die Initiative verlief allerdings letztlich im Sande.[17] 2018 versuchte Brüssel es kurzzeitig mit einer neuen „EU-Asien-Konnektivitätsstrategie“, von der es mittlerweile heißt, sie habe „nie richtig Fahrt auf[genommen]“.[18] Mit „Global Gateway“ gibt es nun den dritten Anlauf der EU, in der Region stärker Fuß zu fassen. Mit dem Fokus auf Rohstofffragen fügt sich die Initiative in die deutsche Außenpolitik in der Region ein.
[1] Tobias Schwab: EU-Antwort auf Chinas „Seidenstraße“: Global Gateway-Initiative nimmt Gestalt an. fr.de 02.06.2023.
[2] Andrea Sellmann, Mary Abdelaziz-Ditzow: Wie „Global Gateway“ China Konkurrenz macht. capital.de 11.02.2023.
[3] Christiane Kühl: Global Gateway: EU will mehr Einfluss durch strategische Investitionen – Antwort auf Chinas Seidenstraße. merkur.de 23.01.2022.
[4] Gemeinsame Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank: Global Gateway, eur-lex.europa.eu 01.12.2021.
[5] Russia's Central Asia Energy Strategy Experiences a Few Setbacks. eurasianet.org 11.05.2007.
[6] Tajikistan: Families freeze while energy independence chimera remains ever distant. eurasianet.org 14.12.2022.
[7] Key Indicators for Asia and the Pacific 2022: Tajikistan. adb.org 24.08.2022.
[8] S. dazu Frischer Wind auf der Seidenstraße (II).
[9] Key Indicators for Asia and the Pacific 2022: Kazakhstan. adb.org 24.08.2022.
[10] S. dazu Militärtransporter für Kasachstan
[11] Mongolei – Beratung für ein nachhaltiges Rohstoffmanagement. bgr.bund.de (ohne Datum).
[12] Key Indicators for Asia and the Pacific 2022: Mongolia. adb.org 24.08.2022.
[13] S. dazu Starke Präsenz, wenig Geschäfte
[14] Gregor Haschnik: Aufstand der Ausgebeuteten. fr.de 31.03.2023
[15] Samuel James Lussac: Ensuring European Energy Security in Russian ‘Near Abroad’: The Case of the South Caucasus, in: European Security, Jg. 19 (2010), Nr. 4, S. 607–625 (hier: S. 610).
[16] Flemming Splidsboel-Hansen: GUUAM and the Future of CIS Military Cooperation, in: European Security, Jg. 9 (2000), Nr. 4, S. 92–110 (hier: S. 100).
[17] Jörg Kronauer: EU fordert China heraus, in: junge Welt, 28.09.2018.
[18] Christiane Kühl: Global Gateway: EU will mehr Einfluss durch strategische Investitionen – Antwort auf Chinas Seidenstraße. merkur.de 23.01.2022.
Leitlinie »feministische Außenpolitik« – oder die Quadratur des Kreises?
"Klima-RAF"?! Erschreckend ist vor allem der Umgang mit der Letzten Generation
RCEP - das Abkommen für eine multipolare Wirtschaftspartnerschaft tritt in Kraft
Auf den Philippinen ist in den vergangenen Maitagen das von 15 Mitgliedern ratifizierte Abkommen einer regionalen umfassenden Wirtschaftspartnerschaft (Regional Comprehensive Economic Partnership, RCEP) in Kraft getreten.[1]
Für die beteiligten Staaten bedeutet dies eine neue Stufe der vollständigen Umsetzung der Freihandelszone, die 30 Prozent der Weltbevölkerung, mit anderen Worten 2, 2 Mrd. Menschen abdeckt und 30 Prozent des Wirtschafts- und Handelsvolumens der Welt ausmacht. Die Freihandelszone gilt als die Freihandelszone mit dem stärksten Entwicklungspotential, von der ein neuer Schwung für die Weltwirtschaft erwartet werden kann.
Es handelt sich bei der nach den Grundsätzen einer multipolar konzipierten Wirtschafts-partnerschaft um eine Freihandelszone, die mit allen 15 Mitgliedsländern, unabhängig ihrer aktuellen politischen Disposition, auf Augenhöhe besteht. Die jeweiligen nationalen Zolltarife der Teilnehmerstaaten haben zwar für eine Übergangsphase noch Bestand, aber die bestehenden Zölle zwischen den RCEP-Ländern werden für Ursprungserzeugnisse der beteiligten Länder abgebaut.
Zwischen den ASEAN-Staaten gibt es bislang bereits so gut wie keine Zölle. Auch die bestehenden Wirtschaftsbeziehungen zu Drittstaaten beruhen im Rahmen der RCEP-Vereinbarung auf niedrigen Zolltarifen.
