5. Februar 2011: Während auf den Straßen Münchens mehr als 5000 Menschen gegen die NATO-Kriegspolitik und für den Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan demonstrierten, trafen sich im Luxushotel Bayerischer Hof die Außen- und Militärpolitiker der NATO-Staaten, um sich mit Vertretern der Wirtschaft und des Finanzkapitals über die Fortsetzung des Krieges und eine gemeinsame Strategie angesichts weltpolitischer Machtverschiebungen zu verständigen.
Gebetsmühlenartig behauptet Konferenzleiter Wolfgang Ischinger jedes Jahr, auf der SIKO treffe sich die „internationale Sicherheitsgemeinschaft“ und auf der Tagung gehe es ausschließlich um die Frage, "wie der Frieden auf der Welt gesichert werden kann". Mit der Realität hat diese schönfärberische Selbstdarstellung allerdings rein gar nichts zu tun.
Das zeigt sich schon an der Zusammensetzung der Tagungsteilnehmer, an den Finanziers und an den Konferenzthemen. Rund 90 Prozent aller TeinhmerInnen kommen aus NATO-Staaten oder aus Ländern, die mit den USA oder der NATO militärisch eng verbündet sind. Von den mehr als 40 Reden, die auf der SIKO in diesem Jahr gehalten wurden, waren gerade mal vier Beiträge von Rednern, die nicht aus der Großfamilie der NATO- und EU-Staaten stammten. Zu ihnen gehörte der UN-Generalsekretär, zwei Vertreter der russischen und einer der indischen Regierung.
Die letzte „Sicherheitskonferenz“ war – wie schon in den vergangenen Jahren – vor allem ein medienwirksames Propagandaforum mit Lobeshymnen über die friedensstiftende Rolle der NATO und mit Rechtfertigungslügen für die militärischer Aufrüstung und dieweltweiten Kriegseinsätze der NATO. Die deutsche Bundeskanzlerin schwärmte vom „Siegeszug der Freiheit“, der durch die NATO gewährleistet werde. US-Außenministerin Hillary Clinton würdigte besonders die segensreiche Partnerschaft zwischen den USA und Europa. „Starke Wirtschaften“, wie die der USA und Europas, sagte sie, seien die „Grundlage für Sicherheit und Frieden auf der Welt“. Die strategische Partnerschaft zwischen den Vereinigten Staaten und Europa habe „sich bewährt“ und „war noch nie so stark“. „Wir arbeiten gemeinsam daran“, beteuerte sie, „Armut, Hunger und Krankheiten zu bekämpfen und die Sicherung des Friedens zu gewährleisten“.
Die Massenaufstände in Tunesien und Ägypten wirkten auf die NATO-Strategen im Bayerischen Hof wie eine kalte Dusche. Der Westen sei, sagte NATO- Oberbefehlshaber Stavridis „über die Ereignisse sehr beunruhigt“, Konferenzleiter Ischinger sprach von „einer schwierigen Gratwanderung für den Westen“. Deutschland, die USA und die EU-Staaten saßen in der Zwickmühle. Einerseits war das Mubarak- Regime bisher der wichtigste strategische Verbündete des Westens im Nahen Osten, andererseits aber konnte man sich schlecht gegen die Forderungen der Massen nach Demokratie und Freiheitsrechten stellen.
Frank Wisner, ehemaliger US-Botschafter, den Präsident Obama als Sondergesandten nach Kairo geschickt hatte, stellte sich eindeutig auf Mubaraks Seite. "Wir sollten einen Mann mit Respekt behandeln, der uns für viele Jahre ein guter Freund war", sagte er. "Mubaraks Rolle bleibt absolut zentral für den Übergangsprozess, es ist der ideale Moment für ihn, um einen Weg nach vorn zu weisen." Diese Position wurde zwar von keinem der Redner im Bayerischen Hof unterstützt, für die demokratische Bewegung in Ägypten gab es jedoch nur Lippenbekenntnisse und niemand wollte sich dazu durchringen, den sofortigen Rücktritt des Mubarak-Regimes zu fordern. Stattdessen wurde vor einem überstürzten Machtwechsel gewarnt, der wie Hillary Clinton sagte, zu chaotischen Zuständen und „zu Instabilität führen“ könnte.
