Plakatstreit mit der Stadt
Städtischer Grund gerät ins Wanken
Münchner Stadtrats-Beschluss zur Plakat-Aufstellung ist grundgesetzwidrig
Der Münchner Stadtrat hatte sich das mehrheitlich so schön ausgedacht: Eine "saubere Stadt" solle München sein, wenn möglich die nördlichste Italiens, die teuerste Deutschlands und attraktivste Europas (inzwischen gelungen: Zukunftsträchtigkeit noch vor London – für Immobilienhaie) und natürlich die schönste der Welt. Vor allem aber frei von rauschgiftelnden Jugendlichen, frei von biertrinkenden Geselligkeitsrunden, frei von Bettlern, Wohnungslosen und sonst irgendwie elend, beschäftigungslos oder bedürftig aussehenden Menschen, die sich auf Bänken oder an Brunnen oder auf Theatertreppen niederlassen. Biertrinken ist im Untergrund verboten, übertage auf der Wiesn ein Muss. Alles an seinem Platz! Und schön sauber geregelt.
Dazu gehört auch, dass der öffentliche Raum, ein hohes Gut, das zu horrenden Preisen an Autofahrer ver-mietet wird, nicht verschandelt wird durch allzuviele Plakatständer, die die formschönen Parkverbots- und Parklizensierungs-Zonen-Schilderbatterien umzingeln könnten, auch und gerade außerhalb der Wahlkampfzeiten, wo die Münchner Bürger doch mal Zeit und Muße in politikfreier Atmosphäre genießen können sollten, die ausschließlich zum Konsumieren animieren will. Wenn schon Werbung, dann richtig groß im Gerüstformat an öffentlichen Gebäuden, aber doch nicht im popeligen A1-Format am Straßenrand! Zu diesem Behufe verabschiedete eine besorgte Mehrheit im Rathaus die derzeit (noch) gültige Plakatierverordnung, die ausschließlich politischen Parteien erlaubt, mit Dreieckständern für ihre Veranstaltungen zu werben. Das muss dann aber groß draufstehen.
Offensichtlich ist auch die Kriminalpolizei eine politische Partei, denn sie bittet gelegentlich ebenfalls (auch ohne ordentliches Impressum) um Mithilfe bei der Aufklärung von Verbrechen oder um "Vorsicht vor dem Enkeltrick". Und das mitten auf dem hochheiligen Viktualienmarkt, der als Fußgängerzone eigentlich tabu ist. Politische Initiativen, Bündnisse und Organisationen, die selbst keine Parteien sind, haben es da schwer: Sie mussten bisher immer mindestens eine "Strohpartei" vorschieben, die bei ihnen mitarbeitete, um in den Genuss einer Aufstellungsgenehmigung zu kommen. Sei es beim Bürgerbegehren gegen eine dritte Startbahn oder den Transrapid oder gegen die Studiengebühren, überall prangten (meist kaum erkennbar winzig, aber unvermeidlich) die Parteienlogos im bunten Reigen der Bündnis-Gruppen. Soweit so schlecht. Beim Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz oder beim Münchner Friedensbündnis zum Ostermarsch mussten jeweils DIE LINKE oder die DKP herhalten. Und die sollten dazu noch als Veranstalter ausgewiesen werden, die sie gar nicht sind. Sogar Schriftgrößen-Vorgaben wurden von vorwitzigen Beamten versucht durchzusetzen, wenn auch erfolglos. Als hätte das KVR künstlerische Gestaltungshoheit und Zensurbefugnisse! Das alles mutet seltsam historistisch und obrigkeitsstädtisch an.
Dabei unterstellt man kreisverwaltungsbehördlicherseits, dass Parteien ein Privileg genießen, das ihnen nicht nur steuerfinanzierte Stiftungen und Spendeneintreibungs-Vorteile garantiert, sondern auch die ausschließliche Nutzung öffentlicher Straßen und Plätze für Plakatwerbung auf städtischem Grund. Das ist ziemlich bodenlos. Im Grundgesetz steht dazu nämlich nur: "Die politischen Parteien wirken an der politischen Willensbildung der Bevölkerung mit". Kein Wort von einem Monopol! Und schon gar keine Silbe von Ausschluss der Zivilgesellschaft aus dem politischen Leben einer Stadt, selbst wenn diese noch so sauber sein wollte. In München ist politisches Plakatieren außerhalb von Parteien derzeit nicht genehmigungsfähig. Und kommerzielle Plakatierung kostet. Wild plakatieren extraviel. Monopolist Ströer fordert gewerblich astronomische Preise. Der Bürger und die Bürgerin sollen sich bitteschön nicht beunruhigen oder gar außerparlamentarisch artikulieren. Wo kämen wir hin?! Wie sagt die Stadtwerke-Reklame so treffend: "Münchner sein. Der Rest ist M-Sache".
Kurz vor Weihnachten war man im KVR in Geberlaune und bot dem Anti-SiKo-Bündnis gegen eine Gebühr von schlappen 40 Euro eine einmalige Ausnahmeregelung in Form einer Sondernutzungserlaubnis an, die nur einen Haken hatte: Sie sollte für knappe 14 Tage gelten inclusive Auf- und Abbau. Viel zu kurz, da die meisten der sämtlich ehrenamtlich arbeitenden Aktivisten nur an Wochenenden aufstellen können, da sie unter der Woche entweder studieren oder aber Geld verdienen müssen, und manche Letzteres nicht zuletzt um studieren zu können. Und die älteren, die vielleicht auch an Werktagen tätig werden könnten, möchten nicht gern den Berufsverkehr behindern. Mit Müh und Not konnten noch drei Tage mehr herausgeschunden werden. Ein „sauberes“ Angebot, das vom echten Willen der Ordnungsbehörde zur Förderung von "mehr Bürgerbeteiligung" zeugt!
Erst auf Antrag der GRÜNEN dämmerte dem Kommunalparlament, dass es da seine Kompetenzen wohl deutlich überschritten und den Rahmen seines selbst angemaßten "Grundrechts auf Sauberkeit" überdehnt hatte. Nun soll das neu geregelt werden. Bleibt abzuwarten, wie München seine Plakatierverordnung den Gegebenheiten des demokratischen Rechtsstaats anpassen wird. Vielleicht dürfen nur noch Plakate aufgestellt werden, die die Betrachter zur Heiterkeit ermuntern, wie jenes von dem Europawahlkandidaten Erich Posselt (CSU), der pausbackig abgebildet wie im richtigen Leben ein "schlankes Europa" forderte. Brüller! Kracher! Schenkelklopfer. Psychohygienisch einwandfrei. Damit hätte der Stadtrat den nächsten Valentins-Orden bereits in der Tasche. Lustige Plakat-Idee: "München: Tolerant, rechtsstaatlich und demokratisch". Zum Kringeln, oder was?!