Der größte ökonomische Gewinn für die Mitglieder des RCEP ist offenbar die Senkung der Zölle auf Produkte, die innerhalb des Handelsblocks bezogen werden. Das Abkommen enthält Regelwerke für zwanzig Bereiche. Ursprungsländer werden klar definiert, was den Warenfluss unter den beteiligten Ländern vereinfacht. Damit wird ein Anreiz für die RCEP-Mitglieder geschaffen, innerhalb des definierten Wirtschaftsraumes Waren freier zu beschaffen und generell freien Handel untereinander zu betreiben.[2]
Analysten verschiedener Wirtschaftsinstitutionen zufolge wird der offene und integrative Pakt zur langfristigen regionalen und globalen wirtschaftlichen Stabilität und Entwicklung beitragen und insbesondere der regionalen Wirtschaftsintegration neuen Schwung verleihen. Die 15 Mitgliedsländer (VR China, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland und den zehn Staaten des ASEAN-Bündnisses)[3] haben bereits vor dem jetzt vollständigen Inkrafttreten des Abkommens, einschließlich des zunächst letzten Beitrittskandidaten Philippinen, Maßnahmen umgesetzt, um ein offenes, freies, faires, inklusives und regelbasiertes multilaterales Handelssystem zu unterstützen. Dabei haben sich die Wirtschaftspartner - auch über weiterhin fortbestehende politisch-ideologische Grenzen hinweg - auf eine hochrangige Wirtschaftspartnerschaft und Zusammenarbeit gemeinsam verpflichtet.[4]
Das betrifft insbesondere die Öffnung der Waren-, Dienstleistungs- und Investitionsmärkte sowie die vereinbarten Regeln in verschiedenen Sektoren, die den freien Fluss von Produktionselementen in der Region, einschließlich Rohstoffen, Produkten, Technologie, Talenten, Kapital, Informationen und Daten, umsetzen und fortschreiben sollen.
Nach den Angaben des IHK, Stuttgart sind die RCEP-Länder eine wichtige Quelle für geistiges Eigentum. Im Jahr 2019 kamen nach Informationen der WIPO (Weltorganisation für geistiges Eigentum) von den über drei Millionen weltweiten Patentanmeldungen mehr als zwei Drittel aus RCEP-Ländern. Dieser Logik folgend sind auch Schutzrechte zum geistigen Eigentum in dem Abkommen verankert, mit dem Ziel, eine wirksame regionale Zusammenarbeit unter der Einhaltung eines gemeinsames Schutzniveaus und deren Einhaltung zu schaffen.
Das Abkommen enthält ein umfangreiches Kapitel mit Regelungen insbesondere zu Urheberrechten, Marken, geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen, Gebrauchsmustern und Designs, Patenten und dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen.
Als Minimalstandard wird dabei auf das TRIPS-Abkommen der WTO (Trade Related Aspects of Intellectual Property) Bezug genommen. an einigen Stellen geht das RCEP jedoch über das Schutzniveau von TRIPS hinaus, beispielsweise im Bereich des digitalen Urheberrechts.[5]
Die RCEP-Staaten sind nach Einschätzung von IHK als wirtschaftlicher Interessensverband. wichtige Handelspartner der EU. Bereits im Jahr 2019 seien 20 Prozent der EU-Exporte in RCEP-Länder gegangen.[6] Auf die RCEP-Staaten wird bis im Jahr 2030 ein Anteil des weltweiten BIP von 50 % entfallen.[7] Der asiatisch-pazifische Raum gilt vor allem als ein wichtiger Absatzmarkt für technisch anspruchsvolle Güter. Für die EU könnte das Abkommen eine Herausforderung in ihrer bisher wettbewerbsstarken Position technischer Güter bedeuten, da mit reduzierten Handelsbarrieren zwischen den RCEP-Mitgliedsländern Handelsströme umgelenkt werden können.[8]
Die Produktion und der Handel innerhalb der RCEP-Region würde im Gegensatz zum Import in die RCEP-Länder günstiger werden: mithilfe des Abkommens können deutsche Unternehmen zollfrei in die Region exportieren. Voraussetzung ist, dass Unternehmen im Hoheitsgebiet der Vertragspartner produzieren und die Ursprungsvorschriften einhalten. RCEP dient als zusätzliches Instrument im internationalen Handel. Auch auf Bundesebene wird laut der IHK das Abkommen grundsätzlich als positive Entwicklung angesehen. Demgegenüber sei die Stärkung der regionalen Integration durch RCEP durchaus als ein Beitrag zur international regelbasierten Wirtschaftsordnung zu verstehen.
Gerade in der jetzigen Zeit, die von Handelskonflikten und protektionistischen Tendenzen geprägt ist, sei der Austausch nach den IHK-Meinungen besonders wichtig. An und für sich können auch europäische Unternehmen, die im Indo-Pazifischen-Raum tätig sind, von RCEP profitieren. Zollabbau und der Abbau von regulatorischen Handelshemmnissen könne ihnen erlauben, Produktion und Lieferketten zu diversifizieren, was den Konsumenten in Europa zugutekäme.