"Man sollte sich davor hüten zu glauben, Wahlen seien ein Schalter, den man nur umlegen müsse, um Demokratie zu bekommen" sagte der britische Premier David Cameron. Es sprächen aber auch strategische Gründe dagegen, ein sofortiges Abdanken Mubaraks zu fordern. Denn der Westen könnte in der Region an Einfluss verlieren, wenn der Eindruck entsteht, dass er langjährige Verbündete zu schnell fallen lässt.
Als zuverlässiger Partner des Westens war Ägypten – nach Israel – der weltweit größte Empfänger amerikanischer Dollarhilfen. 1,3 Milliarden Dollar Militärhilfe flossen jedes Jahr von Washington nach Kairo, rund 70 Milliarden Dollar in den vergangenen 30 Jahren. (Spiegel Online, 07.02.2011)
Auch Deutschland sorgte sich bislang rührend um das Wohlergehen der ägyptischen Diktatur. Ägypten steht auf Rang eins aller Entwicklungsländer, die mit deutschen Waffen beliefert werden. Die Summe der genehmigten Waffenexporte hat sich von 2008 auf 2009 auf 77,5 Millionen Euro nahezu verdoppelt. Menschenrechte spielen bei diesen Waffengeschäften keinerlei Rolle. (Christoph Marischka, IMI, 12.02 2011)
Bundeskanzlerin Merkel wies ausdrücklich die Vorwürfe in den israelischen Medien zurück, der Westen hätte Mubarak bereits „im Stich gelassen“. Sie habe den ägyptischen Präsidenten zu Reformen gedrängt. Außenminister Westerwelle war quasi bis zur letzten Minute voll des Lobes für Mubarak. Nach einem Besuch in Kairo im Mai 2010 pries er ihn, als „Mann mit enormer Erfahrung, großer Weisheit“. „Ägypten ist durch langjährige politische Kontinuität geprägt und ein Stabilitätsanker in der Region“, sagte er in einem Interview mit der ägyptischen Zeitung Al Ahram. (SZ, 01.02. 2011)
Die Kundgebungsredner bei den Protesten gegen die NATO-Kriegstagung bezeichneten die jetzigen Versuche von Merkel, Westerwelle und Co. sich auf die Seite der Demokratiebewegungen zu schlagen, als „pure Heuchelei“. Um die Befreiungsbewegungen zu unterstützen, sei es die Aufgabe der Antikriegsbewegung, den Mächtigen hier zu Lande in den Arm fallen.
Die Zukunft der NATO war zwar diesmal kein eigenes Schwerpunktthema auf der Tagesordnung der Konferenz, die weltweite Interventionsfähigkeit der Allianz stand jedoch wie immer im Zentrum fast aller Reden und Debatten, ebenso wie der Krieg in Afghanistan.
Zum Auftakt der NATO-Tagung im Bayerischen Hof sprachen der damalige deutsche Militärminister Guttenberg und NATO-Generalsekretär Rasmussen über die „Notwendigkeit sicherheitspolitischer Kooperation in Zeiten sinkender Verteidigungsbudgets.“
Mit dem Hinweis auf die gestiegenen Verteidigungsbudgets in China warnte NATO-Generalsekretär Rasmussen vor sich abzeichnenden „Tektonischen Plattenverschiebungen“. Angesichts dieser Entwicklungen sei nicht nur die Weltwirtschaft, sondern auch die Weltordnung in Gefahr. „Wir müssen verhindern“, sagte er, „dass die Finanzkrise zu einem Sicherheitsrisiko wird“. Die NATO brauche Streitkräfte, „die schnell reagieren und eingesetzt werden können“.
China – eine militärische Bedrohung für den Westen? Dieses Märchen dient ausschließlich dazu, die astronomischen Summen der NATO-Militärausgaben von 990 Mrd. Dollar zu rechtfertigen. Das Militärbudget Chinas liegt dagegen derzeit bei weniger als 8 Prozent der NATO-Militärausgaben und das Atomwaffenarsenal der NATO-Staaten ist um das 14-fache größer als das Chinas.
In geradezu dramatischen Worten warnte Rasmussen die Europäischen NATO-Verbündeten vor weiteren Kürzungen ihrer Militärausgaben. „Wenn man sich entscheidet zu sparen, dann muss man es auf kluge Weise tun – denn wenn die Einschnitte zu tief sind, werden wir nicht in der Lage sein, die Sicherheit zu verteidigen, auf der unsere demokratischen Gesellschaften und unsere Wirtschaft aufbauen."
In den letzten zwei Jahren seien die Militärausgaben der europäischen NATO-Mitglieder um 45 Milliarden Dollar gesunken, die USA würden nahezu 75 Prozent der NATO-Militärausgaben tragen. Vor zehn Jahren sei es noch die Hälfte gewesen.
Um ein weiteres Auseinanderdriften der transatlantischen Partner zu verhindern, sei es notwendig, nach dem Prinzip der "Smart Defence" zu handeln. Dazu gehöre es erstens, Kapazitäten zusammenzufassen und zu teilen, zweitens richtige Prioritäten zu setzen und drittens die militärischen Anstrengungen der europäischen Staaten besser zu koordinieren. Die Europäer müssten mehr tun, weil sonst Europäische Verteidigung für „immer ein Papiertiger bleiben“ werde.
Eine Arbeitsteilung zwischen Amerika und Europa – zwischen hard power und soft power – sei für ihn als "überzeugten Europäer" und "treuen Transatlantiker" bestenfalls naiv, schlimmstenfalls gefährlich, wenn man die steigenden Verteidigungshaushalte in anderen Weltregionen berücksichtige. Er fürchte ein "geteiltes Europa", in dem nur einige Staaten ihren Verpflichtungen nachkämen, ein „schwächeres Europa", das ohne "hard power" kaum in der Lage sei, Krisen zu verhindern, sowie ein Europa, das sich weiter von den USA entferne. Schließlich könnten sich die USA auch „nach anderen zuverlässigen Partnern“ umsehen, wenn die europäischen Militärausgaben weiter sinken. "Das mag nach einem düsteren Szenario klingen", sagte der NATO-Generalsekretär, aber er sei in der Tat besorgt. Europa könne sich nicht aus der Sicherheitspolitik zurückziehen, sondern müsse „seine Rolle als wichtigster Sicherheitspartner der USA wiederbeleben“.
Militärminister Guttenberg blies in das gleiche Horn. Die transatlantische Partnerschaft dürfe nicht durch eine transpazifische verdrängt werden. Die USA und Europa müssten gemeinsam ihre Wirtschafts- und Handelsinteressen wahren, um zu verhindern, dass andere (z.B. China) die internationalen Regeln und Normen in ihrem Interesse bestimmen.
Als Vorbild für andere europäische Staaten verwies Guttenberg auf seine „Wehrreform“, durch die die Bundeswehr schlanker, aber trotzdem „leistungsfähiger, professioneller und wirksamer“ für zukünftige Kriegseinsätze werden soll. Deutschland wolle sein „strategisches Gewicht in der Allianz verbessern“ und dies erfordere „robuste Streitkräfte, auch wenn das nicht immer gerne gehört wird“. Ähnlich wie Rasmussen betonte er, dass die Zeit für nationale Egoismen in der Sicherheitspolitik vorbei sei. Unerlässlich sei es heute, dass die „westliche Wertegemeinschaft“ stärker gemeinsam handelt, dass die Europäer „ihre militärischen Fähigkeiten noch mehr bündeln, Arbeitsteilung vereinbaren, sich auf militärische Kernfähigkeiten konzentrieren und so einen großen Sprung nach vorne machen“.