Die pragmatische Erkenntnis von Wirtschaftsverbänden und Unternehmen steht dabei der politisch gewollten und protektionistisch verfolgten US-Wirtschaftspolitik und ihrer hegemonialen Intention in Asien diametral entgegen. Wenn man das außenpolitische Agieren der deutschen Bundesregierung verfolgt, so stehen die neo-konservativen interventionistischen Belehrungen, wie sich die asiatischen Länder zu verhalten hätten ganz im Einklang der von den USA verfolgten Asien-Politik.
Aber mit Verweis auf die grundsätzlich multilaterale Ausrichtung des RCEP zeigt sich beispielhaft an den zuletzt beigetretenen Philippinen, die sich auch auf die guten Beziehungen zu den USA berufen, dass „… die fruchtbaren Ergebnisse im Zusammenhang mit der regionalen Wirtschaftsintegration im Rahmen des RCEP im vergangenen Jahr von dem südostasiatischen Land (Philippinen) anerkannt wurden".[9]
Die Senkung der Handelskosten, die Erleichterung der Integration von Lieferketten und den Nutzen für die Volkswirtschaften sowie erzielte Dividenden werden von den Partnerländern der Region als die herausragenden Vorteile durch das RCEP-Abkommen betont.
Die Vereinbarungen und Umsetzungen des RCEP-Pakts haben elementar zur Erholung der asiatisch-pazifischen Wirtschaft beigetragen und den starken Gegenwind durch die schleppende globale Nachfrage, den Russland-Ukraine-Konflikt und die aggressiven US-Zinserhöhungen ausgeglichen.
Nach den Angaben des MOFCOM, Ministry of Commerce People´s Republic of China hat das Außenhandelsvolumen zwischen China und anderen RCEP-Mitgliedern im Jahr 2022 mit einem Anstieg von 7,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr ein Volumen von 1,83 Billionen US-Dollar erreicht; das entspricht etwa einem Drittel des gesamten chinesischen Außenhandels. [10]
Als ein offenes System bietet das RCEP auch weiteren Volkswirtschaften die Partnerschaft bzw. die Integration an, um gerade für die Zukunftsbereiche der digitalen Wirtschaft, des grenzüberschreitenden Handels und der grünen Wirtschaft" im internationalen Maßstab zur Stabilität der Weltwirtschaft beizutragen.
Auch Indien stünde eine Rückkehr in die Wirtschaftspartnerschaft offenstehen.[11
Indien kehrte Ende 2019 dem weltgrößten Handelspakt den Rücken.
Während das weltweit größte Freihandelsabkommen in Kraft tritt, verstärken die USA die Eindämmung Chinas, um ihre Präsenz in der asiatisch-pazifischen Region durch das Indo-Pacific Economic Framework for Prosperity (IPEF) auszuweiten.
Es handelt sich dabei um ein unilaterales, auf die hegemoniale und wirtschaftliche Vormachtstellung der USA pochende Gegengebilde. Unschwer ist im Rahmen der Auseinandersetzung zwischen den USA und China auch das IPEF als eine der vielen Maßnahmen zu interpretieren, die wirtschaftliche Schaffenskraft und multilaterale chinesische Politik einzudämmen. [12]
Das Ende Mai erfolgte Ministertreffen der beteiligten IPEF in Detroit, USA diente insbesondere dem Zweck, eine Vereinbarung zur Stärkung der Zusammenarbeit in der Lieferkette für wichtige Materialien und Produkte zu treffen, um die Abhängigkeit von China zu verringern.
Das im Mai 2022 ins Leben gerufene, von den USA dominierte IPEF umfasst vor allem Nachbarländer Chinas, wie einige Mitglieder der ASEAN, Chinas größtem Handelspartner, und plant Vereinbarungen in vier Bereichen, darunter Handel, Lieferketten, grüne Wirtschaft und die so genannte "faire" Wirtschaft.
Im Gegensatz zu einer Win-Win-Kooperation und dem auf Marktregeln basierenden RCEP sei das IPEF eine einseitige Vereinbarung, die von den USA dominiert werde, um China einzudämmen, und die USA andere Volkswirtschaften mit finanzieller Hegemonie, Monopolen und anderen Drohungen unter Druck setzten, ihre Bedingungen zu akzeptieren. [13]
Das nächste Ziel der RCEP-Mitglieder sei, so die Aussage der Teilnehmer bei der Unterzeichnung des RCEP-Abkommens, unbeirrt durch die politisch-ökonomischen Gegenströme, die Umsetzung der RCEP-Freihandelsregeln zu beschleunigen und den intraregionalen Handelsaustausch zu forcieren.
[1] https://www.globaltimes.cn/page/202306/1291861.shtml
[2] https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5020-rcep
[3] ASEAN-Staaten: Es handelt sich um einen Staatenverbund Südostasiatischer Nationen, der aus Indonesien, Malaysia, Singapur, Philippinen, Thailand, Brunei, Vietnam, Laos, Myanmar und Kambodscha besteht.
https://www.bmz.de/de/service/lexikon/vereinigung-suedostasiatischer-laender-asean-14926
[4] ebd.; MOFCOM, Ministry of Commerce People´s Republic of China
[5] https://www.ihk.de/stuttgart/fuer-unternehmen/international/import-export/warenursprung/zollvorteile-praeferenzen/handelsabkommen/rcep-handelsabkommen-5570158
[6] ebd.