Admiral James G. Stavridis, Oberbefehlshaber der NATO für Operationen (SACEUR) und Kommandeur der US-Streitkräfte in Europa forderte, dass sich die Militärallianz stärker mit maritimer Sicherheit, mit seebasierten Antiterrormissionen und der seebasierten Raketenabwehr befassen müsste. Die NATO könnte auf diesem Gebiet „absolut mehr leisten“. (MS: Interview 06.02.2011)
Laut Ischinger sollte die SIKO zu einem „Markstein auf dem Weg zu einer neuen euro-atlantischen Sicherheitsordnung“ werden. Mit dem neuen „Strategische Konzept“ der NATO, in dem eine „echte strategische Partnerschaft zwischen der NATO und Russland“ beschlossen worden war, sei die Grundlage für eine enge Kooperation geschaffen worden. Dieses Konzept wird derzeit insbesondere von den Herrschafts-Eliten Deutschlands und der EU stark befürwortet. Als Einstieg dafür wird die beim NATO-Gipfel in Lissabon beschlossene Raketenabwehr angesehen. Russland und die NATO hatten sich dort darauf verständigt, ein gemeinsames Raketenabwehrsystem für Europa zu errichten. Laut NATO-Generalsekretär Rasmussen sollen „zwei unabhängige, jedoch koordinierte Systeme“ errichtet werden. Moskau dagegen favorisiert ein gemeinsames Abwehrsystem mit gleichberechtigten Kontroll- und Entscheidungsrechten. Vor allem müsse jedoch sicher gestellt sein, dass der geplante NATO-Raketenabwehrschirm nicht die Zweitschlagfähigkeit Russlands untergräbt. Bereits im Januar hatte Präsident Medwedjew in seiner Rede zur Lage der Nation nachdrücklich vor einer neuen Aufrüstungsspirale gewarnt. Moskau sähe sich gezwungen, neue Offensivwaffen aufzustellen, sollte die gemeinsame Raketenabwehr mit der NATO scheitern. (RIA Novosti 24. 01.2011)
Eine Einigung ist bisher nicht in Sicht. Die Differenzen wurden auf der Münchner Sicherheitskonferenz noch einmal deutlich, als US-Außenministerin Clinton erklärte, die NATO-Raketenabwehr werde jetzt „von der Theorie in die Praxis umgesetzt“. Die USA hätten „unmissverständlich klar gemacht“, dass die USA „keine Einschränkungen“ ihrer „Raketenabwehrsysteme akzeptieren werden“.
Russlands Außenminister Lawrow kritisierte in seiner Rede die US-Position: Russland werde sich auf keinen Fall einer NATO-Raketenabwehr anschließen, ohne gleichberechtigt beteiligt zu sein. Die amerikanischen Pläne für die dritte und vierte Ausbauphase des Raketenabwehrsystems würde die russischen Abschreckungskräfte direkt beeinträchtigen. Solche einseitigen Lösungen seien für Moskau inakzeptabel. „Wir hoffen“, sagte Lawrov, „dass nicht versucht wird, uns vor vollendete Tatsachen zu stellen“.
Trotz dieser Differenzen ist jedoch die Kooperation Russlands und damit die Einbindung in die NATO-Kriegsstrategie bereits relativ weit fortgeschritten. Russland hat im Weltsicherheitsrat den von der US-Regierung initiierten Sanktionen gegen den Iran zugestimmt und begünstigt damit den westlichen Konfrontationskurs und eine militärische Eskalation. Und schließlich hat Russland erstmalig mit der NATO ein Transitabkommen geschlossen, das die militärische Versorgung der NATO-Truppen in Afghanistan über russisches Territorium ermöglicht. Diese Unterstützungsleistungen Moskaus tragen weder zur Entschärfung des Atomstreits mit dem Iran noch zur Beendigung des Afghanistankrieges bei.
Die Einigung über einen gemeinsame Raketenabwehrschirm wäre ein weiterer Schritt, der nicht mehr Sicherheit, sondern für alle anderen Länder der Welt noch mehr Unsicherheit schaffen würde. Die Raketenabwehr dient ja nicht dem Schutz vor Angriffen eines anderen Staates. Weder die USA, noch einer der anderen NATO-Staaten wird von irgend jemandem militärisch bedroht. Ihr Zweck der Raketenabwehr ist die Abwehr von Gegenschlägen bei zukünftigen Angriffskriegen, etwa gegen den Iran. Die USA wollen sich unverwundbar machen. Mit einer funktionierenden Raketenabwehr hätten sie einen Freibrief zur Aggression gegen jeden denkbaren Gegner.
Auch in der Debatte über die Auswirkungen der Finanzkrise ging es um die Aufrechterhaltung der militärischen Fähigkeiten der NATO. Teilnehmer waren: Mohammed El-Erian, der als Chief Executive Officer der Allianz Group Investment Gesellschaft PIMCO derzeit etwa 600 Milliarden US-Dollar verwaltet, der Milliardär und Hedgefondmagnat George Soros, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, Weltbank-Präsident Robert Zoellick und der EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung, Olli Rehn.
Neben Bekenntnissen „für nachhaltiges Wachstum und nachhaltige Beschäftigung“ und dafür, dass die „Staatsschulden reduziert“ werden müssten, wurden genau die Rezepte angeboten, die die Krise verursacht und die Staatsverschuldung in astronomische Höhen getrieben hatten: Der Weltbankpräsident forderte, „mehr Verantwortung an den privaten Sektor“ zu übertragen und George Soros erklärte, dass „Privatkredite durch Staatskredite ersetzt“ werden müssten.
Finanzminister Schäuble verbreitete Optimismus: „Wir werden das Problem lösen“. Einigkeit herrschte darüber, dass in Krisenregionen zwar Strukturinvestitionen erforderlich seien, auf militärische Maßnahmen jedoch nicht verzichtet werden könne. Angesichts neuer globaler Herausforderungen warnte der Milliardär Soros nachdrücklich vor einer Senkung der Militärbudgets. Unter Hinweis auf China erklärte er, wenn das System des Staatskapitalismus auch von „anderen Ländern übernommen wird, sind Konflikte unausweichlich“.
Bei dem von Ischinger auf die Tagesordnung gesetzten Thema Cyberkrieg herrschte allgemeine Ratlosigkeit. Es gäbe bereits diverse Möglichkeiten offensiver Internet-Waffen, doch die Regierungen weltweit wüssten noch nicht so recht, was sie damit anfangen sollten. Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière beklagte die total zersplitterten Zuständigkeiten und EU-Kommissar Öttinger warnte vor katastrophalen Auswirkungen auf die Versorgungs- und Energiesicherheit.
SIKO-Chef Ischinger hatte vor der Konferenz die Frage aufgeworfen, wie verhindert werden könne, „dass es anderen Staaten oder Terroristen gelingt, großflächig die Stromversorgung in Deutschland lahm zu legen.“ Gegen diese Bedrohungen gäbe es bisher keinen effektiven Schutz. Kein Problem hat er jedoch offensichtlich mit Cyber-War Attacken, wie dem "Stuxnet"-Angriff, gegen den Iran, der die Zentrifugen seiner zivilen Uran Anreicherungsanlagen zerstört hatte. Wie die "New York Times" unter Berufung auf US-Militär- und Geheimdienstexperten am 15. Januar 2011 enthüllte, war „Suxnet“ von amerikanischen Militärforschern im israelischen Atomwaffenzentrum Demona entwickelt worden, um die Urananreicherungsanlage im iranischen Natanz zu sabotieren und so Irans Atomprogramm um mehrere Jahre zurückzuwerfen. Kommentatoren in Israel und USA feierten die Aktion als großen Erfolg.
Ischinger sieht das nicht viel anders. In einem Interview mit der Rheinischen Post sagte er: „Solche Mittel können dazu führen, dass man enorm viel Zeit gewinnt. In diesem Fall scheint sich der Wurm wirklich nur auf einen massiven Schaden für die Zentrifugen beschränkt zu haben“ und mit Kenntnissen über die „offensive Nutzung solcher Mittel“ ließe sich „auch eine wirksame Abwehr entwickeln“. (RP, 02.02.2011) Im Klartext heißt das wohl: Ein guter Angriff ist besser als jede Verteidigung. Ischinger legitimiert damit genau jene Aufrüstung für den Krieg im Cyberspace, die er anderen bösen Mächten unterstellt.