[7] https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2021/heft/6/beitrag/das-rcep-abkommen-und-dessen-bedeutung-fuer-die-eu.html
[8] http://www.glo.com.cn/en/Professionals/DemingZhao.html
[9] Da Zhigang, Direktor des Instituts für nordostasiatische Studien an der Akademie für Sozialwissenschaften der Provinz Heilongjiang, zitiert nach https://www.globaltimes.cn/page/202306/1291861.shtml
[10] ebd.
[11] https://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-indiens-absage-an-den-freihandelspakt-rcep-spielt-china-in-die-haende/25191822.html
[12] Wolfgang Müller: China: neuer Hauptfeind des Westens? , VSA-Verlag, Hamburg 2023, insbes, Kap. 4 und 5
[13] https://www.globaltimes.cn/page/202305/1290738.shtml?id=11
Leo Tolstoi: Das Gesetz der Gewalt und die Vernunft der Liebe
Großmanöver Air Defender 2023
Einkommen, Vermögen, Reichtum, Armut – Themen, über die wir uns dringend offen austauschen müssen.
Geld – wir alle brauchen es, aber kaum jemand redet drüber. Auf Arbeit, im Freundeskreis oder in den Medien. Wie viel wir verdienen und was wir besitzen, sind Tabuthemen. Zu Unrecht, meint Marius Busemeyer. Der Politikwissenschaftler findet, wir sollten reden – übers Geld, Reichtum und soziale Ungleichheit; in den Schulen, an den Universitäten, auch in der Politik.
Busemeyer ist Professor an der Universität Konstanz. Er und sein Team veröffentlichten vor kurzem das sogenannte Konstanzer Ungleichheitsbarometer. Das zeigt, wie wir Deutschen Ungleichheit empfinden. Also, wo stehen wir gefühlt wirtschaftlich im Vergleich zu anderen?
Die Studie belegt, wir nehmen Einkommens- und Vermögensungleichheit verzerrt wahr: Sehr reiche Menschen machen sich oft ärmer, als sie sind. Das heißt, auf der ökonomischen Leiter stehen sie gefühlt niedriger, als sie es wirklich tun. Sie zählen sich zur Mittelschicht, sind aber Teil der oberen Zehntausend.
Ähnliches gilt für Menschen mit niedrigem Einkommen. Sie überschätzen oft ihre relative Position.
„Insgesamt ordnen sich also wesentlich mehr Befragte der Mittelschicht zu als objektiv gerechtfertigt“, schlussfolgert die Studie. Ob arm oder reich, in Deutschland fühlen wir Mitte. Gründe gibt es viele: Sozialblasen, Informationslücken und unsichtbares Vermögen. Sie alle führen zu subjektiven Fehleinschätzungen zum Ausmaß von Ungleichheit. Das hat Folgen für die Politik.
Es sei bezeichnend, meint Busemeyer in einem Interview mit der Zeit, dass „zwei der aktuell drei Regierungsparteien in ihren Wahlprogrammen die Einführung einer Vermögenssteuer und die Reform der Erbschaftssteuer fordern, aber das im Regierungsalltag keine Rolle spielt“. Dabei gehe es doch um Fragen sozialer Gerechtigkeit, meint er, und die geht uns alle an.
Wir brauchen mehr öffentliche Debatte übers GeldErst der Verteilungsbericht 2022 des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zeigte, dass die ökonomische Ungleichheit in Deutschland weiter zunimmt. Trotzdem wissen wir von Einkommensungleichheit wenig, von ungleicher Vermögensverteilung fast nichts. 41,6 Prozent des gesamten Vermögens hierzulande gehören den „oberen 5 Prozent“ – die haben mit der Mittelschicht also nichts zu tun. Gleichzeitig, so Busemeyer, wählen Geringverdiener:innen gegen ihre Interessen, wenn sie ihre wirtschaftliche Position überschätzen. Beispielsweise, wenn sie befürchten, bei der Reichensteuer selbst zahlen zu müssen. Dann sitzt die Angst finanzieller Verluste tief, die Tabuthemen Geld und Vermögen aber sitzen tiefer.
Deshalb brauchen wir mehr öffentliche Debatte – übers liebe Geld und ungleiches Vermögen. Denn vom ungleichen Leben unserer Mitmenschen bekommen wir kaum etwas mit, auch nicht in den Medien. Dort bleibt Reichtum sexy, und Armut scheint ein Problem obdachloser Menschen – die Grautöne dazwischen gehen im konsumgeilen Medien- und Wirtschaftswahn oft unter. Wie aber sieht der Alltag eines Firmenchefs aus, wie der einer alleinerziehenden Mutter in Berlin? Wie bezahlen beide ihren Wohnraum? Was nehmen beide als selbstverständlich hin? Fragen wie diese sind wichtig. Sie zeigen: Weder Armut noch Reichtum sind abstrakte Tabuthemen. Sie sind greifbare Lebenswelten in Grau. Durch ihre Alltäglichkeiten können Medien zeigen, wie bunt unsere Gesellschaft wirklich ist.
Erstveröffentlichung in Berliner Zeitung, 23.05.2023
Mehr zum Thema
Einkommen, Vermögen, Reichtum, Armut – Themen, über die wir uns dringend offen austauschen müssen.
Geld – wir alle brauchen es, aber kaum jemand redet drüber. Auf Arbeit, im Freundeskreis oder in den Medien. Wie viel wir verdienen und was wir besitzen, sind Tabuthemen. Zu Unrecht, meint Marius Busemeyer. Der Politikwissenschaftler findet, wir sollten reden – übers Geld, Reichtum und soziale Ungleichheit; in den Schulen, an den Universitäten, auch in der Politik.
Busemeyer ist Professor an der Universität Konstanz. Er und sein Team veröffentlichten vor kurzem das sogenannte Konstanzer Ungleichheitsbarometer. Das zeigt, wie wir Deutschen Ungleichheit empfinden. Also, wo stehen wir gefühlt wirtschaftlich im Vergleich zu anderen?
Die Studie belegt, wir nehmen Einkommens- und Vermögensungleichheit verzerrt wahr: Sehr reiche Menschen machen sich oft ärmer, als sie sind. Das heißt, auf der ökonomischen Leiter stehen sie gefühlt niedriger, als sie es wirklich tun. Sie zählen sich zur Mittelschicht, sind aber Teil der oberen Zehntausend.
Ähnliches gilt für Menschen mit niedrigem Einkommen. Sie überschätzen oft ihre relative Position.
„Insgesamt ordnen sich also wesentlich mehr Befragte der Mittelschicht zu als objektiv gerechtfertigt“, schlussfolgert die Studie. Ob arm oder reich, in Deutschland fühlen wir Mitte. Gründe gibt es viele: Sozialblasen, Informationslücken und unsichtbares Vermögen. Sie alle führen zu subjektiven Fehleinschätzungen zum Ausmaß von Ungleichheit. Das hat Folgen für die Politik.
Es sei bezeichnend, meint Busemeyer in einem Interview mit der Zeit, dass „zwei der aktuell drei Regierungsparteien in ihren Wahlprogrammen die Einführung einer Vermögenssteuer und die Reform der Erbschaftssteuer fordern, aber das im Regierungsalltag keine Rolle spielt“. Dabei gehe es doch um Fragen sozialer Gerechtigkeit, meint er, und die geht uns alle an.
Wir brauchen mehr öffentliche Debatte übers GeldErst der Verteilungsbericht 2022 des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zeigte, dass die ökonomische Ungleichheit in Deutschland weiter zunimmt. Trotzdem wissen wir von Einkommensungleichheit wenig, von ungleicher Vermögensverteilung fast nichts. 41,6 Prozent des gesamten Vermögens hierzulande gehören den „oberen 5 Prozent“ – die haben mit der Mittelschicht also nichts zu tun. Gleichzeitig, so Busemeyer, wählen Geringverdiener:innen gegen ihre Interessen, wenn sie ihre wirtschaftliche Position überschätzen. Beispielsweise, wenn sie befürchten, bei der Reichensteuer selbst zahlen zu müssen. Dann sitzt die Angst finanzieller Verluste tief, die Tabuthemen Geld und Vermögen aber sitzen tiefer.
Deshalb brauchen wir mehr öffentliche Debatte – übers liebe Geld und ungleiches Vermögen. Denn vom ungleichen Leben unserer Mitmenschen bekommen wir kaum etwas mit, auch nicht in den Medien. Dort bleibt Reichtum sexy, und Armut scheint ein Problem obdachloser Menschen – die Grautöne dazwischen gehen im konsumgeilen Medien- und Wirtschaftswahn oft unter. Wie aber sieht der Alltag eines Firmenchefs aus, wie der einer alleinerziehenden Mutter in Berlin? Wie bezahlen beide ihren Wohnraum? Was nehmen beide als selbstverständlich hin? Fragen wie diese sind wichtig. Sie zeigen: Weder Armut noch Reichtum sind abstrakte Tabuthemen. Sie sind greifbare Lebenswelten in Grau. Durch ihre Alltäglichkeiten können Medien zeigen, wie bunt unsere Gesellschaft wirklich ist.
Erstveröffentlichung in Berliner Zeitung, 23.05.2023
Mehr zum Thema
Könnte es sein, dass nicht die Klima-Aktivisten "bekloppt" sind, sondern der Bundeskanzler?
Ukraine: Oberster Gerichtshof ordnet Freilassung des Kriegsdienstverweigerers Vitaly Alekseenko an
Onlineveranstaltung: Air Defender 2023
BE Strong?
Wo werden eigentlich – und zu wessen Gunsten – Tarifverträge gemacht?