Die Debatte auf der SIKO diente eher als Ablenkungsmanöver vor den tatsächlichen Bedrohungen, wie dem 2008 eingerichteten „United States Cyber Command“, das für elektronische Kriegsführung, Cyberwar und Internet-Sicherheit zuständig ist und von US-Präsident Obama mit 30 Mrd. Dollar ausgestattet wurde. Dieses „Cyber Command“ untersteht dem Oberkommando der US-Streitkräfte und dürfte ebenso wenig wie die NATO der Verteidigung dienen. 2008 wurde auch das "Cooperative Cyber Defence Centre of Excellence" der NATO gegründet, das sich offiziell damit befasst, wann bei Internetangriffen das Eingreifen der Militärallianz gerechtfertigt sei.
Russlands Außenminister Sergei Lavrov und US-Außenministerin Hillary Clinton schmückten Ischingers Konferenz mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden des „New START“-Vertrages, der mit mehr als einem Jahr Verspätung in Kraft gesetzt wurde. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon gratulierte den Präsidenten Medvedev und Obama für ihre "visionäre Führung und ihr Engagement, die nukleare Abrüstung voranzutreiben“ und Außenminister Westerwelle sprach von einem "sehr bedeutenden Tag für die Abrüstung."
Davon kann jedoch überhaupt nicht die Rede sein. Beide Atomsupermächte behalten, auch wenn sie den Vertrag erfüllen, innerhalb von sieben Jahren ihre strategischen Nuklearwaffen auf 1550 Sprengköpfe zu reduzieren, weiterhin ihre atomare Monopolstellung gegenüber allen anderen Staaten. Zu weiteren Begrenzungen in Richtung der „Vision einer Welt ohne Atomwaffen“ gibt es bisher keinerlei Bereitschaft. Auf der SIKO gab es dazu nicht die leisesten Andeutungen, im Gegenteil: Mit dem Aufbau der NATO-Raketenabwehr werden alle weiteren Schritte zur atomare Abrüstung sabotiert.
Wesentlich konkreter wurde über einen Abwesenden geredet. US-Außenministerin Clinton warnte erneut vor den „gefährlichen nuklearen Ambitionen des Iran“ und ihre Staatssekretärin Tauscher forderte von der iranischen Staatsführung Schritte zu einer erkennbaren Kooperation mit der so genannten „Internationalen Gemeinschaft“. Dem Westen bliebe sonst keine andere Wahl, als noch schärfere Sanktionen zu beschließen.
Noch weitergehende Drohungen kamen von Ex-Außenminister Steinmeier. Die „Verhandlungsangebote“ des Westens müssten von einem Paket mit Sanktionen begleitet werden, die deutlich machen, dass die internationale Gemeinschaft einen nuklear bewaffneten Iran nicht akzeptieren wird. Der Iran hätte immer noch die Möglichkeit, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, aber „das Fenster dieser Möglichkeit wird nicht ewig offen stehen“, erklärte Steinmeier. Doch Verhandlungen stehen gar nicht auf der Agenda der NATO. Das „Angebot“ ist ein Ultimatum, das von Teheran die vollständige Einstellung seines zivilen Urananreicherung verlangt und mit immer schärferen Sanktionen und andauernden Kriegsdrohungen verbunden ist.
Lediglich der stellvertretende russische Ministerpräsident Ivanov lehnte härtere Sanktionen gegen Iran ab. "Weder schärfere Sanktionen noch deren Androhung sind ein wirksames Mittel, um diese Frage zu lösen", erklärte Iwanow.
Präsident Karzai bedankte sich ausschweifend bei den westlichen Verbündeten und lobte die großen Errungenschaften, die mit ihrer Hilfe in Afghanistan erreicht worden sind. Leider seien diese Erfolge mit „unvorstellbarem Blutvergießen und Opfern“ erreicht worden. Verhaltene Kritik äußerte er am Missverhältnis zwischen den jährlich 100 Mrd. Dollar, die allein von den USA für die Militäroperationen ausgegeben werden und den nur 8 Mrd. Dollar der NATO, die für die afghanischen Sicherheitskräfte zur Verfügung stehen. Keinerlei Übereinstimmung ergab die Debatte über die von Karzai kritisierten „Parallelstrukturen“ der NATO-Staaten. Ausdrücklich nannte er die regionalen „Provincial Reconstruction Teams“ (PRT), die Existenz privater Sicherheitsfirmen und ihre Finanzierungskanäle. Diese „Mechanismen, die den Staat umgehen“, sagte Karzai, seien ein „großes Hindernis“ und müssten, „beseitigt“ werden. In Zukunft müssten 80 Prozent der internationalen Hilfsgelder dem afghanischen Staat zufließen.