Den Beschäftigten insgesamt droht als Folge der niedrigen Tarifabschlüsse der führenden Gewerkschaften 2024 gegenüber 2023 ein spürbarer Reallohnverlust. Mit Sonderzahlungen wurden niedrigere sozialversicherungspflichtige Lohnerhöhungen ermöglicht. Es ist außerdem untragbar, Einkommenserhöhungen von erwerbstätigen Lohnabhängigen mit Verschlechterungen bei nicht erwerbstätigen Lohnabhängigen zu finanzieren. Gewerkschaften, die das tun, spalten die Lohnabhängigen und handeln unsolidarisch.
Die diesjährige Tarifrunde begann im Kanzleramt. Im Juni 2022 schlug Olaf Scholz aufgrund der krisenhaften Wirtschaftssituation steuerfreie Einmalzahlungen durch die Arbeitgeber vor – als Ausgleich für die überall steigenden Kosten. Im Gegenzug sollten die Gewerkschaften auf einen Teil der Lohnsteigerungen verzichten. Die Wirtschaft begrüßte dies, aber selbst Ökonomen widersprachen. So sagte der Direktor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratscher: „Höhere Löhne sind der einzige nachhaltige Weg, wie Menschen mit geringem Einkommen dauerhaft höhere Preise für Energie und Lebensmittel verkraften können.“
Auch die Gewerkschaften haben die Scholz’sche Idee anfangs zurückgewiesen. Der Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, sagte: „Tarifverhandlungen werden nicht im Kanzleramt geführt. Über Ziele unserer Tarifpolitik entscheidet nicht die Politik, sondern die Tarifkommissionen und Gremien der IG Metall.“ (Die Zeit vom 2. Juni 2022) Frank Werneke erklärte für Ver.di: „Einmalzahlungen bringen nicht weiter.“ (Süddeutsche Zeitung vom 27. Juni 2022)
Kurz danach lud Olaf Scholz Unternehmerverbände und Gewerkschaften zur konzertierten Aktion. Dort wurde sein Plan weiterverfolgt und um Freistellung von Sozialversicherungsbeiträgen ergänzt, mit dem Ergebnis, dass der Bundestag Anfang November im Rahmen eines Entlastungspakets die Möglichkeit zu Sonderzahlungen beschloss. „Der Bund ist bereit, bei zusätzlichen Zahlungen der Unternehmen an ihre Beschäftigten einen Betrag bis zu 3.000 Euro von der Steuer und den Sozialversicherungsabgaben zu befreien.“ Diese Möglichkeit gilt bis Ende 2024.
Die Inflationsrate in Deutschland lag 2022 gegenüber dem Vorjahr bei 7,9 Prozent (Destatis, Pressemitteilung Nr. 022 vom 17. Januar 2023). Extrem gestiegen waren die Preise für Energie (34,7 Prozent) und Nahrungsmittel (13,4 Prozent). Da diese beiden Ausgaben Arbeitnehmerhaushalte mit unterdurchschnittlichem Einkommen stärker belasten, beträgt die Inflationsrate für diese Gruppe vermutlich mindestens 9 Prozent.
Auch 2023 bleibt die Inflationsrate hoch. Im April lag sie gegenüber dem Vorjahresmonat bei 7,2 Prozent. Experten erwarten im Jahr 2023 keinen grundlegenden Rückgang. Deswegen kann auch 2023 für unterdurchschnittlich verdienende Haushalte von Preissteigerungen in Höhe von 8 Prozent ausgegangen werden.
Die großen Gewerkschaften haben in vollem Umfang die Sonderzahlungen in Anspruch genommen und sich mit relativ geringen tariflichen Lohnerhöhungen zufriedengegeben. Das sind die Ergebnisse:
In der Chemieindustrie steigen die Löhne zum 1. Januar 2023 um 3,5 Prozent und ab 1. Januar 2024 nochmals um 3,5 Prozent.
In der Metallindustrie steigen die Löhne ab Juni 2023 um 5,2 Prozent und ab Mai 2024 um 3,3 Prozent bei einer Laufzeit von 24 Monaten.
Ver.di vereinbarte für 2023 eine Nullrunde. Ab 1. März 2024 steigen die Tabellenlöhne um einen Sockelbetrag von 200 Euro und darauf um 5,5 Prozent. Die Laufzeit des Tarifvertrags beträgt ebenfalls 24 Monate.
Alle Vollzeitbeschäftigten, für die diese Tarifverträge gelten, erhalten 3.000 Euro als Sonderzahlungen.
Besonders negativ wirken sich die langen Laufzeiten aus. Berechnet man die tariflichen Lohnsteigerungen auf 24 Monate, ergeben sich bei der IG Chemie 3,5 Prozent, bei der IG Metall 3,6 Prozent und bei Ver.di 4,6 Prozent. Sollte die Inflationsrate 2023 nicht zurückgehen, sind auch für die tarifgebundenen Erwerbstätigen dieser Branchen Reallohnverluste um 4 Prozent zu erwarten.
Die Gewerkschaften haben es nur mit Hilfe von Sonderzahlungen geschafft, die Inflation für ihre Mitglieder für das Jahr 2022 annähernd auszugleichen. Doch diese Methode bringt längerfristig Reallohnverluste für ihre Mitglieder und andere Arbeitnehmergruppen und schadet vor allem den Rentnerinnen und Rentnern stark.
„Nachhaltig“ ist eines der Lieblingsworte bei der Bewertung der Tarifabschlüsse durch die Beteiligten. Davon kann jedoch keine Rede sein.
Der Preis für die sozialversicherungsfreien Sonderzahlungen von 3.000 Euro sind Beitragsausfälle der Sozialversicherungen von 1.200 Euro pro Person, da Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge entfallen. Für den Einzelnen wirkt die Sonderzahlung als Lohnerhöhung. Für Industriekonzerne führt der Wegfall von Arbeitgeberbeiträgen zu höheren Profiten. Den Sozialversicherungen aber fehlen im Jahr 2023 bei 7,2 Millionen Beschäftigten der genannten drei Branchen dadurch 6,64 Milliarden Euro. Für die Rentenversicherung ergibt sich ein Ausfall von ca. 3,05 Milliarden Euro, den Krankenversicherungen fehlen 2,39 Milliarden Euro, der Pflegeversicherung 500 Millionen Euro und der Arbeitslosenversicherung 427 Millionen Euro. Der Staat verzichtet darüber hinaus auf Steuereinnahmen von ca. 3,6 Milliarden Euro.
Die Sonderzahlungen sollten hohe Lohnabschlüsse vermeiden. Sie sind eine Lohnsubvention des Staates und der Sozialversicherungen für die Unternehmer.
Folgen für andere ArbeitnehmerDie Tarifabschlüsse der großen Gewerkschaften sind die höchsten aller Branchen und haben Richtungsfunktion. Die Abschlüsse aller anderen Branchen, seien sie tarifgebunden oder nicht, liegen darunter. Die Unternehmer in diesen Bereichen werden die niedrigen tariflichen Abschlüsse der großen Gewerkschaften dazu nutzen, um die Löhne zu drücken. Auch sie werden die Möglichkeit von Sonderzahlungen nutzen, um lineare Lohnerhöhungen zu vermeiden, aber keineswegs im vollen Umfang von 3.000 Euro. Dadurch gibt es weitere erhebliche Ausfälle bei den Sozialversicherungen und den Finanzämtern. Es ist skandalös, dass Tarifverträge abgeschlossen werden, die große Löcher in die Einnahmen der Sozialversicherungen reißen, obwohl deren Krise bekannt ist. Stellt man alle Sonderzahlungen und die dadurch ermöglichten niedrigeren sozialversicherungspflichtigen Lohnerhöhungen in Rechnung, handelt es sich um Ausfälle im zweistelligen Milliardenbereich.
Den Beschäftigten insgesamt droht als Folge der niedrigen Tarifabschlüsse der führenden Gewerkschaften 2024 gegenüber 2023 ein spürbarer Reallohnverlust. „Nach einer Inflationsrate von acht Prozent 2022, sechs Prozent 2023 und drei Prozent 2024 werden die Löhne im Öffentlichen Dienst am Ende zirka sechs Prozent weniger Kaufkraft haben, sagte der DIW-Präsident Marcel Fratscher der Augsburger Zeitung“, wie Medien berichten. Der Reallohnverlust 2022 betrug laut „Destatis“ schon 4,1 Prozent gegenüber 2021. Im Zeitraum von 2022 bis 2024 beträgt der Reallohnverlust dann schon vorsichtig geschätzt 10 Prozent. Nach unserer Rechnung ist der Verlust deutlich höher, denn die Prognose von Fratscher berücksichtigt weder die höhere Inflationsrate von Arbeitnehmerhaushalten mittlerer und unterer Einkommen noch die Folgen für die Sozialversicherungen. Wenn nämlich die Löcher der Sozialversicherungen mit höheren Beiträgen bzw. der Kürzung von Leistungen gestopft werden, kommen weitere Reallohnsenkungen dazu.
Auch für den Mindestlohn haben die niedrigen tariflichen Abschlüsse unmittelbare Folgen, denn die Mindestlohnkommission orientiert sich an der Entwicklung der Tariflöhne.
Die schlimmsten Folgen ergeben sich für die RentenDie wichtigste Größe für die Erhöhung der Renten sind die Durchschnittslöhne aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten des Vorjahres. Sonderzahlungen spielen bei Durchschnittslöhnen keine Rolle, nur die durch sie ermöglichten niedrigen Lohnabschlüsse. Das hat erhebliche Auswirkungen. Die durchschnittliche Rentenanpassung (Gesamtdeutschland) von 5,5 Prozent ab Juli 2022 betrug auf das Jahr gerechnet 2,75 Prozent. Bei einer Jahresinflation von 9 Prozent beträgt 2022 der Kaufkraftverlust 6,25 Prozent.