Schließlich versprach Karzai alles, was die anwesenden NATO-Politiker gerne hören wollten: Den verstärkten Kampf gegen Korruption und Misswirtschaft, Sicherheit für ausländische Investoren, einen effektiven Staat mit einer rechtstaatlichen Verwaltung und Investitionen in den Bildungssektor. „Wir wollen“, sagte Karzai, „eine neue Phase der Demokratie einläuten“. Davon ist das Land jedoch meilenweit entfernt. Der seit zehn Jahren andauernde Krieg, die Komplizenschaft des Karzai-Regimes und der Besatzungsmächte mit den Warlords und der Drogenmafia fördert und stabilisiert die undemokratischen und korrupten Machtstrukturen in Afghanistan.
Die Beteuerungen von der „Übergabe der Verantwortung in die Hände des afghanischen Volkes“, sind nichts weiter als ein Täuschungsmanöver der NATO, um die Kriegskritiker zu beruhigen. Während alle Politiker hierzulande, inklusive fast aller Medien, der Öffentlichkeit den baldigen Truppenabzug aus Afghanistan verkünden, stellte Militärminister Guttenberg noch einmal eindeutig klar: Einen Truppenabzug werde es erst geben, „wenn er verantwortbar ist und die Lage es erlaubt“. Außenminister Westerwelle, der bisher das Jahr 2011 als Beginn des Truppenabzugs verkündet hatte, erklärte im Bayerischen Hof genau das gleiche: „Wir wollen unsere Kräfte reduzieren, sobald es die Lage erlaubt. Keine Reduzierung darf die verbleibenden Soldatinnen und Soldaten in zusätzliche Gefahr bringen, weder die deutschen noch die unserer Verbündeten“. Und ebenso wie die Bundeskanzlerin erklärte er: „Wir sind gemeinsam rein gegangen, wir werden gemeinsam raus gehen, wenn unsere gemeinsame Aufgabe erfüllt ist“.
SIKO-Konferenzleiter Ischinger gehört selbst zu den eifrigsten Kriegstrommlern. Schon im letzten Jahr machte er sich für die Aufstockung der Bundeswehrtruppen in Afghanistan stark. „Ein Scheitern der Mission und eine Schwächung der NATO dürfe deutsche Politik nicht zulassen“, sagte er, dies wäre „ein Reputationsverlust Deutschlands in der NATO“. Auch im Vorfeld der „Sicherheitskonferenz“ 2011 warnte er in allen seinen Stellungnahmen zum Afghanistan-Krieg eindringlich vor Ausstiegsszenarien mit verbindlichen Festlegungen für einen Abzug der Bundeswehr- und der NATO-Truppen. „Innenpolitische Opportunitätsüberlegungen“, d.h. die Kriegsablehnung der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, dürften „für Rückzugspläne nicht ausschlaggebend sein“, erklärte er immer wieder. (MSC-Homepage: www⋅securityconference.de)
Diese „Aufgabe“, die sogenannte Stabilisierung Afghanistans mit Hilfe eines dem Westen hörigen Regimes, wird auch im Jahr 2014 mit Sicherheit nicht erledigt sein. Weitblickend verkündete US-Senator Joe Liebermann, für die USA würden „grundlegende Interessen auf dem Spiel stehen“. Afghanistan sei der „entscheidende Ort, wo wir uns langfristig mit strategischen Investitionen engagieren, die über 2014 hinaus gehen“. Dabei verwies er auf die zwischen Karzai und der NATO in Lissabon getroffene Vereinbarung für eine dauerhafte NATO-Truppentruppenpräsenz in Afghanistan.