Im Juli 2023 werden die Renten vermutlich um 4,6 Prozent (Gesamtdeutschland) erhöht. Auf das ganze Jahr verteilt sind das 2,3 Prozent monatlich mehr Geld. Bei einer Teuerung von 8 Prozent bedeutet das erneut einen Kaufkraftverlust um diesmal 5,7 Prozent. Dank der minimalen Tariflohnerhöhungen könnte die Rentenanpassung 2024 weit unter 3 Prozent liegen. Dadurch sind weitere Verluste der Kaufkraft zu erwarten. Da die Durchschnittsrente der Rentenbezieher wegen Alters gegenwärtig 1.050 Euro monatlich ist, könnten die zu erwartenden Verluste Ende 2024 im Durchschnitt 130 Euro monatlich betragen. Die Zahl der Rentnerinnen und Rentner, die in Armut leben, wird weiter deutlich zunehmen.
Die milliardenschweren Ausfälle von Sozialversicherungs- und Steuereinnahmen vergrößern ferner den Druck auf Krankenhausschließungen, verschlechtern die Versorgung von pflegebedürftigen Menschen und die Leistungen der Arbeitslosenversicherung.
FazitEs ist untragbar, Einkommenserhöhungen von erwerbstätigen Lohnabhängigen mit Verschlechterungen bei nicht oder nicht mehr erwerbstätigen Lohnabhängigen zu finanzieren. Gewerkschaften, die das tun, spalten die Lohnabhängigen und handeln unsolidarisch.
Die großen Gewerkschaften haben sich dadurch als Interessenvertreter aller Lohnabhängigen disqualifiziert, aber auch dadurch, dass die Sonderzahlungen in voller Höhe von 3.000 Euro nur für ihre tarifgebundenen Branchen und Unternehmen gelten, während andere Arbeitnehmergruppen mit geringerer Durchsetzungsfähigkeit mit weit weniger abgespeist werden.
Indem sie den freiwilligen Bonuszahlungen außerhalb von Tarifen zustimmten, haben sie der Aushöhlung des Tarifsystems Vorschub geleistet. Die Arbeitgeber höhlen das Tarifsystem seit Langem aus. Ihr Grundinteresse ist, das System der Branchentarifverträge durch betriebliche Abmachungen und Einzelverträge zu ersetzen. Auf diesem Weg haben sie schon große Erfolge errungen. In den alten Bundesländern ging die Tarifbindung seit 1998 um 22 Prozent zurück und in den neuen um 18 Prozent. In den alten Bundesländern fallen noch 45 Prozent der Beschäftigten unter einen Branchentarifvertrag und 9 Prozent haben Firmentarifverträge. In den neuen Bundesländern unterliegen nur noch 34 Prozent der Beschäftigten einem Branchentarifvertrag, während 11 Prozent einem Firmentarifvertrag angehören, so Destatis.
Die diesjährige Tarifrunde, die unter der Bedingung der schweren Inflation ganz besondere Bedeutung hätte haben müssen, hat das tarifliche Lohnsystem weiter geschwächt, denn die Gewerkschaften haben es versäumt, entschlossen dafür zu kämpfen, die Tariflöhne auf das erforderliche Niveau anzuheben, und sie haben für außertarifliche Sonderzahlungen auf höhere, länger wirkende Tariflöhne verzichtet. Sie haben damit hohe Reallohnverluste akzeptiert.
Sie haben in der konzertierten Aktion mit Regierung und Unternehmerschaft geklüngelt und sich deren „Staatsraison“ unterworfen. Dabei haben sie auch das Recht auf selbstständige Tarifpolitik mit den Mitteln des Arbeitskampfes verkauft.
Sie haben die Unternehmer in unzulässiger Weise geschont, denn die Europäische Zentralbank berichtet, dass die hohen Unternehmensgewinne die Inflation stärker getrieben haben als gedacht, wie Medien berichten: „Die Auswirkungen der Unternehmensgewinne auf den Preisdruck sind aus historischer Sicht außergewöhnlich.“
Die FAZ schreibt am 26.12.2022: „Die 99 umsatzstärksten Unternehmen ohne Uniper konnten ihre Ebit-Margen auf gut 9 Prozent halten und erzielten mit 145 Milliarden Euro Rekordgewinne, ein Plus von 22 Prozent zum Vorjahr.“
Seit wann ist es eine Aufgabe von Gewerkschaften, auf riesige Profitsteigerungen Rücksicht zu nehmen?
https://www.isw-muenchen.de/broschueren/wirtschaftsinfos/181-wirtschaftsinfo-62
ttps://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5082-megastreik-in-deutschland
Dieser Realpolitiker ist ein unbehelligter Kriegsverbrecher
Kriegsvorbereitungen auch hier
Trauer um Winfried Wolf
auch ich bin betroffen ..
bei Lunapark21 der Nachruf auf Winfried Wolf,
und dort auch viele Weitere!
Sein breites Themenspektrum war faszinierend und immer erstaunlich gut passend!
Seiten
- 1
- 2
- 3
- 4
- 5
- 6
- 7
- 8
- 9
- …
- nächste Seite ›
- letzte Seite »
